Freitag, Oktober 4

Dem Klimawandel zum Trotz wird Deutschland noch lange eine Riesling-Nation sein. Keine andere Rebsorte zeigt im «grossen Kanton» so viel Frische, lässt sich überdies mit so vielen unterschiedlichen Speisen kombinieren. Und das Preis-Leistungs-Verhältnis ist nicht selten verblüffend gut.

Natürlich wäre jeder und jede selbst schuld, der oder die einen 2023er Riesling oder sein Pendant aus dem Jahr 2022 bereits jetzt tränke. Weine beider Jahrgänge wurden bei der alljährlichen Präsentation des Verbandes der Prädikatsweingüter (VDP) vorgestellt, und alle sind noch viel zu jung. Wie gut allerdings die meisten von ihnen reifen können, wurde beim Probieren schnell klar. 2023 ist vielleicht kein Jahrhundertjahrgang, hat aber einiges zu bieten.

Reife vertragen übrigens nicht nur Rieslinge. Die deutschen Chardonnays besitzen eine immer feinere Eleganz, auch auf den Grauburgunder sollte man sein Auge richten und in diesem Bereich weder Württemberg noch Baden vernachlässigen. Silvaner bedeutet natürlich Franken. Beim Riesling kann man dagegen, was 2023 angeht, der Pfalz und dem Rheingau sowie der Nahe vertrauen, sollte Rheinhessen stets und ständig im Auge behalten und nur ja nicht Wein von der Mosel vernachlässigen. Und schliesslich: Sekt aus Deutschland wird immer besser!

Der Schäwer von Rebholz

Mag ja sein, dass der Kastanienbusch-Riesling von Rebholz noch ein bisschen bekannter ist als der Schäwer, aber spannend sind beide. Der letztgenannte reifte auf Schieferböden und ist puristisch trocken, dicht, mineralisch und vibrierend. Aber eigentlich kann man in diesem Pfälzer Weingut ja alles blind kaufen.

Der Grauburgunder von Schnaitmann

Wer keinen Riesling mag, weil ihm dieser zu viel Säure zeigt, weicht gern auf Chardonnay aus, sollte aber auch den Grauburgunder im Auge haben. Erst recht, wenn der von einem der zuverlässigsten Weingüter Württembergs stammt, dessen Lemberger wir bereits empfohlen haben. Dieser Grauburgunder ist alles andere als breit, sondern sehr präzise und würzig.

Der Idig von Christmann

Bei der ersten Verkostung habe ich diesen Wein unterschätzt, bei der zweiten blühte er dann auf. Ganz fein und klar und präzise, fast ätherisch wirkt der 2023er Prestige-Riesling des Weinguts Christmann. Ein bisschen anders als der Vorgängerwein und jener von 2021, aber nicht weniger gelungen. Bei dieser Gelegenheit könnte man sich gleich noch nach den Christmann-Sekten erkundigen, die bereits zur deutschen Spitze aufgeschlossen haben.

Noch einmal Pfalz mit dem Gaisböhl

Das ist zwar auch Pfälzer Riesling, aber so ziemlich das Gegenteil von Christmanns Idig. Der Gaisböhl von Bürklin-Wolf ist ein Wein der Kategorie «Hallo, hier bin ich», jedoch einer, der wirklich Spass macht, wenn man diesen Stil mag. Weil Bürklin-Wolf nicht gerade unbekannt ist, liegen die Preise ein wenig über denen anderer Betriebe.

St. Antony und die zehn Morgen

Mit vielen Ideen hat sich dieses rheinhessische Weingut in den vergangenen Jahren profiliert – man kann hier etwa den mit 125 Euro vermutlich teuersten Rosé Deutschlands kaufen. Das Grosse Rieslinggewächs aus dem Zehnmorgen ist dagegen ein bereits zugänglicher Riesling mit feiner Frucht und Kräuteranklängen – nichts für Puristen, aber mit tollem Preis-Leistungs-Verhältnis.

222 Jahre Clemens Busch

Das Weingut an der Terrassenmosel feierte in diesem Jahr Jubiläum und wird immer interessanter. Nicht nur der süssen Rieslinge wegen, sondern auch, weil die trockenen Spitzenweine zu den besten der Mosel gehören. Der Falkenlay-Riesling, der aus der Lage Pündericher Marienburg stammt, ist noch etwas hefig in der Nase, aber schön fruchtig, würzig, dennoch nachhaltig. Ein toller Einstieg ins trockene Busch-Sortiment.

Burgberg von Kruger-Rumpf

Die Nahe führt ein manchmal verstecktes Eigenleben zwischen den benachbarten Grossregionen Rheinhessen, Mosel, Pfalz, ist aber längst zu einem der führenden Rieslinganbaugebiete der Welt aufgestiegen. Puristische Weine werden hier erzeugt – etwa bei Diel –, zupackende wie bei Schäfer-Fröhlich und eher charmant-würzige wie bei Familie Rumpf. Deren Burgberg gefiel mir ausgezeichnet.

Prinz: Würze im Nussbrunnen

Ehrwürdige Rheingauer Adelsweingüter wie Schloss Vollrads sind berühmt, auch Erzeuger wie Weil und Breuer kennt man in der Schweiz. Prinz dagegen ist und bleibt ein Geheimtipp in diesem Gebiet. Dabei ist der Prinzsche Nussbrunnen-Wein erstens sehr ausgewogen und für Riesling-Einsteiger geeignet, zweitens wunderbar würzig und lang, drittens verblüffend preiswert.

Warum nicht einmal ein 2019er?

Man kann sich über ein Weingut lustig machen, das seinen Silvaner fünf Jahre reifen lässt, bevor es ihn vorstellt. Aber wenn das Ergebnis stimmt – warum denn nicht? Natürlich hat das Ergebnis wenig mit den knackigen 2023er Silvanern von anderswo zu tun, aber es macht viel würzige Freude und ist nicht übertrieben teuer.

Gut Hermannsberg: das siebte Grosse Gewächs

Das historische Nahe-Weingut hat Ambitionen und lebt sie aus. Nicht weniger als sieben Grosse Gewächse produziert der Betrieb nun und versteht es gut, die Terroir-Unterschiede herauszuarbeiten. Das 2023 erstmals produzierte Grosse Gewächs Klamm «In der Rossel» ist noch recht verschlossen, kräuterig und würzig, deutlich mineralisch dazu. Weglegen und 2030 wieder hervorholen!

Blanc de Noirs auf deutsche Art

Das deutsche Sektwunder spricht sich langsam herum: Immer mehr Erzeuger stellen spannende Schaumweine her. Der aus dem fränkischen Weingut Burkhardt-Schür ist vielleicht noch nicht so bekannt und auch (unter uns . . .) kein VDP-Mitglied. Macht aber nichts, denn dieser aus Pinot Meunier erzeugte Schaumwein kann mit so manchem Champagner mithalten. Viel Würze, viel Spiel: Da akzeptiert man auch den gehobenen Preis.

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