Der Physiker Richard Feynman bezeichnete den Doppelspaltversuch als das «Herz der Quantenmechanik». Dieses geheimnisvolle Herz schlägt bis heute.

Es gibt Experimente, die sich als Schlüsselmomente in der Entwicklung der modernen Physik erweisen. Eines ist der Doppelspaltversuch. In dem Versuch schiesst man Partikel – zum Beispiel Elektronen – auf eine Wand mit zwei Spalten, und dahinter treffen sie auf einen Detektorschirm. Verhielten sich die Partikel klassisch, müsste man auf dem Schirm zwei Streifen beobachten, da, wo die meisten Elektronen aufprallen.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Tatsächlich aber beobachtet man ein Interferenzmuster, wie man es von Wellen her kennt. Aus irgendeinem Grund verhalten sich die Elektronen wie Wellen. Wohlgemerkt: Damit ist nicht eine Kollektiveigenschaft von vielen Elektronen gemeint. Das einzelne Elektron manifestiert Wellencharakter. Man kann also ein Partikel nach dem anderen auf die Wand mit dem Doppelspalt schiessen und beobachtet nach einer genügenden Zahl von Aufprallern ein Interferenzmuster.

The Double Slit Experiment Performed With Electrons

Als würde ein Teilchen gleichzeitig durch zwei Spalte fliegen

Der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman bezeichnet den Doppelspaltversuch in seinen berühmten Vorlesungen über die Quantentheorie als das «Herz der Quantenmechanik». Er enthalte ihr «einziges Geheimnis». Was ist dieses Geheimnis?

Als klassisches Teilchen bewegt sich ein Elektron auf einer eindeutigen Bahn, von der Elektronenquelle durch einen der Spalte bis zum Schirm. Tatsächlich verhält sich das Elektron – wohlgemerkt: das einzelne Elektron – aber so, als würde es gleichzeitig durch beide Spalte treten und mit sich selbst interagieren: total verrückt!

Die Geschichte der Quantentheorie ist auch eine Geschichte dieser Verrücktheit. Noch einmal Feynman, in seinem Buch «QED. Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie»: «Die Natur, wie sie die Quantenelektrodynamik beschreibt, erscheint dem gesunden Menschenverstand absurd. Dennoch decken sich Theorie und Experiment. Und so hoffe ich, dass Sie die Natur akzeptieren können, wie sie ist – absurd.»

«Die Natur, wie sie ist» – nun ist es gerade dieser Ausdruck, der sich als äusserst irreführend erweist. Und der Doppelspaltversuch deckt seinen problematischen Charakter auf. Der Ausdruck akzentuiert den fundamentalen Unterschied zwischen zwei Beschreibungsweisen.

Wir werfen einen Tennisball. Die klassische Physik beschreibt seine klar definierte Bahn. Zu jedem Zeitpunkt befindet er sich in einem Zustand: Er hat beispielsweise einen Ort x und eine Geschwindigkeit v. Und wir berechnen mit den Bewegungsgesetzen, wie sich der Zustand zeitlich ändert. Auch die Quantentheorie beschreibt die Bewegung von Teilchen, aber sie tut dies auf andere Art, mit einer sogenannten Zustandsfunktion.

Und hier tritt der fundamentale Unterschied zutage. Ein klassischer Zustand definiert eindeutig die Eigenschaften eines Objekts. Ein Quantenzustand definiert nur die Wahrscheinlichkeit, dass ein Objekt die Eigenschaften hat. Anders gesagt: Die klassische Physik spricht über die Natur im Indikativ – wie sie ist –, die Quantenphysik spricht im Konjunktiv – wie sie sein könnte.

Das ergibt ein ganz anderes Bild der Teilchenbahn im Doppelspaltversuch: Das Elektron könnte sowohl durch Spalt A mit der Wahrscheinlichkeit a treten wie auch durch Spalt B mit der Wahrscheinlichkeit b. Diese Unentschiedenheit drücken die Physiker so aus: Das Teilchen befindet sich in einer Superposition zweier Zustände. Das hat etwas Gespensterhaftes (so sah es Albert Einstein, der von dieser Deutung nie überzeugt war). Es widerspricht völlig unserem klassischen Realitätsverständnis. Denn unabhängig davon, ob wir beobachten oder nicht, hat doch das Elektron «in Wirklichkeit» eindeutig einen Spalt passiert.

Erst die Beobachtung eines Objekts schafft Realität

Aber «in Wirklichkeit» bedeutet in der Physik, dass man etwas beobachtet hat. Nun ist Beobachten selbst auch ein physikalischer Prozess, nämlich die Wechselwirkung des untersuchten Objekts mit einer Messapparatur.

Eine solche Apparatur könnte folgendermassen aussehen: Wir montieren hinter Spalt A einen Detektor, der registriert, ob das Elektron vorbeifliegt. Lautet die Antwort «Nein» und beobachten wir einen Aufprall auf dem Schirm, bedeutet dies, dass das Elektron Spalt B passiert hat. Eine solche Vorrichtung stellt also den eindeutigen Weg eines Elektrons fest, ohne es zu stören.

Was wir dabei auch feststellen: Auf dem Schirm zeigt sich das Zwei-Linien-Muster. Nun schalten wir den Detektor aus. Wir wissen also nicht, welchen Spalt das Elektron passiert. Und siehe da: Das Interferenzmuster erscheint wieder. Es handelt sich nicht bloss um ein Gedankenexperiment. Experimente seines Typus wurden in zahlreichen Versionen real durchgeführt.

Ein seltsamer Zusammenhang tritt zutage. Der Detektor liefert uns Information. Einschalten bedeutet: Wir wollen die Information, durch welchen Spalt das Teilchen getreten ist. Ausschalten: Wir verzichten auf die Information. Lediglich Ein- und Ausschalten des Detektors «bewirkt» die unterschiedlichen Muster auf dem Schirm. Im Slogan von Quantenphysikern: Nicht hinschauen, dann Welle – hinschauen, dann Teilchen. Es macht den Anschein, als ob allein die Tatsache, dass man das Elektron beobachtet, einen Einfluss auf sein Verhalten ausübt. Das ist schwer verdaulich.

Fragt nicht, was ein Elektron ist

Der Doppelspaltversuch holt eine alte philosophische Frage in die Physik hinein: Existiert etwas, unabhängig davon, ob wir es beobachten? George Berkeley warf diese Frage zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf und verdichtete die Antwort in die bekannte Formel: existieren = beobachtet werden («esse est percipi»). Die Quantentheorie scheint ihm recht zu geben. Heisst das nun, das Partikel Elektron existiert nur, wenn wir den Detektor einschalten? Wechselt es von Partikel zu Welle, wenn wir ausschalten?

Niels Bohr, einer der Väter der Quantenmechanik, sah in solchen Fragen Pseudoprobleme. «Es gibt keine Quantenwelt», schreibt er, «es gibt nur eine abstrakte physikalische Beschreibung. Es ist falsch, zu denken, die Aufgabe der Physik bestehe darin, herauszufinden, was die Natur sei. Physik beschäftigt sich mit dem, was wir über die Natur sagen können.»

Bohr leugnete damit nicht die Realität der gemessenen Effekte, er ermahnte die Physiker nur: Fragt nicht, was ein Elektron ist, fragt, wie es sich in einer bestimmten Messvorrichtung verhält. Man kann mit den Gesetzen der Quantentheorie sehr exakt die Resultate berechnen und voraussagen, wenn die Elektronen mit einer Messapparatur interagieren. Von daher der berühmt-berüchtigte Rat: «Shut up and calculate!»

Er stammt vom Physiker David Mermin. Und man vergisst in der Regel seinen Nachsatz: «And I won’t shut up.» Gut so! Denn das Schweigegebot ist eine Zensur, über das Problem nachzudenken. So etwas kommt schlecht an bei Physikern. Sie werden nicht müde, die Problematik des Doppelspaltversuchs bis heute zu debattieren, in zahlreichen, oft äusserst ausgetüftelten Versionen – von Schrödingers Katze über Wigners Freund, Everetts viele Welten und Wheelers verzögerte Wahl bis hin zur Kollapstheorie von Roger Penrose.

Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Quantentheorie lebt. Die Physiker wollen mit ihr nicht nur rechnen, sie wollen von ihr Aufschluss darüber, was die Welt im Innersten zusammenhält. In der Quantentheorie schlägt nach wie vor das geheimnisvolle Herz. Und es treibt das Fragen weiter an. Ich erkühne mich zu der These: Es ist ein philosophisches Herz.

Exit mobile version