Luzern, Barcelona, New York: Immer mehr Orte schränken die Vermietung von Unterkünften an Touristen ein. Airbnb wehrt sich.
Hoch über den Dächern Berlins, im 13. Stock des «Hauses des Reisens», sind die Büros der Buchungsplattform Airbnb. Zu DDR-Zeiten wurden hier die Ferien in die sozialistischen Bruderländer genehmigt, heute will Airbnb Tourismus für alle zugänglich machen.
Doch das Unternehmen aus Kalifornien hat mächtige Gegner. Regierungen und Behörden auf der ganzen Welt gehen seit Jahren gegen die Plattform vor. Der Vorwurf: Airbnb nehme den Einheimischen in den Städten den dringend benötigten Wohnraum weg. Dagegen wehrt sich Kathrin Anselm, Chefin für Zentral- und Osteuropa.
Frau Anselm, Sie verantworten bei Airbnb fünfundzwanzig Länder, von Deutschland bis Turkmenistan. Dazu gehören Hotspots wie Berlin und Luzern, aber auch touristisch wenig erschlossene Staaten in der ehemaligen Sowjetunion. Wie bringen Sie das zusammen?
Deutschland ist nach China und den USA der drittgrösste Reisemarkt der Welt. Auch die Schweiz wächst. Die Suchanfragen für Unterkünfte dort sind innerhalb eines Jahres um 50 Prozent gestiegen. Osteuropa hingegen fokussiert stärker auf die Gastgeberseite: Mehr als 50 Prozent der Hosts sind Frauen. Für viele ist es das erste unternehmerische Unterfangen ihres Lebens.
Indem sie ihr Zuhause zum Geschäft machen?
Wir nennen das Homesharing. Wir haben auf unserer Plattform 8 Millionen Unterkünfte und ein bisschen mehr als 5 Millionen Gastgeberinnen und Gastgeber. Die meisten von ihnen vermieten nur eine Wohnung oder eine Unterkunft, und das typischerweise auch nur für ein paar Monate im Jahr. Den Rest der Zeit wohnen sie selbst dort.
In Zentral- und Westeuropa verbünden sich immer mehr Städte gegen Airbnb. Regierungen werfen dem Unternehmen vor, die Wohnungsnot zu verschärfen und zum Overtourism beizutragen. Was sagen Sie dazu?
Wir stellen mit unserem Geschäftsmodell die bestehenden Tourismusstrukturen infrage, und zwar erfolgreich.
Die ursprüngliche Idee von Airbnb, ein Gästezimmer in der eigenen Wohnung zu vermieten, ist in den Hintergrund gerückt. Vermietet werden in vielen Fällen ganze Wohnungen oder gar Häuser.
Ich möchte einen Punkt klar hervorheben: 9 von 10 Nächten weltweit werden in Hotels gebucht. Pauschalreisen machen vom Gesamtreisemarkt immer noch 30 bis 40 Prozent des Buchungsvolumens aus. Dieser Kontext ist wichtig, denn dort sind die Massen.
Sie streiten nicht ab, dass auf Airbnb Unterkünfte angeboten werden, die man auch an Einheimische vermieten könnte.
Ich finde es wichtig, dass man die Daten sprechen lässt. Wenn man einmal Barcelona als Beispiel nimmt: Offizielle Statistiken der Stadt zeigen, dass nur 3 von 10 Nächten auf Airbnb gebucht werden. Weniger als 1 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes ist auf Airbnb gelistet. Aus unseren Daten wissen wir auch, dass der grösste Teil des Angebots von Homesharern stammt. Das entzieht keinen Wohnraum.
Der Bürgermeister von Barcelona hat kürzlich erklärt, das Vermieten von Wohnungen an Touristen bis Ende 2028 zu verbieten.
Overtourism ist ein Fakt, das Thema existiert. Er wird getrieben von den Tatsachen, dass die Leute in Hotspots reisen und alle Tourismusakteure wachsen wollen. Wir müssen alle unserer Verantwortung gerecht werden. Was aber gerade passiert, ist ein Blaming. Grosse Player stellen sich hin und sagen: Airbnb ist schuld.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Erklärung des Bürgermeisters von Barcelona gehört haben?
Wenn Barcelona das so umsetzen will, ist es das gute Recht der Stadt, das zu tun. Wir sind Unterstützer von Regularien und halten sie ein, auch wenn wir sie teilweise für unverhältnismässig halten. Denn sie entziehen auch jenen Hosts, die niemandem Wohnraum wegnehmen, die Geschäftsgrundlage. Ihnen wird verunmöglicht, am Tourismus zu partizipieren.
Wie arbeiten Sie mit den Behörden dieser Städte zusammen?
Wir wollen ein guter Partner sein, gehen regelmässig ins Gespräch und versuchen, aufzuklären. Dazu gehört etwa das Teilen von Daten und Best Practices. Manchmal können wir so aufzeigen, dass es bessere Lösungen gibt.
New York hat vor einem Jahr harte Regeln eingeführt. Anbieter müssen sich bei den Behörden registrieren lassen und selber in der Wohnung, die sie vermieten wollen, leben und anwesend sein. Das Angebot ist um mehr als 80 Prozent eingebrochen.
Wir wissen heute, dass genau das nicht eingetreten ist, was sich die Vertreter der Stadt New York versprochen hatten: günstigere Mieten. Auf den Wohnungsmarkt hatte das Gesetz überhaupt keinen positiven Einfluss. Im Gegenteil, die Mieten sind gestiegen, und mehr freie Wohnungen gibt es auch nicht. Die Einzigen, die profitieren, sind die Hotels: Deren Preise sind unerschwinglich geworden.
In Luzern dürfen Gastgeber ab 2025 ihre Unterkünfte noch maximal neunzig Tage im Jahr vermieten. Auch das Tessin und der Kanton Genf kennen eine solche Limite. Ist das eine Art von Regulierung, mit der Sie leben können?
Wir respektieren den Entscheid, wir haben uns aber sehr kritisch dazu geäussert. Eine solche Beschränkung ist nicht einfach umzusetzen und zu kontrollieren. Und der grösste Haken ist, dass der Entscheid auch die Homesharer trifft: Er limitiert die Einnahmen, die sie erzielen dürfen. Es gibt bessere Beispiele als New York oder Luzern für eine effektive und verhältnismässige Regulierung.
Wie sähe eine Regulierung im Sinne von Airbnb aus?
Ich würde einer Stadt ein digitales Registrierungssystem empfehlen, wie es die neuen EU-weiten Regeln vorsehen. Darin müssen die Gastgeberinnen und Gastgeber auch Daten über ihre Buchungen liefern. So herrscht volle Transparenz darüber, wer welche Unterkunft vermietet und wie viel Aktivität auf dem Listing ist.
Das allein schränkt die Anzahl der Unterkünfte aber nicht ein.
Homesharing im Kern nimmt keinen Wohnraum weg. Und es muss möglich sein, dass alle am Tourismus teilhaben können, die das wollen. Das darf nicht nur Hotels vorbehalten sein.
Die Kritik richtet sich selten gegen Homesharer, sondern gegen die gewerblichen Vermieter. Diese besitzen oft gleich mehrere Wohnungen in einem Gebäude oder in einem Quartier.
Es gibt Städte, wo man sich schon fragen muss, warum grosse Immobilienportfolios einfach so an ausländische Investoren verkauft wurden. Aber es ist ein Mythos, und das möchte ich hier klar sagen, dass einzelne Investoren mit dem Staubsauger durch die Städte gehen, Wohnungen aufkaufen und sie dann auf Airbnb listen. Ich nehme die Stadt Berlin als Beispiel: Ohne Registrierungsnummer kann keine Wohnung, kein Zimmer, kein Haus auf Airbnb gelistet werden.
Sie wohnen selbst in Berlin. Vermieten Sie Ihre Wohnung auf Airbnb?
Aktuell nicht. Früher schon, weil ich sehr viel gereist bin für meinen Job und meine Wohnung teuer war. Damit konnte ich in der Zeit, in der ich nicht da war, meine Nebenkosten decken.
In der Schweiz kostet eine Nacht in einer Unterkunft von Airbnb durchschnittlich 80 Franken. Wer setzt diesen Preis?
Der Gastgeber oder die Gastgeberin.
Ist man da völlig frei?
Ja, Sie können auch 500 Franken verlangen. Der Markt wird entscheiden, ob das angemessen ist oder nicht. Airbnb gibt als Plattformbetreiber lediglich Anhaltspunkte, welche Preise für eine vergleichbare Unterkunft in der näheren Umgebung verlangt werden.
Und wie stellen Sie die Qualität der Unterkünfte sicher?
Das Herzstück der Qualitätssicherung ist unser Bewertungssystem: Der Gast bewertet den Gastgeber, und der Gastgeber bewertet den Gast. Die Bewertungen werden erst freigeschaltet, wenn beide etwas geschrieben haben. Wir haben mehr als 1,5 Milliarden Gästeankünfte und knapp 1 Milliarde Bewertungen verzeichnet. Das ist ein unfassbar grosser Datenbestand und ein greifbares Qualitätsmerkmal. Diese Bewertungen können Sie nicht fälschen.
Regelmässige Airbnb-Nutzer wissen, dass man eine Unterkunft mit weniger als 4,5 Sternen besser nicht bucht. Was nützt ein solches Bewertungssystem?
Da geht es mir wie Ihnen, ich buche nichts unter 4,8. Auch bei Booking.com würde ich nie etwas unter 9,0 buchen. Meine Nichte aber, sie ist 19 Jahre alt, findet alles ab 7,5 völlig in Ordnung. Jeder ist da anders. Nur weil wir unser Bewertungssystem nicht von 1 bis 5 voll ausnutzen, ist es nicht weniger aussagefähig. In der Schweiz haben zum Beispiel 90 Prozent der Gastgeber eine Bewertung von 4,8 oder darüber. Die machen einfach einen richtig guten Job.
In den USA kleben Gastgeber in den Unterkünften einen Sticker an den Kühlschrank, auf dem sie um eine 5-Sterne-Bewertung bitten. Da steht auch, dass Airbnb Unterkünfte schliesst, die mit weniger als 4,3 Sternen bewertet sind. Stimmt das?
Die Stickers kenne ich nicht, und ich würde das auch nicht so unterschreiben. Aber es stimmt, dass wir uns die Qualität der Unterkünfte sehr genau angucken. Wir haben im vergangenen Jahr weltweit mehr als 100 000 Unterkünfte von der Plattform genommen, weil sie nicht unseren Standards entsprachen.
Airbnb bietet auch immer mehr Hotelzimmer an. Ist das die logische Erweiterung des Geschäfts?
Es ist der kleinste Teil unseres Angebots. Das Kerngeschäft von Airbnb ist Homesharing. Damit einher gehen Reiseerlebnisse, die Menschen verbinden. Hotels passen da nur bedingt zu uns. Am besten passen noch Boutique-Hotels, die Charakter haben. Für grosse Hotelketten gilt das nicht unbedingt.
Wie expandiert man als Airbnb in neue Märkte?
Ich würde hier gerne an das Thema Overtourism anknüpfen. Die Antwort lautet nämlich Reiseentzerrung.
Bitte erklären Sie das.
Wenn wir als Tourismusunternehmen wachsen und gleichzeitig den Massentourismus reduzieren wollen, ist es eine der Lösungen, dass wir Menschen zu Destinationen locken, die sie nicht auf dem Schirm hatten.
Wie geht das?
Wir haben den Heiligen Gral noch nicht gefunden. Aber wir testen, wir probieren Dinge aus. Die Frage lautet: Wie schaffen Sie es, dass jemand beim Besuch einer Website auf neue Ideen kommt? Sagen wir, Sie möchten Ferien buchen, denken aber darüber nach, dieses Mal vielleicht nicht nach Mallorca zu gehen. Hier müssen wir einhaken.
Dann schlägt Airbnb statt Mallorca eine Alternative vor?
Ja, dafür haben wir die flexible Suche entwickelt. Sie sagt: Sag uns einfach mal, wann du kannst und was du dir vorstellst, und dann zeigen wir dir ein paar Destinationen.
Und Sie glauben, dass das den Massentourismus auflösen wird?
Unsere Daten zeigen, dass die Menschen, die die flexible Suche nutzen, tatsächlich seltener in die zwanzig beliebtesten Destinationen reisen als Menschen, die die flexible Suche nicht nutzen. Das macht mich hoffnungsvoll. Denn so können wir neue Märkte erschliessen und die Menschen gleichzeitig an andere Orte lenken.
Wenn Sie an die schönste Airbnb-Unterkunft denken, in der Sie je übernachtet haben: Lag diese in einem touristischen Hotspot?
Ich habe gerade gezählt, ich war schon in fünfzig Unterkünften. Die schönste war wohl ein Ferienhaus in Südfrankreich, zwölf Kilometer ausserhalb von Cannes, auf einem Grundstück mit zwei Häusern. Im kleineren Haus wohnte die französische Familie, das grössere Haus vermietete sie, weil sie sich dadurch diverse Sachen leisten konnte. Es gab einen Gemüsegarten mit Feigenbäumen, Kürbissen und Tomaten, die wir am Abend auf den Grill geschmissen haben. So etwas findet man in einem Hotel einfach nicht.