Ultrafeminin, aber auch rebellisch: Der bekannte Tüllrock ist vielseitiger, als man denkt. Das zeigen seine Geschichte und Trends wie der sogenannte «Balletcore».
Wenn heutzutage Celebrity-Garderoben versteigert werden, kann man fast immer davon ausgehen, dass die Preise für Aufsehen sorgen. Und so überraschte es kaum, als im vergangenen Januar der Tutu-Rock, der von der Schauspielerin Sarah Jessica Parker im Vorspann zu der Serie «Sex and the City» getragen wurde, bei einer Auktion in Los Angeles für eine stattliche Summe unter den Hammer kam. 52 000 Dollar zahlte ein Modefan für das bauschige Teil, gerechnet hatte man mit 8000 bis 12 000 Dollar.
Tragen wird der Besitzer den Rock vermutlich nicht, dabei wäre jetzt der Moment dafür da. Tutus, diese mehrlagigen, oft weissen oder pastellrosafarbenen Zuckerwattenröcke, die man eigentlich mit den Uniformen von Ballerinas verbindet, liegen wieder im Trend.
Chanel erklärte sie zum Leitmotiv seiner Haute-Couture-Kollektion aus dem vergangenen Januar, schliesslich ist es dieses Jahr hundert Jahre her, dass Coco Chanel erstmals Ballettkostüme entwarf. Marken wie Miu Miu oder Molly Goddard hatten sie in ihren Sommerkollektionen 2024. Und auf der London Fashion Week, die am letzten Montag zu Ende ging, sah man kurze und weit ausgestellte Tutus in den Kollektionen von Simone Rocha und JW Anderson.
Noch mehr Haut zeigte vergangene Woche die Sängerin und Tiktok-Influencerin Addison Rae bei der Verleihung der MTV Music Awards in New York: Ihr weisses Tutu bedeckte nur ihre Hinterseite und entblösste vorne ein Set aus weisser Unterwäsche.
Ballerina-Uniform
Für die meisten Menschen ist das eher nichts, erst recht nicht im Herbst. Im Tutu auf die Strasse zu gehen, an den Gedanken müssen sich viele vermutlich ohnehin erst einmal gewöhnen. Tutus wurden ursprünglich zunächst nur unter den Kostümen von Balletttänzerinnen getragen. Das änderte sich, als 1832 die Ballerina Marie Taglioni bei der Uraufführung des Balletts «La Sylphide» in Paris einen weissen glockenförmigen Rock zu einer enganliegenden weissen Korsage trug.
«La Sylphide» gilt heute als Inbegriff des romantischen Balletts, läutete eine neue Ära in der Welt des Tanzes ein – und der Look von Marie Taglioni wurde zur ultimativen Ballerina-Uniform. Im Laufe der Jahre wurden die Röcke kürzer und die Silhouette steifer, auch um die Fussbewegungen der Tänzerinnen besser zu zeigen. In den 1980er Jahren befreiten Stars wie Madonna das Tutu von seinem ultrabraven Image, indem sie es zu Lack und Leder kombinierten, gleichzeitig gehörten bauschige und rüschige Röcke zum opulenten Look jener Dekade.
Heute hat der sogenannte «Balletcore»-Trend die Aufmerksamkeit auf zahlreiche Entwürfe und Accessoires aus der Ballettwelt gelenkt, von Ballerina-Schuhen über Stulpen bis hin zu Schleifen und, natürlich, Pastellrosa. Das Tutu ist dabei tragbarer, eleganter und herbsttauglicher, als man annehmen mag. Zum einen muss es weder weiss noch rosa sein – ein Modell in Schwarz oder Nachtblau eignet sich zum Beispiel perfekt für einen Abendlook. Zum anderen bestimmen am Ende Länge und Silhouette, wie mädchen- und «ballerinahaft» ein Rock wirklich aussieht. Knie- oder wadenlange Varianten wirken erwachsener als sehr kurze Tutus, etwas weichere und flachere Tüllschichten dezenter als grosse Volumen. Durch die Kombination mit einem Sweatshirt, derben Stiefeln oder Sneakers wird die Romantik ein wenig gedämpft und das Tutu alltagstauglich. Hohe Pumps am Abend strecken dagegen die Silhouette, während ein Styling mit Ballerinas dann doch zu sehr nach Bühnenkostüm aussehen würde.
Wer sich von den vielen Stoffschichten nicht abschrecken lässt, wird feststellen: Tutus sind bequem, bieten Bewegungsfreiheit und passen zu vielen verschiedenen Körpertypen. Gerade im Hinblick auf die anstehende Partysaison in der Weihnachtszeit dürfte sich die Investition lohnen. So ein Tutu ist sowieso zum Tanzen gedacht.