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Das Sportsponsoring ist heute ein Milliardengeschäft. Angefangen hat alles mit einem braunen Pulver, erfunden von einem deutschen Apotheker in Bern. Zum 120. Geburtstag von Ovomaltine.
Manchmal klebt einem die Heimat zwischen den Zähnen: als Kind, wenn man den ganzen Vormittag dem Skilehrer nachgefahren war und zur Belohnung ein Glas Ovomaltine bekam. Oder später, wenn man sich auf Wanderungen ein Stück Ovo Sport in den Mund schob, diesen Riegel, hart wie eine Pressspanplatte.
Für manche Schweizer ist Heimat ein Ort, für andere schmeckt sie nach Kakao und Malz.
Ovomaltine ist Kult, seit genau 120 Jahren. Sie wird heute in allen Erdteilen getrunken, gegessen, genascht. Zu verdanken ist das einem Marketing, das verfing, bevor es den Begriff Marketing überhaupt gab: Ovomaltine setzte als eine der ersten Marken weltweit auf das Sponsoring von Sport-Events. Man war bei den Olympischen Spielen dabei, bei Skirennen, an der Tour de Suisse.
Ovo und Sport, viele Jahrzehnte ging das eine nicht ohne das andere. Dabei war Ovomaltine für etwas ganz anderes erfunden worden.
Im Schatten der Alpengipfel, in einer kleinen Berner Apotheke, pröbelte Georg Wander am Ende des 19. Jahrhunderts an einem Nahrungsmittel. Wander, ein aus Deutschland stammender Chemiker, suchte eine Formel gegen die damals verbreitete Mangelernährung. Er fand das Naturprodukt Malz und stellte daraus ein Extrakt her, das er als medizinisches Präparat in seiner Apotheke verkaufte.
Später übernahm Georg Wanders Sohn Albert das Geschäft. Albert, mehr Unternehmer als Erfinder, fügte dem Produkt seines Vaters etwas Ei, Milch und Kakao bei und gab ihm einen neuen Namen: Ovomaltine.
Die erste Büchse verkaufte Albert Wander im Jahr 1904. Sein Produkt bewarb er als «Kraftnährmittel für Bleichsüchtige, geistig Erschöpfte sowie schwächliche Frauen». Nach nur zwei Jahren expandierte Wander nach Italien und England, später in die USA, in die ganze Welt. Im Ausland heisst das Pulver bis heute «Ovaltine».
Ovomaltine wird eine stärkende Wirkung zugesprochen: zwei Plakate aus den Jahren 1970 (links) und 1949.
Ferdy Kübler fuhr mit Ovo zum Sieg
Ein Modegetränk wurde Ovomaltine in der Zwischenkriegszeit, als Wander den Vertriebskanal anpasste: Ovomaltine war nun im Detailhandel erhältlich. Und als im Jahr 1923 auf dem Gelände der Universität Bern ein Sportwettbewerb stattfand, stellte Ovomaltine einen Verpflegungsstand auf. Die Teilnehmer tranken aus weissen Pappbechern, auf denen in grossen Lettern der Ovomaltine-Schriftzug stand. Es war das erste bekannte Sportsponsoring der Schweiz.
Später suchte Ovomaltine grössere Bühnen. Und fand sie: Im Jahr 1932 übernahm man die offizielle Verpflegung der Athleten und Funktionäre an den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles. Insgesamt war Ovomaltine zwanzig Mal an den Spielen vertreten und ebnete so internationalen Marken wie Coca-Cola oder McDonald’s den Weg zum Sponsoring.
Michael Jucker ist Sporthistoriker an der Universität Luzern. Er sagt: «Ovomaltine war pionierhaft unterwegs im Sportsponsoring.» Die Marke habe es früh geschafft, dass die Menschen sie mit Sport in Verbindung gebracht hätten. «Ovomaltine war der Energydrink des 20. Jahrhunderts, sie galt als kräftigendes Getränk und wurde in der Folge von allen Bevölkerungsschichten konsumiert.»
Die Firma Wander, nun eine Aktiengesellschaft, wusste die Symbiose mit dem Sport auszunutzen: Bis in die achtziger Jahre war man an jährlich 200 regionalen, nationalen und internationalen Wettkämpfen für die Verpflegung zuständig. Und verkaufte Ovomaltine als vermeintlichen Zaubertrank für die Athletinnen und Athleten.
Der Radrennfahrer Ferdy Kübler fuhr an der Tour de Suisse mit einem Bidon Ovomaltine zum Sieg, als erster Schweizer überhaupt. In einem Dokumentarfilm erinnert er sich an damals: «Jeden Morgen gab’s Ovomaltine, und überall waren diese Stände. Ich glaube, dank der Ovomaltine konnten wir diese Leistung überhaupt erbringen.»
Ferdy Kübler stärkt sich mit einem Becher Ovomaltine, Juni 1948. Daneben eine Fahrergruppe, vereint in der Pause auf dem Weg von Zürich nach Davos, 1936.
Ski-Mania dank Ovomaltine
Doch in keiner anderen Sportart war Ovomaltine grösser, präsenter und erfolgreicher als beim Skifahren. Bei Wander war man in den frühen siebziger Jahren auf die Idee gekommen, eine Art Talentshow für angehende Skifahrerinnen und Skifahrer zu veranstalten: den Ovo-Grand-Prix. Daraus wurde ein Nachwuchsprojekt, wie es der Schweizer Sport bis dahin nicht gekannt hatte. Die Karrieren vieler Spitzensportler begannen bei diesem Rennen, darunter jene der Skirennfahrer Pirmin Zurbriggen und Marc Girardelli. Und auch die spätere Weltklasse-Tennisspielerin Martina Hingis nahm teil.
In der Öffentlichkeit wurde Ovomaltine zum Synonym für Sport, für Erfolg. Und für die Schweiz.
Der Sporthistoriker Michael Jucker sagt: «Ovomaltine vereinte mit der Schokolade, der Milch und der Bergwelt viel Schweizer Identität.»
Und so setzte sich die Zusammenarbeit fort: Vreni Schneider und Didier Cuche erhielten Sponsoringverträge, und später wurde Ovomaltine zum offiziellen Sponsor der Ski-Nationalmannschaft. Eine Zeitlang fuhren die besten Schweizerinnen und Schweizer ihre Rennen im orangen Ovo-Helm.
Ovomaltine nutzte den Sport als Testimonial. In den Werbespots im Fernsehen sah man die Ovo-Trinker wandern und, natürlich, Ski fahren. Auf den Slogan «Hesch dini Ovo hüt scho ghaa?» folgte das legendäre «Mit Ovo kannst du’s nicht besser. Aber länger».
Seit nun einem Vierteljahrhundert wirbt Ovomaltine mit diesem Spruch. Man hat es zwar in der Zwischenzeit auch mit anderen Kampagnen versucht, aber nichts davon blieb den Leuten in ihren Köpfen hängen.
Ausverkauf ins Ausland
Doch selbst ein Erfolg wie Ovomaltine konnte nicht verhindern, dass Wander ins Ausland verkauft wurde. Bereits im Jahr 1967 war die einstige Apotheke vom Pharmaunternehmen Sandoz übernommen worden. Als Sandoz dann zu Novartis wurde, sah man beim neuen Pharmariesen keinen Platz mehr für einen Lebensmittelhersteller, der im Laufe der Jahre auch die berühmten Schweizer Marken Isostar und Caotina auf den Markt gebracht hatte. Novartis verkaufte Wander im Jahr 2002 an Associated British Foods, eine Art Nestlé von Grossbritannien.
Plötzlich war das Schweizer Vorzeigegetränk fort und die Kritik am Wegzug laut. Ein Jahr nach dem Swissair-Grounding fürchtete man um den Ausverkauf des Vaterlandes. «Unsere Ovo, unser Land», das galt nun nicht mehr. Rückblickend hat der Verkauf aber wenig verändert. Das Ovomaltine-Pulver wird bis heute für den gesamten europäischen Markt bei Wander in Neuenegg bei Bern produziert.
Aus dem Sportsponsoring hat sich Ovomaltine mittlerweile zurückgezogen. Die Welt ist eine andere geworden: Auf Bildern, Fernsehaufnahmen und in den sozialen Netzwerken werden Sponsorennamen auf Trikots und Banden milliardenfach transportiert. Das hat neue, grössere, zahlungskräftigere Unternehmen angelockt. Für die Olympischen Spiele in Paris fliessen laut Schätzungen 1,5 Milliarden Euro an Sponsorengeldern. Samsung, Toyota und Airbnb gehören zu den grössten Gebern. Ihre Produkte haben mit Sport nichts zu tun. Genauso wenig wie damals Ovomaltine.
Der Sporthistoriker Michael Jucker sagt: «Der Wandel hin zu einer grösseren Bandbreite an Sponsoren ist nötig gewesen, um den Spitzensport weiter finanzieren zu können.» Dieser werde laufend professioneller und brauche mehr Geld.
Und so klingt die Geschichte von Ovomaltine ein bisschen wie ein Märchen aus alten Zeiten: ein Getränk aus Milch und Schokolade, das als gesund angesehen wurde. Hergestellt von einer Firma, die sich der Gesundheit der Leute verschrieben hatte – und nicht nur der Prosperität.
Und auch dem Sport haftete noch etwas Märchenhaftes an: Gedopt wurde damals nicht. Und wenn, dann höchstens mit Ovomaltine.