Der Gefangenenaustausch befreite Kljuschin aus einer Zelle in den USA. Dort sass er auch dank der Schweiz: Dem IT-Unternehmer wurden Skiferien in Zermatt zum Verhängnis.
Oft verlässt Verbrecher das Glück, wenn sie zu viel wollen. 93 Millionen Dollar sind sehr viel. Diese Summe hatten der russische Hacking-Experte Wladislaw Kljuschin und seine Komplizen bei digitalen Raubzügen am amerikanischen Aktienmarkt erbeutet. Seine Gier brachte Kljuschin eine Zelle in einem US-Gefängnis ein. Aber sein Wissen um russische Hacking-Künste und seine Nähe zum Kreml brachten ihn nun zurück in die Heimat.
Kljuschin war für Wladimir Putin wichtig genug, dass ihn der Kreml-Machthaber als Teil einer Gruppe russischer Straftäter gegen in Russland einsitzende Gefangene austauschte. Unter den von Russland freigelassenen Häftlingen war der «Wall Street Journal»-Korrespondent Evan Gershkovich, der unter dem fadenscheinigen Vorwurf der Spionage zu 16 Jahren Haft verurteilt worden war.
In der Schweiz wartete die Polizei
Dass Kljuschin als prominenter Tauschpartner zur Verfügung stand, liegt auch an der Schweiz. Sein Glück hatte den in Russland lebenden Kljuschin verlassen, als er im März 2021 etwas von seinem Geld ausgeben wollte. Das kann man sehr gut und sehr schnell im Luxus-Skiort Zermatt. Kljuschin flog mit seiner Familie in einem Privatjet nach Sitten, von wo er nach Zermatt weiterreisen wollte.
Stattdessen wurde Kljuschin in Sitten von der Schweizer Polizei mit einem amerikanischen Haftbefehl erwartet. Ein Auslieferungsantrag folgte sogleich. Auch Russland stellte solch einen Antrag, um seinen Staatsbürger zurückzubekommen – fand bei den Schweizer Behörden aber kein Gehör. Im Dezember 2021 wurde Kljuschin in die USA gebracht und dort etwas über ein Jahr später für schuldig gesprochen.
Kljuschin erhielt ein Strafmass von neun Jahren Haft. Seine Verteidigung hatte auf drei Jahre plädiert. Die Tat war ein besonders schwerer Fall von Insider-Handel: Dabei machte sich Kljuschin durch geschicktes Hacking von einem Outsider zu einem Insider, um genau zu wissen, wann er auf welche Wertpapiere an der Börse setzen musste.
Wladislaw Kljuschin hatte das russische Unternehmen M-13, einen Spezialisten für Cybersicherheit, gegründet und geführt. M-13 testete die Computersysteme seiner Kunden auf ihre Abwehrfähigkeit im Fall von Viren- und Hacking-Attacken. Diese Attacken setzten Kljuschin und vier Komplizen, so der amerikanische Vorwurf, aber auch selbst ein, um sich zu bereichern. Die vier Komplizen wurden nie verhaftet.
Kljuschin wusste, welche Aktien steigen oder fallen
Konkret verschaffte sich Kljuschin von 2018 bis 2020 Zugang zu den Geschäftsberichten Hunderter börsenkotierter Unternehmen, darunter Tesla, bevor diese publiziert und an die Börsenaufsicht SEC gemeldet wurden. Die Berichte waren vor der Publikation bei zwei amerikanischen Finanz-IT-Dienstleistern hinterlegt worden – und in deren Systeme drang der Russe ein. Kljuschin verfügte dann über Informationen, wie die Geschäfte der Firmen verlaufen waren, und platzierte entsprechend Wetten auf steigende oder fallende Kurse am Aktienmarkt.
Mit einem Einsatz von 9 Millionen Dollar hätten Kljuschin und seine Kumpane einen Gewinn von 93 Millionen Dollar erzielt, heisst es in der amerikanischen Begründung für das Strafmass. Davon entfielen rund 34 Millionen Dollar direkt auf Kljuschin. Er sammelte auch Geld von Investoren ein, die sich an dem Raubzug beteiligen sollten. Die Aktiengeschäfte wurden über mehrere Konten und Broker in verschiedenen Ländern verschleiert. Sie hätten dem amerikanischen Kapitalmarkt signifikanten Schaden zugefügt, so die Richterin.
So weit die wirtschaftskriminelle Seite von Wladislaw Kljuschin – doch es gibt auch eine politische Dimension, die nicht Teil der Verurteilung war: Zu den vier Komplizen von Kljuschin gehört der ehemalige M-13-Mitarbeiter Iwan Jermakow. Er wird von den US-Behörden auch wegen des Vorwurfs gesucht, Mitglied der Hacker-Gruppe Fancy Bear zu sein, hinter der wiederum der Militärgeheimdienst GRU vermutet wird.
Der Geheimdienstler Jermakow soll an Cyberangriffen auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 sowie auf Anti-Doping-Agenturen beteiligt gewesen sein. Auch Kljuschins Unternehmen M-13 unterhielt enge Kontakte zur russischen Regierung und profitierte von Staatsaufträgen. Der amerikanische Staatsanwalt bezeichnete Kljuschin laut der Nachrichtenagentur Reuters als einflussreiche Person mit Verbindungen in die höchsten Ränge der russischen Gesellschaft.
Keine politische Anklage
Kljuschins Anwalt wehrte sich 2021 gegen die Auslieferung an die USA mit der Begründung, die Vorwürfe des Insider-Handels seien vorgeschoben, um von seinem Mandanten Informationen über russische Hacking-Aktivitäten zu erhalten – und damit politisch motiviert. Das hätte die Auslieferung erschwert. Die Schweiz folgte dieser Sichtweise nicht.
Als wahrscheinlich darf jedenfalls gelten, dass der 43 Jahre alte Kljuschin einiges über Hacking-Methoden weiss. Für Putin wird es kein Nachteil sein, den IT-Spezialisten wieder im eigenen Machtbereich zu haben.