Autos, Designerkleidung, teurer Schmuck: Vor allem die nicht enden wollende Immobilienkrise sorgt dafür, dass Chinas Konsumenten vor grösseren Anschaffungen zurückschrecken.
Die Huaihai-Strasse ist so etwas wie die Zürcher Bahnhofstrasse Schanghais. Auf beiden Seiten des Boulevards reihen sich teure Boutiquen an Juweliergeschäfte und edle Restaurants. Auch die meisten Uhrenmarken aus der Schweiz betreiben an der Huaihai-Strasse ihre Geschäfte.
An einer der grossen Kreuzungen bietet etwa die Marke Tissot ihre Uhren an. In den Vitrinen liegen sportliche Zeitmesser mit Preisen zwischen umgerechnet 800 und 1400 Franken.
Doch während sich an einem angenehm warmen Freitagabend auf der Strasse die Passanten drängen, ist der Tissot-Shop menschenleer. «Wir haben heute noch keine Uhr verkauft», gesteht eine der beiden Verkäuferinnen. An den Tagen zuvor sei es kaum besser gewesen. Woran das liegt? Die Verkäuferin zuckt mit den Schultern.
Anderen Uhrenmarken geht es nicht besser. Von Breitling über IWC, Jaeger-LeCoultre, Lange & Söhne und Hublot bis zu Omega – überall ist das Minus laut Brancheninsidern im zweistelligen Bereich. Auch die teuren Modelabels wie Hugo Boss, Gucci oder Burberry leiden. Die Verkaufszahlen westlicher Luxusmarken in China kennen derzeit nur eine Richtung: nach unten.
Tiefe Verunsicherung in der Mittelschicht
Der Grund dafür ist eine tiefe Verunsicherung bei der während der vergangenen Jahrzehnte schnell gewachsenen Mittelschicht. Denn fast alle der gut verdienenden Chinesinnen und Chinesen haben in Erwartung stetig steigender Preise grosse Teile ihrer Ersparnisse in Häusern und Wohnungen angelegt. Rund 70 Prozent der privaten Vermögen sind in Immobilien gebunden.
Im Hinterkopf schwebte stets der Gedanke mit, die Wohnung und das Haus irgendwann mit einem satten Gewinn verkaufen zu können. Diese vermeintliche Gewissheit sorgte dafür, dass Chinas Besserverdienende bei westlichen Luxusartikeln bereitwillig zugriffen. China war auf dem Weg, der grösste Markt für westliche Luxusartikel zu werden.
Doch damit ist es vorbei. Seit drei Jahren befinden sich die Immobilienpreise praktisch im freien Fall. Das hat dazu geführt, dass die Chinesinnen und Chinesen ihr Geld zusammenhalten.
Wein für 20 statt für 80 Franken
Statt der Flasche Wein für 80 Franken kaufen sie jetzt die Flasche für 20 Franken. Statt des Porsches wählen die Menschen ein preisgünstiges Modell eines chinesischen Herstellers. Und statt nach Europa zu reisen, gönnen sich viele nur noch den Kurztrip ins benachbarte Hongkong. «Der Markt für Luxusartikel korreliert eng mit dem Immobilienmarkt», sagt der Vertreter eines europäischen Luxuslabels.
Die Stimmung unter den Menschen ist schlecht. Nur noch 39 Prozent der Chinesinnen und Chinesen glauben, dass es ihnen heute finanziell besser geht als vor fünf Jahren. Vor Ausbruch der Immobilienkrise waren es noch 77 Prozent. Laut Angaben der Nationalen Statistikbehörde fiel das Konsumentenvertrauen im Juli auf ein neues Rekordtief.
Da wundert es kaum, dass die Zeiten, in denen man sich spontan eine teure Uhr gönnte, vorbei sind, und das womöglich unwiederbringlich. Denn dass die Preise für Häuser und Wohnungen je wieder die Höchststände der Vergangenheit erreichen, gilt als ausgeschlossen. Westliche Luxuslabels müssen sich folglich darauf einstellen, dass die satten Zuwächse auf dem chinesischen Markt Geschichte sind.
Die Detailhandelsumsätze steigen kaum noch
Die vor wenigen Tagen von Chinas Statistikern vorgelegten Zahlen zu den Detailhandelsumsätzen bestätigen den düsteren Trend. Im August kletterten die Umsätze im Detailhandel im Jahresvergleich nur noch um 2,1 Prozent; Analysten hatten mit einem Zuwachs von 2,5 Prozent gerechnet. Im Juli waren die Umsätze immerhin noch um 2,7 Prozent gestiegen.
Die chinesischen Händler von Schweizer Uhrenmarken gehen davon aus, dass es eher noch schlimmer werden wird, ehe sich in China die Lage bessert. In der Branche ist zu hören, dass die Verkäufe teurer Uhren bis frühestens Mitte kommenden Jahres weiter sinken würden.
Mittelbar könnte die Flaute am chinesischen Markt für Luxusartikel Folgen für die europäische Wirtschaft haben, denn die bedeutendsten Marken sind in Europa beheimatet, das Reich der Mitte war ihr wichtigster Markt. China stand bis vor kurzem für 23 Prozent der globalen Umsätze mit Luxusartikeln. Bis 2030 hätte die Quote gemäss Projektionen der Beratungsgesellschaft Bain auf 40 Prozent steigen sollen.
Hermès, Chanel und Rolex verbuchen weiterhin Zuwächse
Am chinesischen Markt für Luxusartikel gibt es derzeit nur noch ein Segment, in dem die Geschäfte noch halbwegs laufen: das absolute Top-Segment. Die kleine Schicht der chinesischen Milliardäre steckt Preisrückgänge bei ihren Immobilien ohne grössere Blessuren weg. Die Folge: Top-Marken wie Hermès, Chanel oder Rolex verbuchen beim China-Geschäft weiterhin Zuwächse.
«Die Top-Kunden reagieren kaum auf das schwierigere Umfeld», sagt Kathy Jiang, Expertin für Konsumgüter und Detailhandel bei der Beratungsgesellschaft Roland Berger in Schanghai. Diese Käufergruppe zeige wenig Markentreue und kaufe gewöhnlich vielmehr Produkte verschiedener Marken. Betroffen von der Krise sei in erster Linie das Segment von Artikeln mit Preisen zwischen einigen hundert und wenigen tausend Franken.