Freitag, November 29

Das Furttal wird Schauplatz eines spektakulären Experiments.

Das Furttal liegt ziemlich genau zwischen Zürich und Baden und ist dank dem S-Bahnhof Otelfingen auch an beide Städte gut angeschlossen. Doch das Tal selbst ist weitläufig und nur recht dünn besiedelt. Nicht alle Weiler sind durch eine Buslinie miteinander verbunden. Und die Busse, die es gibt, fahren teilweise erhebliche Umwege. Das ist nicht sehr effizient.

Das Furttal ist klassisches Autoland. Und genau diesen Umstand will der Kanton Zürich nun zu einem Vorteil für den öV machen: In einem Pilotprojekt soll getestet werden, wie automatisch fahrende Fahrzeuge den öffentlichen Verkehr ergänzen könnten.

Überraschend ist das Tempo, in dem das Projekt auf den Weg gebracht wurde: Erst in diesem Jahr hat der Bund die Rahmenbedingungen geschaffen, die automatisiertes Fahren in der Schweiz ermöglichen. Dass der Kanton Zürich nun schon ein entsprechendes Projekt bereithält, sei Ausdruck davon, welchen Stellenwert der öV hier habe, sagt Regierungsrätin Carmen Walker Späh: «Wir waren in diesem Bereich schon immer führend. Nun wollen wir auch beim automatisierten Fahren vorangehen.»

Laufe alles nach Plan, dann würden die Zürcher «europaweit zu den Ersten gehören, die führerlose Fahrzeuge» im öffentlichen Verkehr einsetzten. So formulierte es Walker Späh (FDP) am Donnerstag. Die kantonale Volkswirtschaftsdirektion spannt für den Versuch mit den SBB zusammen. Für das auf fünf Jahre ausgelegte Pilotprojekt haben die Bundesbahnen 5 Millionen Franken budgetiert. Der Kanton Zürich steuert 3,8 Millionen bei.

Wegbereiter für automatisiertes Fahren

Ab kommendem Sommer sollen vier automatisierte Fahrzeuge in Hüttikon, Dänikon, Boppelsen und anderen Ortschaften des Furttals unterwegs sein. Die Zahl der Haltestellen würde sich dabei verdoppeln oder sogar verdreifachen. Das Prinzip des öV ohne Chauffeur geht so: Per App können Anwohnerinnen und Anwohner einen Wagen zu einer Haltestelle in ihrer Nähe bestellen und sich von dort aus zu einem anderen Haltepunkt chauffieren lassen. Bezahlt wird ebenfalls über die App.

Beim kantonalen Amt für Mobilität verantwortet Pascal Kern das Pilotprojekt. Er blickt den Tests mit Vorfreude entgegen. Auf Anfrage der NZZ sagt er: «Ich bin so gespannt wie selten in dreissig Berufsjahren.» Sein Enthusiasmus ist begreiflich: Das Furttaler Projekt ist eines der ambitioniertesten ÖV-Experimente im ganzen Land.

Der Shuttle «Self-E» der Stadtzürcher Verkehrsbetriebe fuhr 2018 nur durch das Werksgelände der VBZ. In Schaffhausen darf ein fahrerloser Minibus zwar auf die richtige Strasse, doch seine Route begrenzt sich auf eine gerade Strecke. Zudem ist die Höchstgeschwindigkeit des Wagens aus Sicherheitsgründen stark begrenzt. Ein aktuelles Projekt in Bern ist bisher am weitesten ausgereift. Es konzentriert sich aber auf Warentransporte.

Das Vorhaben im Furttal sei ungleich anspruchsvoller als die bisherigen Projekte, sagt Kern: «Wir wollen Personen befördern – ganz automatisiert und in normalem Verkehrstempo.» Gelingt das, könnte das ähnlichen ÖV-Projekten in der ganzen Schweiz den Weg ebnen. Es wäre aber auch für das automatisierte Fahren insgesamt ein grosser Fortschritt.

Der Mensch ist bald nur noch Beifahrer

Bevor es so weit ist, steht allerdings technische Kleinarbeit auf dem Programm. In einer ersten Phase wird es darum gehen, die Gegend zu erkunden und präzise zu vermessen. Das ist wichtig, damit die fahrerlosen Wagen sich später gut orientieren können.

Für die ersten Fahrten mit Passagieren bedarf es einer Bewilligung vom Bundesamt für Strassen. Doch Kern ist zuversichtlich, dass man diese bekommen wird: «Wir haben die Vorarbeit seriös gemacht, und die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt läuft hervorragend.»

Anfänglich wird ein Techniker im Auto sitzen. Dieser könnte in einer Notsituation die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen. Später wird der Fahrer bloss noch auf dem Beifahrersitz Platz nehmen – und schliesslich, wenn alles sicher ist, ganz verschwinden.

Eine Leitstelle wird die automatisierten Fahrzeuge allerdings pausenlos überwachen. In kritischen Situationen würde die Software des Autos die Zentrale alarmieren.

«Enormes Potenzial» für die Regionen

Barbara Schaffner (GLP), die Gemeindepräsidentin von Otelfingen, freut sich, dass ihre Gemeinde an dem Versuch teilnehmen darf. Sie sagt zur NZZ: «Wir sind absolut begeistert von dem Projekt.» Auch in den anderen Furttaler Gemeinden stosse das Vorhaben auf viel Gegenliebe.

Schaffner erhofft sich von der Testphase einen Schub für den öffentlichen Verkehr in der Region. Es gebe in der Gemeinde immer wieder Debatten über fehlende Busverbindungen zu später Stunde sowie am Wochenende. «Diese Lücken werden wir mit dem Pilotprojekt schliessen können», sagt Schaffner.

Weil die automatisierten Fahrzeuge eine kostengünstige, aber effektive Ergänzung zum konventionellen öV bieten könnten, würde es die Gemeindepräsidentin begrüssen, wenn das Angebot dereinst verstetigt würde.

Aber schon heute profitiere das Furttal von den Plänen des Kantons und den SBB, sagt Schaffner: «Wir sind ein technologiefreundlicher und innovationsstarker Standort. Die Pilotprojekte unterstreichen diese Ausrichtung.»

Auch die Volkswirtschaftsdirektorin Walker Späh sieht das Projekt als Teil einer wirkungsvollen Standortentwicklung. Wenn es gelinge, Regionen wie das Furttal künftig besser an die Zentren anzubinden, könnte dies ein «enormes Potenzial» freisetzen, sagt sie.

Davon ist auch der Projektverantwortliche Pascal Kern überzeugt. Er verweist auf die USA. «Durch kalifornische Städte fahren bereits heute Hunderte Robotaxis – ohne dass es zu grösseren Zwischenfällen kommt.» Für Kern gehört es zu den Zielen des Furttaler Pilotprojekts, automatisiertes Fahren nun auch nach Europa zu holen.

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