Nach einem Update ging beim Zürcher Volksschulamt nichts mehr. Es ist nicht das erste Mal, dass Vikariate verspätet bezahlt wurden.
Dem Kanton Zürich fehlt es an Lehrkräften. Deshalb sind die Volksschulen auf Vikarinnen und Vikare angewiesen. Dabei handelt es sich um voll ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer oder um Studenten, die das Basisjahr abgeschlossen haben. Sie sind zur Stelle, wenn es sie braucht. Sie unterrichten Schulklassen zum Beispiel dann, wenn ein Lehrer ins Militär muss oder wenn eine Lehrerin in den Mutterschaftsurlaub geht.
Diese Vikariate dauern manchmal nur ein paar Tage, manchmal auch einige Wochen oder sogar mehrere Monate.
Ohne die Vikarinnen und Vikare wäre ein geregelter Schulbetrieb im Kanton Zürich nur schwerlich möglich. Im vergangenen Schuljahr zählte das Volksschulamt des Kantons insgesamt 24 800 solcher Vertretungen. Vor sieben Jahren waren es noch gut 15 000. Das entspricht einer Zunahme um 62 Prozent.
Viel Wertschätzung für ihre Arbeit wird den Aushilfslehrern im Moment aber nicht zuteil. Im Gegenteil: Hunderte von ihnen warten nun schon seit dem Sommer auf ihren Lohn.
Was ist da schiefgelaufen?
«Wünsche mir die alten Formulare zurück»
Seit einiger Zeit müssen die Zürcher Schulen alle Einsätze ihrer Aushilfslehrer in eine digitale Datenbank eintragen. Jeweils im Folgemonat sollte eine Software die entsprechenden Gehälter berechnen. Diese muss die Schulleitung genehmigen, dann wird die Summe an die Vikarinnen und Vikare ausgezahlt.
Doch das funktioniert im Moment nicht. Zumindest dann nicht, wenn man das entsprechende Programm mit einem iPhone zu benutzen versucht.
Der Zürcher SVP-Gemeinderat Stefan Urech arbeitet hauptberuflich als Sekundarlehrer. Er kennt das Problem aus seinem Alltag sehr gut. Er sagt, dass das Programm schon vor den Sommerferien abgestürzt sei – und bei ihm seither nicht mehr funktioniere: «Es ist enorm frustrierend. Wenn es so weitergeht, wünsche ich mir bald die alten Formulare auf Papier zurück.»
Noch grösser als bei Urech dürfte der Frust indes bei den Aushilfslehrern sein, die seit dem Ausfall der Software auf den Lohn für ihre Arbeit warten.
Wie viele Personen von den gegenwärtigen Problemen betroffen sind, weiss das zuständige Volksschulamt (VSA) nicht. Genaue Zahlen «liegen nicht vor», schreibt die Amtsleiterin Myriam Ziegler auf Anfrage der NZZ. Man habe die Situation aber dem Amt für Informatik geschildert.
Für iPhones kam die Lösung erst im September
Das technische Versagen erklärt Myriam Ziegler so: Für die Erfassung der Vikariate verwendet man eine Software auf SAP-Basis. Um sich in diese Software einzuloggen, brauchen die Benutzer eine App namens «SAP Authentificator». Für diese App sei vor den Sommerferien ein Update erschienen.
Doch nach dem Update ging nichts mehr.
Yasmine Bourgeois ist Schulleiterin und FDP-Gemeinderätin in der Stadt Zürich. Sie hätte vor den Ferien die Honorare für etliche Lektionen bewilligen sollen. Doch das war nicht möglich. Bourgeois schrieb eine E-Mail an das VSA. Dort hiess es: Ein weiteres Update habe den «SAP Authentificator» für Nutzer mit Android-Handys wieder brauchbar gemacht.
Dumm nur, dass Bourgeois das Programm mit einem iPhone benutzen wollte. Sie sagt: «Ich habe mehrere Male neue Anmelde-Daten angefordert, aber das nützte nichts. Am Ende hat man mir die Unterlagen eingescannt.»
Erst Anfang September stellte SAP schliesslich ein drittes Update zur Verfügung, welches den «Authentificator» auch für iPhone-Benutzer wieder zugänglich machte.
Seither hätten die fehlerhaften Updates auch beim VSA «zu einem grossen Mehraufwand» geführt, so Ziegler. Man habe gut 1500 Personen neue Log-in-Daten zustellen müssen, damit diese wieder auf die Software zugreifen konnten, sagt Myriam Ziegler.
«Überhaupt keine Verbesserung»
Stefan Urech ärgert sich über diesen Mehraufwand an den Schulen. «Die Vikariate sind ein perfektes Beispiel dafür, wie man Digitalisierung nicht machen sollte.» Ausserdem sieht er in dem Chaos um die Löhne der Vikare ein Indiz dafür, dass der Lehrerberuf immer bürokratischer werde.
Die neue Software sei so unübersichtlich, dass er damit schon vor dem Update kaum habe arbeiten können – obwohl er an seiner Schule IT-Beauftragter sei und sich stets an die 15 Seiten umfassende Anleitung gehalten habe. Und Yasmine Bourgeois ergänzt: «Für die Schulen ist das neue System noch komplizierter als früher. Es stellt überhaupt keine Verbesserung dar.»
Der administrative Aufwand an den Schulen wird also trotz Digitalisierung immer grösser.
Dabei hat die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) vor anderthalb Jahren einen Plan präsentiert, der genau das Gegenteil von Bürokratisierung versprach. Darin versuchte sie aufzuzeigen, wie sie den Lehrerberuf wieder attraktiver machen will, um dem anhaltenden Personalmangel zu begegnen. Eines der wichtigsten Versprechen damals: Der Alltag der Lehrerinnen und Lehrer an Zürcher Volksschulen sollte weniger bürokratisch werden.
Im Juli dieses Jahres bekräftigte Bildungsdirektorin Steiner ihr Versprechen, die Schulen administrativ zu entlasten. So soll zum Beispiel die obligatorische Zeiterfassung für Lehrkräfte entfallen.
Urech fühlt sich von der Bildungsdirektion im Stich gelassen. Er sagt: «Das VSA ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Und trotzdem bleibt so viel administrative Arbeit am Schulpersonal hängen. Das darf doch nicht sein.»
Amt gibt Schulen eine Mitschuld
Schon vor zwei Jahren gab es eine grössere Panne bei der Lohnbuchhaltung der Vikarinnen und Vikare. Damals wurden die Aushilfslektionen noch analog erfasst. Dass die Arbeit auch bezahlt wurde, musste mit einer Reihe von Formularen sichergestellt werden.
Doch dieses analoge System brachte die Schulverwaltung an den Rand einer Krise. Weil die Zahl der Vikariate zeitweise auf über 28 000 angestiegen war, geriet das System an den Anschlag. In der Folge mussten Hunderte Aushilfslehrer mehrere Monate lang auf ihr Gehalt warten.
Derlei Schwierigkeiten hätte das neue, digitale System eigentlich verhindern sollen – doch es kam anders.
Myriam Ziegler und das VSA geben den Schulen eine Mitschuld: Die Verzögerungen bei den Lohnzahlungen seien «nicht ausschliesslich auf die Software-Problematik» zurückzuführen. Es fehle den Schulen gelegentlich auch an Disziplin. «Immer wieder» würden Vikariate dem VSA zu spät oder nur unvollständig gemeldet.
Für allfällige Verspätungen hat Yasmine Bourgeois derzeit eine besonders gute Begründung: «Ich warte immer noch auf meine neuen Log-in-Daten.» Und Stefan Urech sagt: «Bei mir geht die App immer noch nicht.»