Vier der fünf deutschen Wirtschaftsweisen fordern das fünfte Mitglied, Veronika Grimm, zur Niederlegung ihres Mandats auf. Grund ist die anstehende Wahl in den Aufsichtsrat von Siemens Energy. Grimm hält dagegen.
Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Per Mail fordern die Vorsitzende Monika Schnitzer sowie drei weitere Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR, «Wirtschaftsweise») das fünfte Mitglied auf, das Beratergremium zu verlassen. Gemeint ist damit die Ökonomin Veronika Grimm, die an der Universität Erlangen-Nürnberg lehrt.
Die Aufforderung steht im Zusammenhang einem Aufsichtsratsmandat bei Siemens Energy, für das Grimm zur Wahl vorgeschlagen wurde. Das Schreiben ist mehreren Medien zugespielt worden und liegt auch der NZZ vor.
Mandat bei Siemens Energy
Die vier Unterzeichner begründen ihren Vorstoss damit, dass sich aus der Doppelfunktion bei Siemens Energy und im Sachverständigenrat «unweigerlich mögliche Interessenkonflikte» ergeben würden in Bezug auf Energie-Themen, die auch für den Rat von zentraler Bedeutung seien. In einer Antwort-Mail lehnt Grimm, einen Austritt ab: «Ich beabsichtige … nicht, mein Mandat niederzulegen.»
Der deutsche Energietechnikkonzern Siemens Energy (SEAG) hatte am 21. Dezember bekanntgegeben, dass der Aufsichtsrat der ordentlichen Hauptversammlung vom 26. Februar die Wahl zweier neuer Mitglieder, darunter Frau Grimm, in das Kontrollgremium vorschlagen werde. Diese sei eine «ausgewiesene Expertin für Energiemärkte und Energiemarktdesign».
In ihrer Mail bedauern die andern vier Wirtschaftsweisen, dass Grimm sie erst am 21. Dezember nach Bekanntgabe der Nominierung informiert habe. Damit habe man die Folgen nicht im Vorfeld erörtern können. In einem gemeinsamen Gespräch mit Grimm am 25. Januar habe man die Bedenken dargelegt und sie am 9. Februar auch Joe Kaeser, dem Aufsichtsratsvorsitzenden von Siemens Energy, mitgeteilt.
Keine Compliance-Regeln
Die Mail verweist darauf, dass der SVR bisher keine Compliance Regeln für solche Konstellationen habe, dies jetzt aber nachholen wolle. Man sehe indessen voraus, dass solche Regeln im konkreten Fall keine praktikable Lösung darstellen würden. Entweder würde sich die interne Diskussion dann auf deren Anwendung verlagern oder man müsse bei der Behandlung von Energiethemen auf Grimms Beteiligung verzichten, obwohl sie die grösste Expertin hierfür sei. «Deshalb möchten wir Dich bitten, Dich im Falle einer Wahl in den SEAG-Aufsichtsrat für eines der beiden Mandate zu entscheiden», heisst es weiter.
Ähnliches steht auch in einer am Mittwoch verschickten Stellungnahme im Namen der vier Wirtschaftsweisen. Das Sachverständigenratsgesetz von 1963 schliesse die Wahl eines Ratsmitglieds in einen Aufsichtsrat nicht aus. Allerdings habe die Sensibilisierung für Compliance-Themen in der öffentlichen Wahrnehmung zugenommen. Man sei «besorgt, dass diese Konstellation die Wahrnehmung des Rates als unabhängiges Gremium beeinträchtigen könnte».
Die Antwort von Grimm
In ihrer Antwortmail schreibt Grimm, die Mitgliedschaft in einem Aufsichtsrat sei rechtlich nicht zu beanstanden. Dies sei im Vorfeld ihrer Nominierung sowohl von Seiten der Bundesministerien als auch der Siemens Energy geklärt worden. Auch in der Vergangenheit hätten SVR-Mitglieder solche Mandate wahrgenommen.
Der Sachverständigenrat ist ein einflussreiches Beratergremium der Bundesregierung. Seine fünf Mitglieder werden auf Vorschlag der Regierung vom Bundespräsidenten berufen. Siemens Energy kann als Hersteller von Kraftwerken, Windturbinen und Ähnlichem von energiepolitischen Entscheiden direkt betroffen sein. Zudem hat die Bundesregierung dem Konzern im November eine Milliarden-Bürgschaft gewährt.
Wie tief der Konflikt ist, zeigt der Umstand, dass die vier Wirtschaftsweisen auch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner in den Verteiler ihrer Mail aufgenommen haben. Deutsche Medien verweisen zudem auf inhaltliche Differenzen zwischen Schnitzer und Grimm. Grimm hat die Wirtschafts-, Industrie- und Energiepolitik der Regierung wiederholt aus liberaler Warte kritisiert. Schnitzer steht ihr etwas wohlwollender gegenüber.
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