«Virtual Beauty» im Haus der elektronischen Künste in Basel hinterfragt den Schönheitswahn in der digitalen Welt.
Manche Werke dieser Ausstellung können verstörend sein. So warnt das Begleitheft zur Schau «Virtual Beauty» im Haus der elektronisches Künste (HEK) in Basel. Doch es gibt hier keine Gewalt und kein Blut zu sehen. Es geht um Schönheit. Da schauen uns schon im Eingang drei wohlgeformte Frauengesichter im Grossformat an. Es ist ein und dieselbe Frau, nämlich Kylie Jenner, eine amerikanische Influencerin und die jüngste der Kardashian-Schwestern. Der Künstler Daniel Sannwald hat ihr mittels KI ein Make-up verpasst, das ein Auge von ihr zerfliessen lässt wie eine farbige Wunde. Es sieht aus, als habe man ihr einen Schlag versetzt.
Sonderbar und schaurig ist das, obwohl der Eingriff nicht gross ist. Das Gesicht ist noch auf die gleiche glatte Weise schön, doch es ist eine Verzerrung darin, die tatsächlich verstörend wirkt. Das gilt für einige Werke in «Virtual Beauty». Die gut inszenierte Schau arbeitet mit Face-Filtern, Avataren, digital erzeugten Wesen zwischen Mensch und Tier. Die Werke bewegen sich in einem Grenzbereich zwischen Technik und menschlicher Physis. Sie zeigen Parallelwelten, in die man einsteigen und mit denen man interaktiv spielen kann. Doch die Unterhaltung ist zwiespältig. Denn es wird einem bewusst, wie sehr diese Welten unsere Realität bereits durchdrungen haben.
Face-Filter sind in den sozialen Netzwerken allgegenwärtig und werden zur Selbstinszenierung im Netz genutzt. Man mag lächeln über dieses Versteckspiel mit Identitäten, das vor allem jüngere Menschen beschäftigt. Doch welcher Riss in der Selbstwahrnehmung tut sich auf, wenn Gesichtsfilter als Vorlage beim Schönheitschirurgen eingesetzt werden, wie dies in Amerika bereits üblich ist? Der Künstler Bunny Kinney gibt darauf eine Antwort, die Operationen überflüssig macht. Sein Werbefilm «The product is youTM» stellt ein Implantat vor, das man sich ins Gehirn einsetzen lassen kann. Es korrigiert die Wahrnehmung des eigenen Gesichts in Echtzeit und erzeugt sozusagen ein inneres Spiegelbild, das permanent die idealisierte Form des eigenen Selbst zeigt.
Geradezu subversiv weist Kenneys Werk auf die Schnittstelle zwischen Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung von aussen. Was finden wir an uns schön, und was sehen die anderen? Was gilt überhaupt als schön? Die Schau im HEK gibt dazu höchstens eine indirekte Antwort. Sie umkreist das Thema als Kaleidoskop von Fragestellungen. Die künstlerischen Deutungen von Schönheit bleiben dabei immer eng am Gesicht und am Körper. Seelische Schönheit ist kein Faktor. Oder spielt sie doch mit? Immerhin trägt jeder Gesichtsausdruck innere Bewegung an die Oberfläche.
Fühlende Sexpuppe
Gefühle gehen sonderbare Wege in der Filmarbeit von Arvida Byström. Die raumgrosse Installation lässt eine Puppe sprechen, die als Sexspielzeug dient. Die Kamera fährt an dem lebensecht modellierten Körper entlang und transformiert ihn zum fühlenden Wesen, das kommunizieren will. In einer Sequenz des Films liegt die Puppe über dem Schoss der Künstlerin wie eine Pietà. Es ist eine Arbeit, die das Gegenteil von dem aufruft, was eine Sexpuppe signalisieren soll. Eine Art von Mitgefühl gegenüber dem Wesen, das aus seiner Funktion als Objekt heraustritt, dringt wie ein leiser Grundton durch die verführerischen Bilder.
Das Changieren zwischen Künstlichkeit und Belebung, zwischen Kritik und Verführung gilt hier für viele Arbeiten. Digital generierte Influencerinnen führen ein Ideal von Schönheit vor und übertragen die Künstlichkeit von Videogames auf das Leben. Die Perfektion ihrer Körper ist das Ergebnis von Algorithmen. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, welches Ideal von Schönheit in der virtuellen Welt eigentlich verfolgt wird. Seine Makellosigkeit, die durch die Daten tausendfach übereinandergelegter Gesichter und Körperformen erzeugt wird, ist wie eine Folie und sehr austauschbar. Doch gerade diese Beliebigkeit scheint ein Teil der Verführungskraft dieses Ideals zu sein.
Die Formbarkeit eines Gesichts kann rasch ins Horrible kippen. Ben Cullen Williams hat die Gesichter von Männern und Frauen, die ihm ihre Selbstporträts zur Verfügung gestellt haben, mittels eines speziell trainierten KI-Programms bearbeitet. Das Ergebnis ist eine Serie von Grotesken. Die Gesichter wurden derart verändert, als seien sie durch Krankheit oder Verletzungen deformiert. Die Arbeit von Williams führt vor Augen, dass das Grauen ebenso wie die Schönheit machbar ist.
Makellose Künstlichkeit
Schönheit wird auch hier fast ausschliesslich mit Weiblichkeit identifiziert, nur wenige Werke der Schau arbeiten mit männlichen Gesichtern und Körpern. Weibliche Gesichter kommen öfters unters Messer. Das Werk der französischen Performancekünstlerin Orlan zeigt in einer Live-Übertragung von 1992, wie ihr Gesicht zum wiederholten Mal durch chirurgische Eingriffe neu gestaltet wird. Orlan, deren Kunstname an ein kosmetisches Produkt erinnert, ist eine Pionierin der Body-Art und Kritikerin eines standardisierten Schönheitsideals. Ihre Form der operativen Körpermanipulation ist allerdings auch heute noch ethisch fragwürdig.
In der virtuellen Welt braucht es keine Schönheitsoperationen mehr. Die Fragwürdigkeit von Idealen ist an einem anderen Punkt angelangt. Wenn man die digital erzeugten Gesichter und Körper betrachtet, fällt unübersehbar deren Künstlichkeit ins Auge. Das lebendige Vorbild ist zwar der Ausgang der Schöpfung, doch nur das künstliche Bild kann perfekt im Sinne von Fehlerlosigkeit sein. Die Oberflächen der virtuellen Bilder sind makellos wie ein technischer Apparat. Wie selbstverständlich diese Künstlichkeit bereits im kollektiven Bewusstsein einer jüngeren Generation verankert ist, ist beängstigend. Das Horrible kommt immer auf leisen Sohlen.
«Virtual Beauty», Haus der elektronischen Künste, Basel, bis 18. August.