Freitag, November 29

Yuki Iwamura / AP

Amerikaner lieben Paraden, und diese eine lieben sie ganz besonders: Die Macy’s Thanksgiving Day Parade war am Anfang ein ziemlich skurriler Werbegag. Heute ist sie eines der wichtigsten Ereignisse im amerikanischen Festtagskalender.

Der letzte Donnerstag im November läuft in den USA immer so ab: 3,5 Millionen Menschen stehen frühmorgens auf und drängen sich durch die Häuserschluchten von New York. Sie kämpfen um die besten Plätze an der Sixth Avenue und am Central Park. So auch in diesem Jahr, wenn die Parade ihr 100-Jahr-Jubiläum feiert.

5000 Helfer ziehen 20 Meter grosse Luftballons durch die Strassen New Yorks. Die Ballons sind mit Helium gefüllt und schweben über den Köpfen der Zuschauer. Es sind die Helden der amerikanischen Unterhaltungs- und Werbeindustrie: Klassiker wie Mickey Mouse, Snoopy, Spider-Man, Ronald McDonald. Aber auch neuere Figuren wie Olaf, der tollpatschige Schneemann aus dem Disney-Film «Frozen». Die Parade legt fest, welche Figur zum amerikanischen Kanon gehört. Kommerz als nationale Folklore.

Amerika liebt die grosse Show. Vielleicht ist die Parade für die Amerikaner deshalb zu einem fixen Bestandteil von Thanksgiving geworden.

Thanksgiving ist der amerikanischste aller Feiertage. Theodore Roosevelt – einer der beliebtesten Präsidenten der amerikanischen Geschichte – hat ihn 1904 eingeführt. Die Amerikaner sollten sich an diesem Tag erholen und Gott für die Ernte danken. Heute geht es an Thanksgiving um Freunde und Familie. Die Amerikaner laden Gäste ein, dekorieren ihre Wohnzimmer, marinieren den Truthahn. Und streiten.

Während der Vogel im Ofen gart, schauen sie die Parade. Draussen beim Central Park. 30 Millionen Amerikaner sind zu Hause vor dem Fernseher dabei. Die Thanksgiving Day Parade ist das grösste Ereignis im amerikanischen Unterhaltungsfernsehen. Sie ist beliebter als die Oscars, die Grammys, die Emmys und die Live-Sendung vom Times Square am Silvesterabend. Nur der Live-Sport ist noch grösser.

Dabei hat alles ganz banal angefangen. Mit einem Werbegag.

Mehr ist mehr

In den wilden Zwanzigern zelebrierten die Amerikaner den Exzess und den Konsum. Doch Ende November war es in New York trist und grau. Die Leute blieben zu Hause. Und das wenige Wochen vor Weihnachten, dem wichtigsten Termin im Geschäftsjahr. Das brachte die Werbeabteilung von Macy’s 1924 auf eine Idee: Eine Parade zu Beginn des Winters sollte die New Yorker Bevölkerung heraus auf die Strasse locken.

Schon bei der ersten Durchführung 1924 zählten die Organisatoren 250 000 Zuschauer. Elefanten aus dem Central-Park-Zoo stampften über die Strassen. Als die Parade das erste Mal stattfand, hiess sie noch Macy’s Christmas Parade. Deshalb hat der Weihnachtsmann seit eh und je einen Auftritt.

Bis heute beschliesst ein Wagen mit dem Weihnachtsmann die Parade und läutet Weihnachten und das Weihnachtsgeschäft ein. Bis heute führt der Weihnachtsmann die Zuschauer am Ende jeder Parade an den Herald Square, direkt vor die Türen des Warenhauses Macy’s.

Mit den Jahren hat sich die Parade verändert und immer wieder neu erfunden. Schon ersetzte Macy’s die Elefanten aus dem Central Park durch überdimensionale Luftballons. Es hiess, die Kinder hätten sich vor den Elefanten gefürchtet. Ein anderer Grund ist wahrscheinlicher: Die Ballons eröffneten den Veranstaltern neue Möglichkeiten. Man konnte sie nach Belieben gestalten.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, am 23. November 1939, schwebte ein Uncle-Sam-Ballon durch die Strassen New Yorks. Uncle Sam war eine Werbefigur für die Armee. Sie warb mit ihm neue Rekruten an. Und die brauchte das Land auch: Zwei Jahre später traten die USA an der Seite der Alliierten in den Krieg ein.

Der Krieg brachte die Rationierung von Lebensmitteln. Zudem herrschten ein Gummi- und ein Heliummangel. Die Amerikaner mussten sparen. Deshalb sagte Macy’s seine Thanksgiving Day Parade zwischen 1942 und 1944 ab. Als der Zweite Weltkrieg 1945 endete, entschädigte Macy’s seine Zuschauer mit einer besonders aufwendigen Parade. Die amerikanischen Medien schrieben, die Parade im Herbst 1945 sei «bigger and better» gewesen.

Die Parade wurde von Jahr zu Jahr ein bisschen grösser und farbiger. 1932 strahlte das Radio erstmals eine Live-Übertragung aus. Die erste Fernsehübertragung erfolgte 1946 im lokalen Fernsehprogramm, einige Jahre später wurde die Parade auch im nationalen Fernsehen übertragen. Sie wurde zu einem festen Bestandteil der Thanksgiving-Festlichkeiten im gesamten Land.

Bild links: Uncle Sam ist die Personifizierung der amerikanischen Nation. Hier an der Parade am 23. November 1939. Bild rechts: Ein Polizist auf einem Pferd an der Thanksgiving Parade 1952 schaut sich den 22 Meter hohen «Space Cadet»-Ballon an.

Eine halbe Million Dollar für Helium

In der Nachkriegszeit stieg der Wohlstand unter der Bevölkerung. Immer mehr Menschen konnten sich einen Kühlschrank, ein Auto und einen Fernseher leisten. Also schauten an Thanksgiving auch immer mehr Amerikanerinnen und Amerikaner die Parade. In den 1960er Jahren gaben einige bis heute wichtige Ballon-Figuren ihr Debüt. So auch die Comicfigur Snoopy aus der Serie «Die Peanuts». Snoopy ist bis heute insgesamt 43 Mal an der Parade aufgetreten. Das ist Rekord. Auch dieses Jahr wird er wieder dabei sein.

Neben den grossen Heliumballons sind die sogenannten Floats ein wichtiger Bestandteil der Parade. Auf diesen geschmückten Wagen singen, tanzen oder winken Prominente und Stars aus der Film- und der Musikbranche. 1961 hatte die damalige amerikanische Teen-Miss Diane Lynn Cox auf einem Wagen mit Pfauenmotiven ihren Auftritt. 1979 sass Diana Ross, eine der berühmtesten Sängerinnen der 1960er Jahre, auf einem Big Apple, dem Symbol für New York City. Vergleichbar sind diese Auftritte heute mit der Halbzeit-Show beim Super Bowl, wo ein Millionenpublikum Stars wie Rihanna, Jennifer Lopez oder Eminem zuschaut.

Die Wagen an der Parade, die sogenannten Floats, aber auch die Ballons mit den Comicfiguren wurden über die Jahre immer übertriebener und prunkvoller. Für die Herstellung eines neuen Ballons bezahlen Sponsoren heute bis zu 200 000 Dollar. Dabei sind die Kosten für das Helium noch nicht mitgerechnet. Ein Ballon an der Thanksgiving Day Parade ist mit bis zu 19 000 Kubikmeter Helium gefüllt. Das Helium hat seinen Preis: Einen Ballon aufzublasen, kostet noch einmal 500 000 Dollar.

2015 schrieb das Magazin «Fortune», die Parade sei der zweitgrösste Heliumkonsument in den USA. Mehr verbrauchte nur die amerikanische Regierung. Für die Projekte der Nasa und für die Rüstungsindustrie.

Die Thanksgiving Day Parade kostet heute insgesamt 13 Millionen Dollar. Längst ist neben dem Warenhaus Macy’s eine Vielzahl von Unternehmen beteiligt. Der Fernsehsender NBC zum Beispiel witterte schon vor Jahren eine Möglichkeit, noch mehr Werbegelder einzunehmen: Am Abend vor der Parade blasen etliche Helfer die Ballons auf, und NBC steht bereit und überträgt das Ganze live.

Die eigentliche Parade verfolgen 30 Millionen Menschen im Fernsehen. Die Fernsehrechte waren dem Sender NBC 20 Millionen Dollar wert. Laut einem Bericht des «Wall Street Journal» verhandeln NBC und Macy’s derzeit die Verträge neu. Der Sender wird in Zukunft 60 Millionen Dollar für die Übertragung der Parade bezahlen.

Drei Stunden dauert die Parade. Sie führt vom westlichen Teil des Central Park zum Warenhaus Macy’s. Das macht sie zum längsten Werbespot Amerikas. Und wenn sie endet, beginnt für Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern die Weihnachtszeit. Und für Warenhäuser wie Macy’s die Geschäfte.

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