Freitag, November 29

Gleich zwei schwere Bücher gibt die Band Züri West zu ihrem 40. Geburtstag heraus. An der Vernissage vom Donnerstag in Bern aber mussten andere für die Musik sorgen.

Es gehe ihm noch gut, hört man in Bern, die Krankheit komme halt in Schüben. Dass Kuno Laueners Gedächtnis stark gelitten habe, das hat er selber gesagt, der Sänger der Berner Mundartgruppe Züri West. Gerne hätte man ihn dazu befragt, und ebenso gerne hätten ihn all die Leute gesehen, die sich an diesem Donnerstagabend in den Saal des Restaurants Lötscher drängen, einer Szenenbeiz im Breitenrain-Quartier.

Zwar sind der Sänger und mehrere Bandmitglieder an der Vernissage anwesend, treten aber nicht auf, ihre Musik spielen andere. Züri West sei «da in unseren Herzen», besänftigt Bänz Friedli das Publikum. Der Publizist muss eine Vernissage ohne Protagonisten moderieren, die der Fortsetzung von deren Karriere in einem anderen Medium gewidmet ist: Gesang und Musik in Buchform.

Natürlich fallen die Absenzen auf. Der Sänger von Züri West ist an multipler Sklerose erkrankt. Das hatte er der Öffentlichkeit vor drei Jahren über die «NZZ am Sonntag» mitgeteilt. Seither beschäftigt sich die Presse mit seiner Gesundheit, wenn sie über ihn schreibt. Das war auch so, als Züri West vor einem Jahr ihre letzte Platte veröffentlichte: Alle Songs wurden auf Hinweise über das Befinden des Sängers hin gescannt, als lieferten sie den Soundtrack seiner Krankheit. Und ja, «Loch dür Zyt», diese letzte Platte, bleibt arm an Gitarren und Vitalität, und Kuno Laueners Texte greifen nach dem Existenziellen.

Konzerte hat der Arzt verboten

Es gab weitere Schicksalsschläge im Leben des Sängers. Erst scheiterte die Beziehung zu seiner Partnerin Kristina, der Mutter seiner beiden Kinder. Dann starben nacheinander Kunos Mutter und sein Vater. Noch vor seinem 60. Geburtstag stand der Sänger vor den Trümmern seines Lebens und denen seines Körpers.

Und was jetzt? Klar ist allen, dass Züri West nie mehr wird auftreten können. Der Arzt habe es ihm verboten, sagt der Patient. Dass Lauener an der Buchvernissage nicht auftritt, lässt sich aus den Symptomen seiner Krankheit erklären: Stress verstärkt das Risiko sklerotischer Anfälle.

In einem früheren Interview hatte sich der Sänger vorgestellt, es könnte noch ein Büchlein über die Band herauskommen. Aus diesem Diminutiv sind fast fünf Kilo in doppelter Buchform geworden: ein von Chris Eggli konzipierter Bildband mit Texten von Samuel Mumenthaler, dem ersten Schlagzeuger der Band. Und ein zweiter Band mit Kuno Laueners Lyrik und originellen Illustrationen von ihm selber. Es fällt schwer, das Gewicht dieser Bücher nicht metaphorisch zu wägen: Eine Band mit ungewisser Zukunft wird von ihrer Vergangenheit erdrückt. So wollen es die sechs Musiker wohl nicht verstanden haben. Aber ihre Abwesenheit verstärkt den Eindruck.

Bücher für den Nierentisch

Zwar kann man sich fragen, ob diese Präsentation zu einer Band passt, die sich während der Berner Jugendbewegung der 1980er Jahre formiert hatte und sich stets als agiles Kollektiv betätigte. Zwei schwere Bücher für den Nierentisch, 156 Franken teuer, entspricht das dem Selbstverständnis von Züri West? Sind Texte in diesem Genre nicht zum Hören gedacht statt zum Lesen?

Aber die Bücher zeigen nicht nur die Vitalität von Züri West als Live-Band. Sie belegen auch Kuno Laueners Talent als Illustrator und Texter. Er bleibt der grösste Songschreiber der Deutschen Schweiz seit Mani Matter, den Züri West in mehreren Coverversion gefeiert hat. Kuno Lauener hat unsere Leben besungen.

Weshalb man beim Anschauen und Lesen nicht nur die Geschichte der Band reaktiviert sieht, sondern auch die eigene Vergangenheit. Die erste Begegnung mit den Bernern reicht fast vierzig Jahre zurück, in den Winter 1985, als sie «Splendid» veröffentlichten, eine Kurzplatte mit vier Songs darauf. Erst wollte man die gar nicht hören; die Hülle zeigte einen Saxofonisten mit öligem Haar, das sah veraltet aus für eine neue Band. Der Saxofonist war Kunos Vater, den die Band ohne Rückfrage auf ihr erstes Cover nahm. Er sah sich dann in den Berner Schaufenstern.

Aber sobald man die Platte auflegte, eine Live-Aufnahme aus einem Berner Kino, war man hin und kam nicht weg. Als Erstes spielten Züri West eine Coverversion von «Wägem Gäud», einem Stück von Polo Hofer, und Kuno sang: «I schtah hie obe / mache für öich dr Polo». Und wenn wir uns fragen würden, sang er weiter, warum er das mache in aller Welt, «so machen i das / wiu d Migros zaut». Manche Fans nahmen der Band das Sponsoring übel. Dabei konnte die Band erst nach vielen Jahren von der Musik leben. Zumindest für eine Weile.

Heimweh nach dem Ausland

Mit jeder Platte, jedem Stück und jedem Konzert erkannten sich mehr Leute in diesen Texten. Dabei kam Züri West nicht über die Deutschschweiz hinaus. «Wintertour» nannte sie ihr zweites Live-Album, das die geografischen Grenzen einer Mundartband schon im Titel karikierte.

Die Schweiz habe Heimweh nach dem Ausland, hat Peter Bichsel geschrieben. Kein Albumtitel von Züri West drückt diese Ambivalenz besser aus als «Bümpliz-Casablanca». Die Platte erschien 1989 und brachte den Durchbruch. Obwohl die Berner weitere gute Alben aufnahmen, «Züriwest» etwa von 1994 oder das vier Jahre später erschienene «Super 8», dokumentiert diese Platte die Band und ihren Lyriker auf dem Höhepunkt ihrer Definitionskraft.

Unvergessen auch ihr damaliger Auftritt in Zürichs Roter Fabrik, das war am 26. Mai 1989, einem Freitagabend. Die Aktionshalle war brechend voll, es roch nach Bier, Haschisch und Rotwein. Das Licht im Saal verglomm, die Band machte sich bereit, und Kuno schlurfte auf die Bühne und sagte, was kein anderer Sänger der Welt sagen würde: «Ich füele mi wie am erschte Schueltag.» Züri West legte los, die Halle tobte.

Man erinnert sich an diesen Satz, weil er so viel über das Selbstverständnis dieser Band aussagt. Und diese so viel über das verbreitete Gefühl einer Deutschschweizer Unsicherheit, ein Flecken zu sein voller Dialekte, die niemand ausserhalb versteht, nicht einmal im eigenen Land. Vielleicht braucht Kuno Lauener deshalb die Worte «irgendwär», «irgendwo», «irgendwie» und «irgendeinisch» so häufig in seinen Texten. Als wisse er selber nicht genau, wer er denn sei. Wie, wann, wo und wie lange noch.

Verschiedene Autoren: «Züri West. Die Texte». Zwei Bände, bebildert, Fr. 156.–.

Exit mobile version