Der italienische Schriftsteller Carlo Cassola schrieb 1949 eine Erzählung, in der er den Tod seiner Frau verarbeitete und die in die dreissiger Jahre zurückblendete. Ein stilles und umso bewegenderes Buch, das jetzt ins Deutsche übersetzt worden ist.
Eine Handvoll Männer steigt im Spätsommer 1937 in die bewaldeten Berge der Toskana. Ein halbes Jahr werden die Männer da oben bleiben, untergebracht in einer selbstgebauten Hütte, nur zu Weihnachten kehren ein paar von ihnen zurück zu ihren Familien. Tag für Tag, Woche für Woche schlagen sie das Holz in einem Waldstück, für das ihr Anführer eine Lizenz erworben hat. Die Arbeit ist hart, aber es ist immerhin Arbeit. Keiner murrt, und wenn die knorrigen Männer auch auf engstem Raum zusammenleben, so bleibt doch jeder für sich.
Der italienische Schriftsteller Carlo Cassola (1917–1987) hat das Buch «Ins Holz gehen» (im Original «Il taglio del bosco») 1949 geschrieben, als seine erste Frau im Alter von nur 31 Jahren gestorben ist. Der Verlust hat ihn erschüttert und ins Innerste getroffen. Der existenzielle Einschnitt spiegelt sich auch in seiner Literatur. Cassolas knapp hundert Seiten lange Erzählung zeigt den Menschen in seiner Kreatürlichkeit: Herausgerissen aus der gewohnten sozialen Gemeinschaft und den Kräften der Natur fast schutzlos ausgesetzt, erfahren die Männer eine Einsamkeit, die ihnen natürlicher erscheint als jede Geselligkeit.
Kargheit der Sprache
Cassola schrieb seine Erzählung in nüchterner Sprache und in einer aufreizend ereignislosen Langsamkeit, die damals auf viele Leser verstörend gewirkt haben muss. Zehn Jahre wartete der Autor, bis der Verlag Einaudi 1959 das Buch herausbrachte. Und gerade eben ist es in der präzisen Übersetzung von Marina Galli auf Deutsch erschienen. Keiner erzählt heutzutage mehr in diesem Zeitlupentempo. Doch gerade wegen ihrer Unzeitgemässheit hat die Erzählung ihre Dringlichkeit bewahrt. Sie führt das Erzählen wie das Dasein auf die elementaren Bestände zurück: die Genauigkeit des Beschreibens einerseits, der einsame Mensch in der Natur anderseits.
Dieses entschleunigte Erzählen und die Kargheit der Sprache zeichnen im Übrigen ein genaues Abbild von Cassolas Figuren: Man sieht den bedächtigen Gang der Männer, man hört sie ohne Hektik arbeiten im Wald, man schaut ihnen zu, wenn sie abends stumm vor Müdigkeit alsbald ins Schweigen verfallen. Schliesslich hat Cassola mit Guglielmo, dem Anführer der Gruppe, ein Abbild seiner selbst geschaffen. Auch der Holzfäller hat gerade eben die junge Mutter seiner zwei Kinder verloren. Stumm vor Schmerz flüchtet er sich in die Arbeit. Wenn er redet, dann immer nur das Nötigste, doch kaum einmal sagt er ein Wort über den Verlust.
Zwischen den Kriegen
So hat Carlo Cassola seine Trauer in ein Werk gekleidet, in dem das Verstummen emblematisch festgehalten wird. Bezeichnend ist allerdings auch die Zeit, in der die Ereignisse spielen. Die Gruppe der Holzfäller steht gleichsam zwischen den Kriegen, in einer historischen Zäsur. Unter ihnen sind Männer, die noch im Ersten Weltkrieg gekämpft haben, und solche, die nicht darauf warten können, endlich Militärdienst zu leisten: ahnungslos, dass sie ein Krieg erwartet.
Dieses 1949 geschriebene Buch ist nicht nur das Requiem für eine Verstorbene. Es ist auch ein schreckensstarrer Blick zurück auf ein Land, das aus Verheerungen hervorgegangen ist und dem bereits weitere bevorstehen.
Carlo Cassola selbst hatte sich bald nach 1939 mit Glück dem Kriegsdienst durch Flucht entziehen können, später schloss er sich der Resistenz an. Seine literarische Karriere erreichte 1960 mit dem Roman «La ragazza di Bube», für den er den renommierten Premio Strega erhielt, ihren Höhepunkt. «Ins Holz gehen» ist ein bewegendes Buch gerade darum, weil darin für ein halbes Jahr die Zeit stillsteht.
Carlo Cassola: Ins Holz gehen. Aus dem Italienischen von Marina Galli. Kampa-Verlag, Zürich 2024. 108 S., Fr. 31.90.