Die Krankenkassenprämien werden auch im kommenden Jahr steigen. Ein Gegenmittel wäre, wenn die Versicherten mehr selbst bezahlen müssten. In Bundesbern wird bald über einen solchen Vorstoss entschieden.
In der Schweiz steht der Prämienherbst bevor. Ende September wiederholt sich das alljährliche Ritual: Der Bund gibt die Krankenkassenprämien für das folgende Jahr bekannt. Auch dieses Mal dürften die Prämien deutlich steigen. Der Krankenkassenverband Santésuisse rechnet mit einer Erhöhung von rund 5 Prozent. Es wäre der dritte «Prämienschock», nachdem die mittleren Krankenkassenprämien bereits in den Vorjahren um 8,6 bzw. 5,4 Prozent zugenommen hatten.
Franchise seit 2004 nicht mehr angepasst
Die Diskussion, wie die Gesundheitskosten gesenkt werden können, wird wieder aufflammen. Ein Ansatz wäre, dass die Versicherten mehr aus der eigenen Tasche bezahlen müssten – und deshalb einen stärkeren Anreiz hätten, nur wenn nötig zum Arzt zu gehen.
Diese Idee steht auch hinter einer Motion der SVP-Ständerätin Esther Friedli, die in der Herbstsession beraten wird. Der Vorstoss verlangt vom Bundesrat eine Erhöhung der Mindestfranchise, die seit dem Jahr 2004 bei 300 Franken liegt. So viel müssen Krankenversicherte im Minimum jährlich an ihre eigenen Gesundheitskosten bezahlen.
Die Mindestfranchise sei seit zwanzig Jahren nicht mehr angepasst worden, gleichzeitig hätten sich die Gesundheitskosten verdoppelt, so argumentiert Friedli. Eine periodische Anpassung der Mindestfranchise sei deshalb angezeigt. Der Bundesrat hat die Motion vergangene Woche kommentarlos zur Annahme empfohlen. Damit ist es realistisch, dass es früher oder später zu einer Erhöhung der Mindestfranchise kommen wird.
Grosses Sparpotenzial
Mit diesem Schritt liessen sich die Krankenkassenkosten tatsächlich senken. Das zeigt nun eine Studie des Basel Center for Health Economics im Auftrag des Krankenversicherers Helsana, die der NZZ vorliegt. Das Sparpotenzial liegt laut der Studie bei 1,2 Milliarden Franken pro Jahr, wenn die Mindestfranchise von 300 auf 500 Franken steigen würde.
Die Basler Ökonomen Stefan Felder, Stefan Meyer und Kurt Schmidheiny werteten Daten der Helsana aus, des grössten Krankenversicherers der Schweiz, bei der jede sechste Person versichert ist. Im Kundenbestand gibt es viele Personen, die entweder die 300er-Franchise oder die 500er-Franchise haben.
Laut den Analysen passen die Versicherten ihr Verhalten an, wenn sie einen höheren Anteil an den Gesundheitskosten selbst bezahlen müssen. Personen mit der 500er-Franchise fragen rund 200 Franken weniger Gesundheitsleistungen pro Jahr nach als Versicherte mit der Mindestfranchise. Verglichen wurden dabei Personen mit ähnlichem Gesundheitszustand, Alter oder Einkommen. Die Autoren bezeichnen dies als «ökonomischen Spareffekt»: Dank den Verhaltensanpassungen sinken die Gesundheitskosten.
Darüber hinaus bezahlen Personen mit der 500er-Franchise ohnehin bereits einen grösseren Anteil der Kosten aus der eigenen Tasche. Das heisst, dass nicht die Krankenkassen und damit das Kollektiv der Versicherten dafür aufkommen muss. Durchschnittlich bezahlen diese Versicherten aber nicht 200 Franken mehr pro Jahr, sondern nur 160 Franken. Dies, weil es in jedem Jahr auch viele Versicherte gibt, die nicht zum Arzt müssen und die Franchise nicht ausschöpfen.
Prämie könnte für alle Versicherten sinken
Rechnet man den Effekt der Verhaltensänderung und der höheren Selbstbeteiligung zusammen, so sinken die Kosten für die Krankenkassen um 360 Franken. Hochgerechnet auf alle Personen in der Schweiz mit einer Franchise von 300 Franken ergeben sich Einsparungen von 1,16 Milliarden Franken. Mit diesem Betrag liesse sich die Durchschnittsprämie für sämtliche erwachsenen Versicherten in der Schweiz um rund 160 Franken pro Jahr reduzieren.
Dieser grosse Spareffekt kommt zustande, weil die 300er-Franchise in der Schweiz weit verbreitet ist. Laut Statistiken des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) haben 45 Prozent der Erwachsenen die ordentliche Franchise gewählt. Eine Erhöhung der Mindestfranchise von 300 auf 500 Franken würde mithin 3,3 Millionen Personen betreffen. Kinder bleiben aussen vor, für sie sind keine Änderungen geplant.
Höhere Belastung für chronische Kranke
Die Politik sieht sich allerdings einem Zielkonflikt gegenüber. Auf der einen Seite steht der Spareffekt: Bei einer höheren Kostenbeteiligung achten die Menschen stärker darauf, welche Gesundheitsleistungen sie wirklich benötigen. Auf der anderen Seite stehen soziale Aspekte: Die 300er-Franchise haben viele Personen gewählt, die häufig zum Arzt müssen, unter ihnen chronisch Kranke. Bei einer Erhöhung der Mindestfranchise müssten sie einen grösseren Teil ihrer Arztrechnungen selbst bezahlen.
SP und Gewerkschaften haben deshalb Widerstand gegen eine Erhöhung angekündigt. Allerdings würde die maximale Kostenbeteiligung nur moderat steigen, von gegenwärtig 1000 Franken pro Jahr (300 Franken Franchise plus höchstens 700 Franken Selbstbehalt) auf 1200 Franken (500 Franken Franchise plus 700 Franken Selbstbehalt).
Versicherte reagieren auf Anreize
Bisweilen herrscht in der Öffentlichkeit die Ansicht vor, dass die Menschen in Gesundheitsfragen nicht auf finanzielle Anreize achten würden. Die Gesundheit sei zu wichtig, als dass das Portemonnaie den Ausschlag gebe. Die Basler Studie zeigt nun das Gegenteil.
Schon frühere Studien hatten belegt, dass die Schweizer in der Krankenversicherung auf finanzielle Anreize reagieren. Die sogenannte Nachfrage-Elastizität liegt typischerweise bei –0,2: Wenn der Preis, den man selbst für eine Gesundheitsleistung bezahlt, um 10 Prozent steigt, geht die Nachfrage um 2 Prozent zurück. Diesen Mechanismus wollen sich die Befürworter einer Erhöhung der Mindestfranchise jetzt zunutze machen, um die Gesundheitskosten in der Schweiz zu senken.