Der Walliser wollte unbedingt in eine Exekutive und landete als «Monsieur AHV» beim BSV. Nach der Prognosen-Panne dürfte es für ihn dort ungemütlich werden.
Nett und müde sah Stéphane Rossini aus. Womöglich hatte er zuvor schlecht geschlafen. Jedenfalls hatte er in seiner langen Karriere schon angenehmere Auftritte als die kurzfristig anberaumte Medienkonferenz am Dienstagvormittag. Der Chefbeamte musste der Öffentlichkeit mitteilen, dass «seinem» Amt für Sozialversicherungen (BSV) ein gravierender Rechenfehler unterlaufen ist.
Der AHV, dem «Chouchou-Sozialwerk der Schweizer» («Le Temps»), geht es weniger schlecht als prognostiziert. Das Defizit im Jahre 2033 dürfte «nur» 4 statt 7,3 Milliarden Franken betragen. Buchhalterisch mag das erfreulich sein. Politisch könnte das Ganze aber problematisch werden, wie erste Reaktionen zeigen. Die Diskussion um die Finanzierung der 13. AHV-Rente wird jedenfalls unter neuen Vorzeichen stattfinden, der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates basierte auf den falschen Prognosen.
«Ladykiller»
Was heute schon klar ist: Für das BSV und dessen Chef sind die fehlerhaften Finanzperspektiven eine Blamage. Die Glaubwürdigkeit ist aufs Erste ramponiert. Dabei galt Rossini lange Zeit als vertrauenswürdig. Gleich viermal haben die Walliser Wähler den Sozialdemokraten als Nationalrat nach Bern geschickt. Seine Karriere als Parlamentarier wurde 2014 mit dem Präsidium der grossen Kammer gekrönt. Doch Rossini wollte eigentlich mehr als «nur» der oberste Schweizer werden.
2017 stürzte er sich ins Rennen um die Walliser Kantonsregierung. Doch der Sitz war schon besetzt – von einer Frau aus dem minoritären Oberwallis, ebenfalls SP. Die amtierende Esther Waeber-Kalbermatten vereinte so viele Minderheiten auf sich, dass sie der welsche Humorist Thomas Wiesel einst unter Artenschutz stellen wollte. Rossini ging kläglich unter.
Ausgerechnet die Wähler seines Heimatkantons, dem er als Jäger und Musiker bis heute verbunden ist, beendeten seine politische Karriere. Der Flurschaden, den der verhinderte «Ladykiller» hinterliess, beeinträchtigte die Walliser Sozialdemokratie noch Jahre später. Doch Alain Berset hatte seinen Genossen nicht vergessen. 2019 machte ihn der damalige Innenminister zum neuen «Monsieur AHV», als Nachfolger von Jürg Brechbühl.
Rossini und Berset waren keine Weggefährten, wie es der Bundesrat und der frühere SP-Präsident Christian Levrat waren, im Gegenteil. Die beiden konkurrenzierten sich Ende 2011 um die Nachfolge von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Berset und Pierre-Yves Maillard gelang schliesslich der Sprung auf das offizielle SP-Ticket. Rossini und die Tessiner Nationalrätin Marina Carobbio fielen in der internen Ausmarchung durch.
Ähnlich erfolglos war Rossini bereits bei der Nachfolge für Moritz Leuenberger gewesen – wenn auch als Unterstützer. Er weibelte damals für die Kandidatur von Jacqueline Fehr, die schliesslich gegen Simonetta Sommaruga das Nachsehen hatte. Berset holte Rossini aber nicht wegen dessen polit-taktischen Gespürs ins BSV, sondern wegen dessen Fachwissen und Loyalität.
Schwarzpeterspiel beginnt
Rossini unterstützte Berset bei dessen vergeblichem Versuch, die AHV und die Pensionskasse gleichzeitig zu reformieren. Später, nach seiner Parlamentarierkarriere, durfte er im Gegenzug bereits das Schweizerische Heilmittelinstitut (Swissmedic) und die Eidgenössische Kommission für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung präsidieren. Nach seiner Ernennung Ende 2019 als BSV-Chef dominierte im Innendepartement schon bald die Pandemiepolitik. Mit der AHV 21 gelang im Herbst 2022 immerhin eine Reform.
Darauf folgte der Knall mit der Annahme der 13. AHV-Rente, jetzt die falschen Prognosen. Wie in der Schweiz üblich, werden auch nach dem Berechnungsfehler keine Köpfe rollen – zumindest nicht offiziell. Innerhalb des BSV könnte das Schwarzpeterspiel aber schon bald losgehen, zumal sich die Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider eine Vertrauenskrise rund um eines der wichtigsten Ämter nicht leisten kann. Ob sich Rossini unter diesen Umständen halten kann, wird sich zeigen. Am Freitag kann er seinen 61. Geburtstag feiern. Und später wartet vielleicht noch die eine oder andere Nacht mit wenig Schlaf.