Auf der Kinoleinwand trägt Paul Mescal derzeit harte Lederrüstung, auf dem roten Teppich hingegen setzt er auf flauschig, verletzlich und eng. Was hat es damit auf sich?
Paul Mescal tut das, was man von ihm erwarten würde auf der Pressetour für seinen neuen Film «Gladiator II». Er erzählt von der harten Arbeit hin zu einem gestählten Körper, beklagt sich über das Filmen bei 42 Grad und fügt aber auch gleich an, dass das ja alles «first world problems» seien. Er witzelt mit seinen Co-Protagonisten und knuddelt für Youtube-Videos Welpen. Nur bei seiner Garderobe weicht der Ire vom tradierten Weg ab. Sie lässt sich mit einer Frage zusammenfassen, die sonst eher Teenager von ihren Grossmüttern zu hören bekommen: «Ui, wurde das zu heiss gewaschen?»
In einer Fotoserie des Magazins «Hollywood Authentic» berührte der Saum eines T-Shirts mit Gucci-Schriftzug nur knapp Mescals Bauchnabel. Ein Cardigan spannte sich bei einer Talkshow so prekär über seinen Oberkörper, dass die Strickjackenknöpfe wegzuspicken drohten. Und ein helles Poloshirt lag in einem Video-Interview so eng an seinem Oberkörper an, dass ein Unterhemd wohl gar nicht infrage kam.
Der Zeitgeist ist weit
Männer in enger Kleidung, das ist nichts Neues, die muskelbepackten Vin Diesels und Zac Efrons dieser Welt haben es vorgemacht. Doch in den letzten Jahren bewegte sich das Trendpendel in die gegensätzliche Richtung. Man betrachte nur das Meme von vier Jungs aus Birmingham, das 2019 entstand und als «Four Lads in Jeans» zu einem Sinnbild seiner Zeit wurde: Ihre Poloshirts sind so eng, dass sie Falten werfen, ihre Knöchel entblösst, die Muster auf ihren Hosen vor Spannung verzerrt.
2024 bildeten die Jungs das mittlerweile berühmt gewordene Foto nach, erneut in die zeitgenössische Garderobe gekleidet, und siehe da: Die Konturen ihrer Beine sind unter Baggy-Jeans verborgen, die Ärmel ihrer T-Shirts verstecken ihre Oberarme unter losem Stoff. Weite Kleider sind längst im männlichen Mode-Mainstream angelangt. Egal, wie gut oder schlecht sie geschnitten sind – sie strahlen aus, dass man mit der Zeit geht.
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— LADbible (@ladbible) April 18, 2024
Zierliche Schnürungen, flauschige Cardigans
Enge Shirts können also wieder als Gegenreaktion darauf gelesen werden. Gerade auf den Laufstegen pirschen sie sich vorsichtig wieder vor. Das Poloshirt von Gucci etwa, das wie eine zweite Haut wirkt, ist Teil der Sommerkollektion 2025 des Labels. Paul Mescal schaute als Markengesicht von der ersten Reihe aus zu, als es im Juni in Mailand erstmals gezeigt wurde. Labels wie Ludovic de Saint Sernin haben sich gerade wegen ihrer körperbetonten Herrenmode einen Namen gemacht, und die Marke ERL aus Kalifornien mixt ihre sportlichen Einflüsse und Baggy-Jeans mit engen Langarmshirts und manchmal sogar, o Schreck, mit Leggings.
Bei Paul Mescal aber sind die geschrumpften Teile Teil eines grösseren Ganzen. Beim zweiten Blick auf die von der Stylistin Felicity Kay kuratierte Garderobe stechen nämlich noch weitere Details ins Auge: zierliche Schnürungen an crèmefarbenen Hemden, Kragen mit offen hängenden Schluppen, flauschige Cardigans in Babyblau oder bedruckt mit Figuren der griechischen Mythologie (darunter Narziss).
Kämpfe und Gedichte
«Ein Mann, der eine Strickjacke trägt, die eindeutig für eine Frau oder ein kleines Kind gedacht ist, muss ein guter Mensch sein», so fasste das Magazin «Dazed» den Reiz von Paul Mescals Stil zusammen. Der Schauspieler gilt als eine Art Pin-up und als Prototyp des «softboi», des gefühlvollen, verletzlichen Mannes, dem aber immer auch ein Hauch Kalkül vorgeworfen wird. Seine Sanftheit sei aufgesetzt und diene vor allem dazu, andere zu beeindrucken.
Was genau hinter seinen modischen Entscheidungen steckt, bleibt Paul Mescals Geheimnis. Klar ist, dass es bei ihm von «Method Dressing» – sich für den roten Teppich einzukleiden, wie es die eigene Filmfigur täte, zu sehen etwa bei Ariana Grande und Timothée Chalamet – keinerlei Anzeichen gibt: Die weichen Cardigans und engen Crop-Tops stehen im krassen Gegensatz zu den harten, ledernen Rüstungen, die der Schauspieler im Film als Sohn des originalen Gladiators Russell Crowe trägt. Doch Mescal soll auch in «Gladiator II» für eine neue Männlichkeit stehen. Er kämpft zwar unerbittlich, aber er rezitiert auch Gedichte! Mit seiner mit Kultserien und Arthouse-Filmen aufgebauten Fan-Basis könnte er durchaus eine neue Klientel für den Streifen von Ridley Scott begeistern. Die Mode wirkt da als Eintrittspunkt und Schlagzeilengarant.
Eine Kettenreaktion nach der anderen
Viel eher aber wird sie einen Einfluss darauf haben, wie Männer sich kleiden. Denn Paul Mescal gilt als Stilvorbild, das auch weniger Experimentierfreudige motivieren kann. Seine Verkörperung von Connell Waldron in der TV-Adaption des Sally-Rooney-Buchs «Normal People» löste eine Kettenreaktion aus, wonach unzählige junge Männer plötzlich filigrane Silberkettchen wie die der fiktiven Figur um den Hals trugen.
Paul Mescals Vorliebe für ultrakurze Shorts – er schreibt sie dem Gaelic Football zu – führte dazu, dass die Männermodewelt auf einmal kollektiv über die richtige Schrittlänge von kurzen Hosen diskutierte. Und auf Tiktok haben sich längst Tutorials verbreitet, die zeigen, wie man ein T-Shirt kürzt, damit es just so über dem Hosenbund endet. Dabei gibt es mittlerweile unzählige Modemarken, die es so zum Kauf anbieten, von Abercrombie & Fitch bis Balenciaga.
So könnte Mescal mit seinem Händchen für romantische Kleidung eine gänzlich unromantische Entwicklung in der Herrenmode befeuern, die bei den Frauen längst Alltag ist: für weniger Stoff mehr Geld zu verlangen.