Sie sehen aus wie schüchterne Gymnasiasten, gehören aber zur Weltspitze. Die Brüder Lebrun haben in Frankreich eine Tischtennishysterie ausgelöst.
Als die Lebrun-Mania ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, schmiss Félix den Schläger auf den Boden, sprang seinem Trainer in die Arme und zeigte mit dem Finger auf den Boden der Messehalle 4 in Porte de Versailles: Das ist sein Ort, seine Bühne. Die Menschen tobten, sie konnten nicht genug bekommen nach diesem dramatischen Viertelfinalsieg im olympischen Tischtennisturnier. Beladen mit schwarzem Rucksack und weisser Tasche, musste er noch etliche Ehrenrunden drehen.
Danach sagte der Trainer Nathanaël Molin zur NZZ: «Da ist etwas Besonderes bei ihm. Sie können es spüren. Ich kann es spüren. Jeder kann es spüren.»
Lieblinge der Fussballstars
Molin meint die Ausstrahlung des erst 17-Jährigen, der am Sonntag um Bronze im Männer-Einzel spielt und nächste Woche unter anderem mit seinem älteren Bruder Alexis, 20, im Teamwettbewerb antritt. Beide Lebruns zusammen – die Hysterie um die talentierten Jungstars, die mit ihren schwarzen Brillen auf den ersten Blick so gar nicht wie Spitzensportler aussehen mögen, dürfte noch einmal eine neue Stufe erreichen. Félix, als Fünfter der Weltrangliste der drittjüngste Top-Ten-Spieler der Geschichte, und Alexis, die Nummer 16, besitzen diese seltene Sportlergabe, die Beobachter in ihre Abenteuer hineinzuziehen, in ihre Freude, ihr Leid, in jeden ihrer Punkte.
Damit haben sie es an diesen Spielen in das Pantheon der omnipräsenten Franzosen geschafft. Im Fernsehen liefen sie in der vergangenen Woche fast so oft in der Endlosschleife wie der Schwimmer Léon Marchand, der Judoka Teddy Riner oder der Rugbyspieler Antoine Dupont. Während ihrer Matches schaute das Fussballidol Zinédine Zidane in der Halle vorbei, erkundigte sich Antoine Griezmann nach dem Wortlaut von Alexis’ Schreien und griffen sie selbst im amerikanischen Basketball-Dreamteam zum Smartphone: «Elektrisch» findet sie Tyrese Haliburton.
Il dit quoi Alexis Lebrun apres chaque point ?
Essai ?
Eussai !?
Assez ?
😅😄
Il est trop fort !— Antoine Griezmann (@AntoGriezmann) July 29, 2024
Der Trainer Molin sagt, das Speziellste an Félix Lebrun sei sein Charakter – wie er es in seinem Alter geschafft habe, sich in diesem ganzen Irrsinn auf sein Spiel zu fokussieren: «Er ist als Champion geboren worden.» Doch auch stilistisch bietet er Eigenheiten an. Félix – Alexis nicht – nutzt den Penholder-Griff, bei dem der Schläger wie ein Stift umfasst wird. Als Vierjähriger schaute er sich diese Technik in seiner Heimatstadt Montpellier bei einem Chinesen ab. Traditionell spielen nur Asiaten mit ihr und mittlerweile kaum einmal mehr die, weil die Rückhand mit ihr als anspruchsvoller gilt. Unter allen 172 Athletinnen und Athleten in der Halle 4 gibt es nur 6 mit dem Penholder-Griff.
Die Chinesen wanken
Die Lebruns kommen aus einer Tischtennisdynastie, der Onkel war dreimal an Olympischen Spielen. Jetzt sind sie Teil eines seltenen Angriffs auf die dominanten Chinesen. Der Schwede Truls Möregardh, Nummer 26 der Welt, eliminierte sensationell den Ranglistenersten, Wang Chuqin, und spielt am Sonntag als erster Europäer seit seinem Landsmann Jan-Ove Waldner 2000 in einem Olympiafinal – er trifft auf den Weltmeister Fan Zhendong, den Bezwinger von Félix Lebrun im Halbfinal.
Der junge Franzose selbst hat aus Möregardhs Exploit für die Zukunft die Lehre gezogen: «Es ist möglich!» Und seine Zukunft fängt schliesslich gerade erst an.
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