Beim Sominsai-Festival im japanischen Oshu rangelten jedes Jahr Horden von leichtbekleideten Männern um einen Hanfsack mit Glücksbringern. Nun endet die tausendjährige Tradition.
Eng beieinander und mit nacktem Oberkörper stehen Hunderte Männer im Koksekiji-Tempel in Oshu in der japanischen Präfektur Iwate. Sie sind lediglich mit einem Lendenschurz und dünnen Socken bekleidet und rangeln um einen Hanfsack, der mit Glücksbringern vollgepackt ist. Die Männer, die es schaffen, einen Talisman aus dem Sack zu holen, sollen vor einer Katastrophe geschützt werden.
Es sind Szenen vom Sominsai-Festival, einem der drei wichtigsten «hadaka matsuri». Das sind traditionelle japanische Volksfeste, die aufgrund der spärlichen Bekleidung der Teilnehmer auch «Feste der nackten Männer» genannt werden. Die rituellen Einzelheiten der drei grossen Feste variieren im ganzen Land, aber sie haben einen ähnlichen Inhalt: Es werden eine reiche Ernte, Wohlstand, gute Gesundheit und Fruchtbarkeit zelebriert.
VIDEO: Hundreds of naked men tussle over a bag of wooden talismans, performing a dramatic end to a thousand-year-old ritual in Japan that took place for the last time. The «Sominsai» festival is impacted by the country’s ageing population crisis. pic.twitter.com/Vmf4ofu2Ya
— AFP News Agency (@AFP) February 20, 2024
Nach über tausend Jahren endet die Tradition
Die Veranstaltung am vergangenen Wochenende bedeutete das Ende des traditionellen Volksfestes. Nach über tausendjähriger Geschichte fand es zum letzten Mal statt. Das Sominsai-Festival ist somit der jüngste japanische Brauch, der verschwindet, weil das Land schrumpft.
Japans Bevölkerung wird immer älter. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Hundertjährigen auf ein Rekordniveau. Über 90 000 Menschen im Alter von 100 oder mehr Jahren zählte das Land 2023. Gleichzeitig sinkt die Bevölkerungszahl seit mehr als zehn Jahren aufgrund der geringen Geburtenraten.
Der Druck auf die alternden Einheimischen ist zu gross
Die Überalterung hat nun auch die Veranstalter des Sominsai-Festivals zum Aufhören gezwungen. Sie haben beschlossen, das Fest einzustellen, weil die Teilnehmer in die Jahre gekommen seien und es einen Mangel an Nachfolgern gebe, die die Tradition fortführen könnten, berichtete die japanische Zeitung «Asahi Shimbun».
In einem Online-Beitrag räumte Daigo Fujinami, Oberpriester des Kokusekiji-Tempels, ein, dass es den Organisatoren nicht gelungen sei, genügend willige junge Teilnehmer zu finden, um den Druck auf die alternden Einheimischen zu mindern, die den Anforderungen des Rituals nicht mehr gewachsen seien. Vorschläge, das Festival auch für Männer ausserhalb der Stadt zu öffnen, lehnte Fujinami im Vorfeld ab. Dies entspräche nicht den «Kernritualen», die von Generationen von Einheimischen überliefert worden seien.
Frauen dürfen erstmals mitmachen
Das «Fest der nackten Männer» in Oshu war für den Ort auch eine Touristenattraktion. Es zog durchschnittlich über 3000 Besucher an, wie der Sender NHK berichtete. Doch nun kann der Tempel den Aufwand für ein solches Grossereignis laut dem Oberpriester Fujinami nicht mehr stemmen. «Sie können sehen, was heute passiert ist. Es ist schön, dass so viele Besucher hier sind. Aber hinter den Kulissen gibt der Anlass zu viel zu tun.» Nach der Corona-Pandemie haben die Veranstalter das Fest bereits verkürzt. Fand es zuvor traditionell in der siebten Nacht des chinesischen Neujahrsfests bis zum nächsten Morgen statt, endete es seit der Pandemie jeweils schon um Mitternacht.
Während mit dem Sominsai-Festival eine tausendjährige Tradition endet, hält ein anderes Fest dieses Jahr eine Neuerung bereit: Beim «hadaka matsuri» in der Stadt Inazawa dürfen erstmals Frauen teilnehmen. Die Organisatoren haben einer Gruppe von 40 Frauen nun erlaubt, am diesjährigen Fest mitzumachen. Sie dürfen ein Ritual des Festes bestreiten. Im Gegensatz zu den Männer sind sie vollständig bekleidet und dürfen lediglich in Tücher gewickeltes Bambusgras in den Tempel tragen. Der Höhepunkt des Festes bleibt hingegen den Männern vorbehalten. Dabei kämpfen Tausende in einem riesigen Gedränge darum, einen völlig nackten Mann zu berühren, der als «Gottesmann» bezeichnet wird. In der Hoffnung, dass er ihnen Glück für das neue Jahr bringt.
Lokale Aktivisten begrüssten den Entscheid, Frauen beim «hadaka matsuri» in Inazawa zuzulassen, als «längst überfälligen» Schritt für die Gleichstellung. Zuvor hatte seit der ersten Veranstaltung vor etwa 1250 Jahren ein striktes Frauenverbot geherrscht.