Sonntag, September 29

Der Cheforganisator der Zürcher Wirtschaftsverbände versuchte mit wechselndem Erfolg, politische Mehrheiten zu organisieren. Jetzt tritt er nach 14 Jahren ab.

Sein letzter grosser Schachzug war rückblickend kein erfolgreicher, aber er war typisch. Schnell, entschlossen. Kaum war der erste Wahlgang im Kampf um den zweiten Zürcher Sitz im Ständerat im Herbst 2023 vorbei, schaltete sich Robert Gubler ein. Die unglückliche FDP-Kandidatin Regine Sauter wurde fallengelassen, die bürgerlichen Parteien scharten sich hinter den SVP-Mann Gregor Rutz – gewählt wurde schliesslich Tiana Moser von den Grünliberalen.

Wenn es so etwas wie eine graue Eminenz der Zürcher Politik gibt, ist Gubler ein heisser Kandidat für den Titel. 14 Jahre trat er immer dann in Erscheinung, wenn es um die Macht im Kanton ging. Dabei hatte das FDP-Mitglied nie ein wichtiges politisches Amt inne, leitete nie eine politische Partei. Aber Gubler stand dem Forum Zürich vor, der gemeinsamen Plattform der Zürcher Wirtschaftsverbände. Erklärtes Ziel: im Kanton für stabile wirtschaftsfreundliche Mehrheiten zu sorgen.

Gubler schmiedete mit wechselndem Erfolg die bürgerlichen Wahltickets für die Kantonsregierung, denen er als Kommunikationsprofi einprägsame Namen wie «Top 5» gab. Das Prinzip: Unterstützt wird, wer die programmatischen Forderungen der Wirtschaftsverbände mitträgt. Jetzt tritt Gubler nach vier Wahlzyklen ab und übergibt die Leitung des Forums an den Steuerrechtsexperten Dominik Bürgy.

Herr Gubler, als Vorsitzender des Forums Zürich galten Sie 14 Jahre lang als der grosse, bürgerliche Strippenzieher . . .

Das stand so in den Zeitungen – ich wehre mich nicht dagegen.

Ihr Job war es, die zerstrittene bürgerliche Familie auf Linie zu halten. Wie geht das?

Wenn man keine institutionelle Macht hat, muss man sich Autorität anders verschaffen. Indem man immer ein wenig schneller ist und mehr weiss als die anderen. Wer sich zuerst bewegt, bestimmt.

Warum waren Sie schneller?

Weil ich mich mit strategischen Fragen befasste, während die meisten Parlamentarier oder Verbandsvertreter bereits voll mit Tagespolitik ausgelastet sind.

Wer war über die Jahre am schwierigsten auf Linie zu halten?

Das wechselte, je nach Anliegen. Aber als ich anfing, ging es stark um die Frage, ob man die CVP, die heutige Mitte, ausgrenzt oder involviert. Sie wusste damals nicht, ob sie mit links oder rechts zusammenspannen soll.

Sie haben damals dem CVP-Regierungsrat Hans Hollenstein die Unterstützung entzogen, er wurde abgewählt.

Inzwischen ist das geklärt. Die Mitte hat gelernt, dass sie nur im bürgerlichen Verbund Erfolg hat, wenn sie einen Sitz in der Zürcher Regierung will. Von den Linken bekommt sie nichts, die sind mit sich selbst zufrieden.

Das wiederholt sich nun mit der GLP, deren Stimmen Ihnen fehlen. Ist es erfolgversprechend, diese auszugrenzen?

Nein.

Warum tun Sie es dann? Vor den kantonalen Wahlen haben Sie der GLP die Liebe entzogen.

Das ist etwas anderes: Die Liebe entzieht man, wenn man jemanden im Boot haben will. Wenn es aufgeht, erhöht sich dadurch die Schnittmenge. Die GLP muss sich überlegen, wie sie sich so justieren kann, dass sie den Support der Wirtschaft bekommt. Das ist ein Lernprozess. Man muss sie nicht von Anfang an umarmen.

Und das funktioniert?

Natürlich funktioniert das. Die GLP will einen Regierungssitz – darum muss sie sich überlegen, mit wem sie ins Bett steigt.

Manche Unternehmer wählen die GLP auch so – was sagen Sie diesen?

Die GLP ist stark beim oberen Management und in der beratenden Zunft. Das sind erfolgreiche Leute, die aber von Politik oft keine Ahnung haben. Die Partei dient ihnen als idealistische Plattform, damit sie gesellschaftlich kommod sind. Aber der Preis ist ihnen nicht klar. Sie haben keine Ahnung von den KMU, die den Grossteil aller Angestellten im Kanton beschäftigen und die Entscheide der GLP ausbaden müssen. Die Grünliberalen sollten auf die Berufsverbände zugehen, dann lernen sie, wie weit diese in ökologischen Fragen schon sind.

Wann hören Parteien nach Ihrer Erfahrung auf Sie und wann nicht?

Wenn sie gerade eine sexy Agenda haben, auf die die Medien abfahren, brauchen sie mich eher nicht.

Sie müssen also zuerst verzweifelt sein?

Und in der Regel sind sie auch verzweifelt – wenn das in der Zeitung steht, drehen wieder alle durch. (Lacht.)

Wie mächtig waren Sie wirklich? Der Eindruck ist, dass der Einfluss der Wirtschaftsverbände auf die Politik früher grösser war.

Im Gegenteil. Früher machten alle Wirtschaftsverbände ihr eigenes Programm, ohne gemeinsame Strategie. Die Kantonsregierung verstand es gut, sie gegeneinander auszuspielen.

Können sich die Verbände das heute nicht mehr leisten, weil sie insgesamt schwächer geworden sind?

Ja, das geht heute nicht mehr. Auch weil die Professionalität des politischen Gegners stark zugenommen hat.

Warum gelingt es den Linken so viel besser, die Reihen zu schliessen?

Sie brauchen keine Energie für inhaltliche Absprachen. Sie sind ideologisch getrimmt und können sich voll aufs Handwerk konzentrieren. Wir hingegen müssen um gemeinsame Positionen ringen.

Aus wirtschaftsliberaler Optik müsste doch relativ klar sein, wo der Konsens liegt.

Nein, jeder versteht etwas anderes unter Liberalismus. Wir sind die Versammlung aller Besserwisser. Das muss man ein wenig domestizieren.

Welches ist die richtige Position?

Meine. (Lacht.) Nein, im Ernst: Es ist ein Abspracheprozess. Wir holen die politischen Schwerpunkte aller Verbände ab und fassen dann die Schnittmenge zu einem Programm mit fünf, sechs oder sieben Punkten zusammen. Was da drinsteht, stimmt. Das ist unsere Bestellung an die Politik. Damit gewinnt man aber noch keine Wahlen. Das ist Sache der Parteien.

Auf welchen Erfolg waren Sie in den 14 Jahren an der Spitze des Forums besonders stolz?

Die Wahlen 2015 waren grossartig, als wir alle fünf Kandidaten in die Regierung brachten. Dadurch ist ein Kitt entstanden.

Lässt sich daraus ein Erfolgsrezept ableiten?

Nein, ich kann all meine Papiere wegschmeissen, die Konstellation ist jedes Mal anders. Damals hat vieles gepasst: eine Formschwäche der Linken, ein schwieriges konjunkturelles Umfeld, eine Konstellation von Personen, die einfach stimmte.

Was war Ihre grösste Niederlage?

Das müssen andere sagen, ich habe das verdrängt. Es interessiert mich nicht.

Das ist das System Murat Yakin: 1 zu 6 verloren – wen kümmert das noch?

Das ist gut, das gefällt mir. Ein einzelnes Resultat ist nicht relevant. Mich interessiert nur die Strategie – und deren Wert bestreitet niemand.

Insgesamt ist die Bilanz des Forums aber durchzogen. In der Kantonsregierung legte die Linke zu, die FDP verlor einen Sitz, die Rückeroberung misslang.

Ja, das stimmt schon. Es sind aber aller Erfahrung nach immer exogene Faktoren, die Wahlen und Abstimmungen bestimmen. Darauf hat man keinen Einfluss.

Es gibt doch auch langfristige Entwicklungen. Verändert sich die Welt auf eine Weise, an die sich Wirtschaftsverbände anpassen müssen, um Erfolg zu haben?

Nein, in der Wirtschaft gibt es viel Konstanz. Es sind eher die Medien, die kein Verständnis für langfristige Prozesse und Entwicklungen haben. Sie beleuchten immer nur das, was gerade passiert, ohne ein Gedächtnis für das, was vorher war. Bei der Wirtschaft ist dieses Gedächtnis noch vorhanden.

Befindet sich der Wirtschaftskanton Zürich in einem schleichenden Niedergang?

Der Standort selbst noch nicht, aber die Rahmenbedingungen werden zusehends schlechter. Niemand kümmert sich darum, wie man Zürich fit macht gegenüber den Mitbewerbern. Das wäre die Aufgabe der Kantonsregierung, und die erledigt sie nicht. Das ist übrigens meine grösste Niederlage: dass ich die Regierung nie zu einer Standortstrategie bewegen konnte.

Wo sehen Sie Chancen für den Kanton Zürich?

Cluster-Strategien wie im Innovationspark funktionieren sehr gut: Sei es Luftfahrt, Robotik oder Biotechnologie. Es zahlt sich aus, solche Orte zu schaffen, auch wenn dies liberalen Ordnungspolitikern nicht passt, vor allem solchen aus der SVP. Denen muss man ab und zu sagen: Bei Standortstrategie geht es nicht um Ordnungspolitik, sondern um den Wettbewerb mit anderen Kantonen und internationalen Konkurrenzstandorten.

Wie stehen Sie zur Stadt Zürich?

Die Stadt Zürich ist ein interessantes Biotop. Ich gehe davon aus, dass die Arroganz der bestehenden Mehrheiten mit der Zeit einen Lernprozess bewirkt. Es ist wie immer: Die Bürgerlichen gewinnen nicht, weil sie viel besser sind, sondern weil die anderen wahnsinnig viel schlechter werden.

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