Donnerstag, November 13

Die Ukraine nutzt den Rückenwind der erfolgreichen Offensive auf russischem Boden. Moskau lässt derweil weit im Hinterland neue Verteidigungslinien errichten.

Eine Woche nach dem Beginn der überraschenden Offensive in der russischen Region Kursk hat sich der ukrainische Vorstoss verlangsamt. Zum Stehen gekommen ist er aber nicht.

Russische Militärblogger berichten unter anderem von Kämpfen im Umland von Korenowo, einem Bezirkshauptort nordwestlich von Sudscha, auf den die Ukrainer vorzustossen versuchen. Sudscha ist die erste städtische Siedlung in Russland, die weitgehend unter ukrainische Kontrolle geraten ist. Ein sehr verlustreicher Vorstoss von Sudscha nach Osten ist aber allem Anschein nach gescheitert.

«1000 Quadratkilometer unter ukrainischer Kontrolle»

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski erklärte in seiner ersten ausführlichen Stellungnahme zur Offensive, dass die Streitkräfte seines Landes das Einsatzgebiet in der Region Kursk weiter ausweiten wollten. Zurzeit kontrolliere die ukrainische Armee 74 russische Ortschaften. Der Oberbefehlshaber Olexsander Sirski hatte am Vortag von einem Gebiet von 1000 Quadratkilometern gesprochen, das unter ukrainischer Kontrolle stehe.

Die unabhängige Überprüfung solcher Informationen ist schwierig, auch weil die Lage sehr volatil bleibt. Die Denkfabrik «Institute for the Study of War» (ISW) fand in öffentlich zugänglichen Quellen, vor allem in den sozialen Netzwerken, Hinweise auf eine ukrainische Präsenz in 41 Siedlungen.

Unbestritten ist, dass es Russland noch immer nicht gelungen ist, die Front zu stabilisieren, und Moskau deshalb weitere Kräfte zur Verstärkung in die Region verlegen muss. Woher diese Kräfte stammen werden, ist Gegenstand von Debatten. Das ISW verweist auf Berichte, wonach auch irreguläre Einheiten aus dem Kampfgebiet im Donbass abgezogen worden seien.

Kein Einfluss auf Kampfgeschehen im Donbass

Die Möglichkeit solcher Truppenbewegungen erregt Aufsehen. Der ukrainische Vorstoss auf russisches Territorium wird auch mit der Hoffnung verknüpft, dass sich dadurch das Kräfteverhältnis im Donbass verändert. Die russischen Truppen sind in den vergangenen Monaten zwar langsam, aber kontinuierlich in Richtung der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk vorgerückt.

Bisher gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass Russland in relevanter Zahl kampferprobte Einheiten aus dem Donbass abzieht. Ein ukrainischer Armeesprecher erklärte etwa gegenüber Radio Free Europe, dass die Offensive in Kursk bisher keine Auswirkungen auf die Kämpfe um die Stadt Torezk habe.

Regierungsunabhängige russische Medien legen allerdings immer mehr Hinweise vor, dass in Kursk auch Wehrdienstleistende kämpfen. Die Publikation «Waschnie Istorii» (Wichtige Nachrichten) veröffentlichte die Namen von 22 Rekruten, die in ukrainische Gefangenschaft geraten seien.

Das Portal «Agentstwo» verbreitet einen Aufruf von Angehörigen Wehrdienstleistender in der nordrussischen Region Murmansk, die demnächst nach Kursk verlegt werden sollen. Der russische Präsident Wladimir Putin hat immer betont, dass in der militärischen Spezialoperation, wie der Angriffskrieg gegen die Ukraine offiziell genannt wird, keine Rekruten eingesetzt würden.

Neue Schützengräben im Hinterland

In der Region Kursk und den angrenzenden Gebieten werden derweil Massnahmen für ein allfälliges weiteres Vorrücken der ukrainischen Streitkräfte getroffen. Satellitenaufnahmen deuten auf neu ausgehobene Schützengräben hin, die von der Stadt Lgow nach Osten verlaufen, in 40 bis 70 Kilometer Entfernung zur Grenze.

Wjatscheslaw Gladkow, der Gouverneur der Oblast Belgorod im Westen von Kursk, rief am Mittwoch für seine Region den Notstand aus und liess aus einigen Bezirken die Bevölkerung evakuieren. Die Lage sei wegen des ukrainischen Beschusses äusserst schwierig und sehr angespannt, schrieb Gladkow auf Telegram.

Mit dem Rückenwind der bisher erfolgreich verlaufenden Offensive versucht die Ukraine ganz offensichtlich, den Druck aufrechtzuerhalten. Laut dem russischen Verteidigungsministerium hat die russische Flugabwehr allein in der Nacht auf Mittwoch 118 Drohnen und 4 Raketen abgeschossen. Dabei wurden auch Ziele in weiter entfernten Regionen angegriffen.

Im Fokus standen laut den verfügbaren Informationen russische Militärflugplätze. Gleitbomben, die noch über russischem Territorium von Militärflugzeugen abgeschossen werden, haben in den vergangenen Monaten verheerende Schäden angerichtet.

Nach Angriffen in der Region Woronesch, wo sich zwei der attackierten Flugplätze befinden, hat die russische Fussballliga das auf Sonntag angesetzte Heimspiel des lokalen Vereins Fakel Woronesch nach Moskau verlegt.

Einige Drohnen flogen bis nach Sawasleika in der Region Nischni Nowgorod. Der dortige Flugplatz, der etwa 650 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt liegt, ist der Stützpunkt der ersten Staffel von Kampfflugzeugen, die mit der Ultraschall-Rakete Kinschal ausgerüstet ist.

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