Freitag, September 27

Seit Mittwoch führt ein Rundkurs durch die Stadt und mehrere Nachbargemeinden. Für Autofahrer hat das ärgerliche Folgen.

Der Mann mit dem undankbarsten Job der Stadt steht am Mittwochmorgen vor dem Fahrverbotsschild am Central und beugt sich fast im Sekundentakt hinab zu einem geöffneten Autofenster. An dieser Stelle kanalisieren sich stockender Verkehr und ohnmächtiger Ärger. Der Lotse trägt einen Overall in Warnfarben und ein demonstratives, entschuldigendes Lächeln im Gesicht.

Er beginnt jedes Gespräch mit einem «Guten Morgen!», obwohl er weiss, dass es für sein Gegenüber kein guter Morgen ist. Und am Ende sagt er: «Danke, dass Sie es so entspannt nehmen!» Denn die Botschaften, die er überbringt, sind keine Stimmungsaufheller: «Hier kommen Sie nicht durch.» – «Sie hätten informiert werden müssen.» – «Dafür brauchen Sie eine Ausnahmebewilligung.»

Phase zwei der Sperrungen wegen der Rad-WM ist seit Mittwoch in Kraft. Ein Rundkurs zerschneidet die Innenstadt und Anrainergemeinden, Querungen sind tagsüber nicht möglich.

200 Meter vom Central entfernt rollt das Nationalteam der Niederlande auf einer Trainingsfahrt vorbei, hinter Absperrungen, fast lautlos. Vom Hauptbahnhof hallt ein Hupkonzert herüber. Aus allen Richtungen vermengen sich Autos, deren Navigationssysteme eine Abkürzung zu kennen glauben, und gerinnen zu einer immobilen Masse.

«Katastrophe»

Lieferwagen steht an Lieferwagen. «Katastrophe» ist ein heisser Kandidat für das Wort des Tages. Beim Sanitär, dessen Zielort unerreichbar im Sperrgebiet liegt. Beim Mechaniker, dessen Kunde mit dem kaputten Drucker vergeblich auf ihn wartet. Und beim Kleiderlieferanten, der seit einer halben Stunde durch die City irrt.

Mittendrin ist auch ein 44-jähriger Treuhänder aus dem Kanton Aargau, der sein Büro beim Kunsthaus hat. Er deutet ungläubig auf das Display seines grauen BMW. Seit über einer Stunde sitzt er nun schon im Auto, weiter als 20 Kilometer ist er nicht gekommen.

Was er zu diesem Zeitpunkt nicht wissen kann: Seine Odyssee wird noch fast zwei Stunden dauern, durch ein Labyrinth schmaler Strassen am Zürichberg führen und zwei komplizierte Wendemanöver sowie etliche Umleitungsschilder später vor dem Hotel Dolder Grand hoch über Zürich enden. Schliesslich wird der Mann das Auto beim Zoo parkieren und mit dem Tram zurück in die Stadt fahren. Sein Fazit: «Unglaublich.»

Er sei auf das Auto angewiesen, um Kundentermine wahrzunehmen, sagt der Treuhänder. Bis Dienstag sei er noch problemlos durch die Stadt gekommen – dass das Verkehrsregime über Nacht geändert hat, hatte er nicht auf dem Radar. Er habe sich zu wenig informiert, sagt der Mann selbstkritisch. Am Donnerstag werde er den Bus und den Zug nehmen.

Das hat sich auch eine 46-jährige Pflegefachfrau aus dem Säuliamt vorgenommen, die am Universitätsspital arbeitet. Sie hat die Sperrungen schlicht vergessen und bezahlt dies mit einer 45-minütigen Verspätung. Zum Glück habe sie keine wichtigen Termine.

Es gibt aber auch die anderen: Mitten auf der Bahnhofbrücke steigt ein Mann entnervt aus einem eingekeilten Auto und hastet zu Fuss Richtung Central, in der Hoffnung, dort ein Tram zu erwischen. Auch er muss zum Unispital, aber als Patient – er droht seinen Termin zu verpassen.

Lotsen sollen den Verkehr umlenken

Nur bedingt glücklich über die Verkehrsführung zeigt sich am Mittwoch das Kinderspital, das für mehrere Tage komplett von der Rennstrecke eingeschlossen ist. Es ist zwar wie zugesichert über einen Checkpoint an der Plattenstrasse erreichbar, für Eltern mit einem Notfall genauso wie für solche mit Termin. Es gab laut einem Sprecher aber Verzögerungen, dies werde sich in den kommenden Tagen hoffentlich bessern.

Die städtische Dienstabteilung Verkehr hat inzwischen mehr als tausend Gespräche mit Gewerblern und anderen Personen geführt und sie beraten, wie sie von A nach B kommen. «Wir geben uns grosse Mühe, allen zu helfen», sagt die Sprecherin Nadja Häberli. Weil aber am Mittwochmorgen noch nicht alles optimal funktioniert habe, werde die Verkehrsführung für die nächsten Tage lokal leicht angepasst.

Grundsätzlich sei man mit dem Auto gut nach Zürich gelangt. Im Westen und im Norden der Stadt hätten sich die Sperrungen überhaupt nicht bemerkbar gemacht. Zu viele Autofahrer aber, die nicht von der Urania über die Rudolf-Brun-Brücke in den Seilergraben fahren konnten, seien über das Central ausgewichen. Dadurch sei es dort und in der angrenzenden Weinbergstrasse zu Verkehrsbehinderungen gekommen.

Damit sich dies ab Donnerstag nicht wiederholt, wird der Autoverkehr schon vor der Bahnhofbrücke Richtung Central abgefangen und über die Walchebrücke hinter dem Hauptbahnhof geleitet. Dies sei eine Verkehrsführung, die sich bei anderen Grossanlässen bewährt habe. Bei kleineren Staus werden Lotsen losgeschickt, um den Verkehr umzulenken.

Zu einem Missverständnis kam es laut Häberli am Mittwochmorgen in Witikon, wo der Verlauf der Rennstrecke im Vorfeld auf Kritik gestossen war. Die externen Helfer, welche die Gitter entlang der Strecke aufstellten, liessen entgegen einer Abmachung zunächst nicht alle Quartierbewohner an den dazu vorgesehenen Stellen queren.

Nichts geht mehr beim Klusplatz

Zurück im Chaos in Zürich. Der Fahrer eines weinroten Skoda muss raus aus der Stadt. Er hat einen Termin in Zumikon, ausgerechnet an diesem Mittwoch, da die Rad-WM nicht nur das Seefeld und das rechte Seeufer, sondern im Prinzip die halbe Innenstadt, Witikon und mehrere Nachbargemeinden in Beschlag nehmen.

Der Grund für das verschärfte Verkehrsregime: Von Mittwoch bis Sonntag führt ein Rundkurs vom Sechseläutenplatz über die Quai- und die Münsterbrücke das Limmatquai hinunter, zum Kunsthaus und dann weiter nach Fluntern, Witikon und fatalerweise auch nach Zumikon. Und dann über Küsnacht und Zollikon zurück in die Stadt. Von 6 bis 19 Uhr ist auf diesem Gebiet mit Staus zu rechnen. Das hätte man eigentlich wissen können, zumal die Stadt Zürich, die Seeufergemeinden und die Medien nach Kräften darüber informiert hatten.

Aber weil Autofahrer nun mal Autofahrer und daher überzeugt sind, dass sie selber immer irgendwie durchkommen, probiert es der Skoda-Fahrer trotzdem. Er kennt sich schliesslich aus in der Stadt. Man kann ja ausweichen, die Velo-WM umfahren, Schleichwege nutzen.

Das Problem: Er ist nicht der Einzige mit dieser Idee. Und dass beim Kunsthaus alles zu ist, hatte er nicht auf dem Schirm. Also hinauf zur Kirche Fluntern und dann weiter zum Dolder. Das klappt ganz gut, langsam zwar, aber es geht voran. Doch dann passiert es: Einmal falsch abgebogen, und in der Sonnenbergstrasse, die eigentlich zum Klusplatz führen würde, geht plötzlich gar nichts mehr.

Da ist er also, der Verkehrskollaps, vor dem die Gegner der Rad-WM gewarnt hatten, denkt sich der Autofahrer. Und jetzt?

«Hat jemand ein Brettspiel dabei?» – «Ich muss scheissen, das ist das grösste Problem!» – «Wir könnten Zmittag essen gehen, unsere Autos wären nachher immer noch da.»

Die beiden Mitarbeiter eines Labortechnik-Unternehmens und die anderen Männer auf der Strasse nehmen es mit Humor. Sie haben ihre Fahrzeuge verlassen und versuchen nun, die Zeit totzuschlagen. Einer von ihnen sagt: «Eigentlich ist es mir egal, wir werden schliesslich dafür bezahlt.»

Der Fahrer eines Lieferservice hingegen findet es nicht so lustig. «Ich muss heute an der Witikonerstrasse 200 Pakete verteilen. Geliefert habe ich noch kein einziges!», sagt der Mann, der zu Fuss das Trottoir vom Klusplatz her hochsteigt. Den anderen Automobilisten ruft er zu: «Alle umkehren, da unten ist die Strasse gesperrt!»

Der Skoda-Fahrer wendet ebenfalls. Zumikon ist weit weg. Er ist bereits seit zwei Stunden unterwegs. Bis er sein Ziel an der Forchautobahn endlich erreicht hat, wird eine weitere Stunde verstreichen. Der Umweg führt am Greifensee entlang, eine schöne Aussicht, immerhin.

«Gesperrt ist gesperrt»

Doch auf dem Rückweg in die Stadt biegt der Kombi erneut falsch ab. Der Mann am Steuer verfällt erneut der Schleichwegromantik. Hinunter nach Küsnacht, das geht bestimmt irgendwie. Doch an der Alten Landstrasse ist Schluss: Rennstrecke, die Strasse ist abgesperrt. Eine Frau will von einem Polizisten wissen, wie eine Bekannte von ihr ins Dorf kommen solle, sie habe einen Termin beim Zahnarzt. Der Ordnungshüter antwortet: «Sie muss zu Fuss gehen. Gesperrt ist gesperrt.»

Die Pöstlerin mit dem Moped vor der Barriere in Küsnacht sagt: «Es ist etwas umständlich heute.» Sie verteilt nur A-Post-Sendungen an diesem Tag. Auf dem Trottoir gesperrter Strassen fahren darf sie nicht.

Der Skoda-Fahrer kehrt erneut um, nimmt die Forchstrasse zurück in die Stadt. Schliesslich hat er beim Kanton eigens eine Zufahrtsbewilligung für das Teilstück und die Itschnacher Kreuzung heruntergeladen und ausgedruckt. Das zumindest klappt reibungslos auf dieser Irrfahrt, auf der Forchstrasse hinunter nach Zürich herrscht kaum Verkehr.

Früher oder später allerdings landen Autofahrer auch auf dieser Route unweigerlich in einer Sackgasse, also an der Rennstrecke. Und die kann nirgendwo überquert werden. Ein Transit durch die Stadt ist nicht möglich, auch nicht mit Zufahrtsbewilligung – darauf weist die Dienstabteilung Verkehr ausdrücklich hin.

Der Skoda-Fahrer bleibt ebenfalls stecken. 200 Meter oder drei Abzweigungen vor dem anvisierten Parkplatz im Seefeld heisst es erneut: «Gesperrt ist gesperrt.» Die beiden Helfer der Rad-WM an der Absperrung an der Zollikerstrasse sind unerbittlich. «Keine Chance.» Man solle es um 18 Uhr wieder probieren.

Da bleibt nur eines: Das Auto auf dem Trottoir parkieren und hoffen, dass die Stadtpolizei und die Kantonspolizei ihr Versprechen einhalten: Wildparkierer sollen während der Rad-WM nicht gebüsst werden, heisst es auf Anfrage.

Im Geografischen Informationssystem des Kantons sind die Strecken jedes Renntages eingezeichnet (Filter «Rad-WM» eingeben). Weitere Informationen finden sich auf den Websites der Stadt Zürich und der Nachbargemeinden.

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