Ist es fair, dass ein linkskommunistisches Medium durch den deutschen Inlandsgeheimdienst beobachtet wird? Die Zeitungsmacher sehen sich in ihrer Pressefreiheit eingeschränkt.
Es ist kurz vor halb 12 Uhr, als der dünne, weisshaarige Mann im Plenarsaal des Berliner Verwaltungsgerichts ruft: «Dass ich Mitglied der DKP bin, bestreite ich gar nicht!» Die Abkürzung DKP steht für Deutsche Kommunistische Partei, und der Mann ist Dietmar Koschmieder, der Geschäftsführer der «Jungen Welt». Die Berliner Richter werden später am Tag entscheiden, dass die Beobachtung der überregionalen Zeitung durch den Verfassungsschutz zulässig ist.
Die «Junge Welt» ist die einzige deutschsprachige Tageszeitung, die noch im Verfassungsschutzbericht genannt wird. Laut der Behörde ist die «JW» gesichert linksextrem. Seit 1998 kam die Publikation insgesamt 23 Mal in dem jährlichen Bericht vor, zuletzt im Jahr 2023. Dagegen wollte sich der Verlag 8. Mai, bei dem die Zeitung erscheint, gerichtlich wehren.
Ein Eilantrag gegen die Nennung im Bericht wurde bereits im Jahr 2022 abgelehnt. Nun ist auch die Klage abgeschmettert worden. Die Zeitungsmacher wollen sich damit nicht abfinden. Die nächste Stufe wäre eine Revision beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg.
Links oder marxistisch-leninistisch?
In der DDR wurde die «Junge Welt» als das Organ des Zentralrats der FDJ, des kommunistischen Jugendverbands, gegründet. Noch heute bekennen sich die Autoren offen zur Denkschule des Marxismus. Doch das ist nicht verboten.
Was unterscheidet die «JW» von anderen Medien mit ausgeprägter politischer Schlagseite? Laut dem Verfassungsschutzbericht 2023 strebt die «JW» die «Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung nach klassischem marxistisch-leninistischem Verständnis an». Die Macher der Zeitung sagen, für sie sei der Marxismus lediglich ein Kompass zur Gesellschaftskritik.
KPD-Parteimitgliedschaft macht verdächtig
Doch laut dem Verfassungsschutz ist die Zeitung «mehr als ein Informationsmedium». Sie wirke als «politischer Faktor» und schaffe eine grosse Reichweite durch die alljährliche Rosa-Luxemburg-Konferenz. Eine Konferenz, an der auch schon die Politikerin Sahra Wagenknecht teilnahm.
Ausserdem sind laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz einzelne Redaktionsmitglieder und Gastautoren dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen. Sie sind beispielsweise Mitglieder der genannten kommunistischen Partei – die bei Wahlen unbedeutend ist. Ein Autor war zu DDR-Zeiten Offizier in der Nationalen Volksarmee.
Das reicht den Beamten für eine Beobachtung. Das heisst, die Mitarbeiter der Redaktion können mit den Mitteln des Verfassungsschutzes ausgespäht werden. Auch Vertrauenspersonen, sogenannte V-Männer, könnten eingeschleust werden.
Von Lenin und Luxemburg
«Wenn sie gute Arbeit machen, nehmen wir die gerne», witzelt Koschmieder. Doch sein Gesicht wird ernst, wenn er sagt, dass durch den Stempel der Beobachtung dem Verlag Werbeeinnahmen verlorengingen, Interviewpartner absagten und bei journalistischen Anfragen Informationen verweigert würden. Das alles erzählt Koschmieder im Büro der «JW» in Berlin. An der Wand neben den grauen Aktenordnern befinden sich ein Bronzeteller, auf dem Hammer und Sichel eingestanzt sind, sowie eine Plastik von Lenins Kopf.
Dass Lenins kommunistischer Terror in Sowjetrussland Millionen von Menschenleben auslöschte, scheint man hier locker zu sehen. In einem Text der «JW» vom Januar zu Lenins 100. Todestag wird er als «Realpolitiker der Revolution» bezeichnet. Der russische Tyrann Wladimir Lenin blickt Besuchern aus fast jedem Zimmer der Redaktion entgegen – ob als Poster oder Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch des stellvertretenden Chefredaktors Nick Brauns.
Brauns führt einen durch die Redaktion, um zu zeigen, dass es hier «keine Waffenlager» gibt. Dafür trifft man in jedem Zimmer auf von der Berliner Hitze geplagte Redakteure, Papier stapelt sich, an den Wänden hängen nostalgische Rosa-Luxemburg-Plakate, auch einmal ein gerahmtes Fidel-Castro-Porträt.
Der Verfassungsschutzbericht wirft der «JW» vor, dass es sich statt einer normalen Redaktion um «extremistische Personenzusammenschlüsse» handle, die «einen Umsturz anstreben». Der Geschäftsführer Koschmieder weist den Vorwurf von sich: «Wir versuchen täglich, eine gute Zeitung zu machen, die auch vom bürgerlichen Milieu gelesen wird. Für Umsturz ist gar keine Zeit.»
War das Verbot von «Compact» ein «Wink mit dem Zaunpfahl»?
Wie blicken Redaktion und Geschäftsführung auf das Verbot des Magazins «Compact»? Zum Zeitpunkt des Besuchs ist es erst wenige Tage her, dass das Bundesinnenministerium das rechtsextremistische Heft über den Weg des Vereinsrechts verbieten liess. Brauns sieht darin einen «Wink mit dem Zaunpfahl». «Unsere Angst besteht darin, dass man etwas gegen rechts instrumentalisiert, was dann gegen links verwendet wird», sagt er.
Dass die Sorgen der «JW»-Macher nicht ganz unbegründet sind, zeigt eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion aus dem Jahr 2021. Die Regierung sollte die Erwähnung der «JW» im Verfassungsschutzbericht erläutern.
In der Antwort heisst es, dass es das Ziel sei, die Öffentlichkeit über die verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu informieren und der «JW» damit den «Nährboden» zu entziehen. Ähnlich argumentierte das Innenministerium die staatliche Repression gegenüber «Compact»: Das Magazin sei das Sprachrohr der Rechtsextremen, um verfassungsfeindliche Ziele reichweitenstark zu verbreiten – deshalb müsse es verboten werden.
«Junge Freiheit»-Urteil von 2005 könnte wegweisend sein
Doch damit könnte sich der Verfassungsschutz schuldig machen, die Pressefreiheit einzuschränken. Diesen Schluss lässt auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2005 zu. Die Richter stellten fest, dass die Erwähnung der rechtskonservativen Wochenzeitung «Junge Freiheit» als rechtsextreme Publikation im Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalens eine unzulässige Einschränkung der Pressefreiheit darstelle. Die Nennung war damit verfassungswidrig.
Die blosse Kritik an Verfassungswerten reiche nicht aus, um eine Zeitung als verfassungsfeindlich zu klassifizieren, lautete die Begründung aus Karlsruhe. Sollten sie am Oberlandesgericht scheitern, wollen die Zeitungsmacher der «Jungen Welt» auch diesen Entscheid notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.