Dienstag, November 26

Atomstrom sei der günstigste Strom, sagt die SVP – und es sei bevormundend, dass die Winterthurer ihn nicht beziehen könnten. Gegner der Initiative üben fundamentale Kritik.

Atomstrom ist schlecht, Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sind gut: Sehr simplifiziert liessen sich die Images der verschiedenen Stromquellen wohl so beschreiben. Die SVP Winterthur stellt diese Kategorien nun zur Debatte. Kernkraft soll als klimafreundlich bezeichnet werden, findet die Partei. Und fordert ebendies in der Initiative «Ja zur freien und günstigen Stromwahl», die Ende November zur Abstimmung kommt.

Vor allem aber will die SVP Winterthur mit ihrer Initiative erreichen, dass die Stadt wieder ein Strompaket aus Atomenergie anbietet.

Heute bietet das Stadtwerk Winterthur, wo alle Winterthurer Privathaushalte ihren Strom beziehen müssen, drei Strompakete an: «Klima Gold», «Klima Silber» und «Klima Bronze». Der Strommix ist bei jedem Paket anders, was alle drei Pakete aber gemeinsam haben: Sie bestehen grösstenteils aus erneuerbaren Energien.

Die Stadt Winterthur hat das letzte Paket mit Atomstrom, «e-Strom grau», im Jahr 2020 aus dem Programm genommen. 9000 Haushalte und 300 Unternehmen wurden mit Auslaufen des Pakets auf das teurere «Klima Bronze» umgebucht.

Die SVP Winterthur will nun, dass das Stadtwerk wieder ein Atomstrompaket anbietet. Dem Paket sollen nur dann erneuerbare Energien beigemischt werden dürfen, wenn diese gerade günstiger sind als Atomstrom. Und auch dann darf ihr Anteil maximal 35 Prozent betragen.

In der Initiative fordert die SVP ausserdem, dass das Atomstrompaket als «klimafreundlich» vermarktet werden solle, weil der CO2-Ausstoss bei der Erzeugung von Atomstrom kleiner sei als bei anderen Stromsorten. Die Partei verweist auch auf die EU, die Atomstrom seit zwei Jahren ebenfalls als «grün» bezeichnet.

SVP: Stromangebot sei «unliberal und bevormundend»

Christian Hartmann von der Winterthurer SVP sagt: «Es ist unliberal und bevormundend, dass man den Leuten vorschreibt, was sie kaufen dürfen und was nicht.» Man verlange ja keinen zusätzlichen Atomstrom. «Aber dieser Strom wird sowieso produziert», sagt Hartmann. «Die Stadt hat das Kernkraftprodukt aus ideologischen Gründen aus dem Programm gestrichen, damit sind wir nicht einverstanden.»

Winterthurer Strom ist heute teurer als in vielen anderen Schweizer Gemeinden: Mit knapp 36 Rappen pro Kilowattstunde zahlen Winterthurer für ihren Strom rund 10 Prozent mehr als der Schweizer Median. Das zeigt der Strompreisrechner des Bundes. 2019, bevor das Atomstrompaket abgeschafft wurde, entsprach der Preis für Winterthurer Strom fast genau dem Schweizer Median.

Die SVP argumentiert, dass es «unsozial» sei, keinen Atomstrom anzubieten, während Lebensmittelpreise und Mieten stiegen. Hartmann sagt, die Stromkosten belasteten die Bevölkerung unnötig stark, weil Winterthur kein Atomstrompaket anbiete.

Die Stadt Winterthur hat allerdings bereits 2012 an der Urne den Atomausstieg beschlossen.

Seit dieser Abstimmung habe sich viel verändert, sagt Hartmann. «Der Energiebedarf und die Strompreise sind stark gestiegen. Deshalb ist eine Neubeurteilung dieser Frage durch die Stimmbevölkerung durchaus sinnvoll.»

Dem widerspricht Isabelle Meier. Sie ist Co-Präsidentin der Winterthurer Grünen: «Winterthur hat den Atomausstieg beschlossen. Diesen Volkswillen muss man akzeptieren.»

Grüne: Preisunterschied merken nur Firmen

Meier weist auch Hartmanns Hauptargument zurück: «Die Endverbraucher merken die Unterschiede bei den Strompreisen praktisch nicht, es geht um wenige Franken», sagt Meier. «Das merken höchstens Firmen, und die können ihren Strommix schon heute frei wählen.»

Neben den Grünen sind auch das Winterthurer Stadtparlament und der Stadtrat gegen die Initiative der SVP. Der Stadtrat argumentiert, dass ein Strompaket aus Kernenergie den bisherigen Volksentscheiden der Stadt Winterthur widerspreche. Ausserdem wäre ein Strompaket aus Atomstrom nur unwesentlich günstiger als die bisherigen Angebote, rechnet das Stadtwerk vor: Für eine durchschnittliche Familie betrüge die Einsparung pro Jahr knapp 2 Franken.

Unterstützt wird die SVP-Initiative von der FDP: Die Gemeinderätin Gioia Porlezza sagt: «In einer Zeit, in der alles teurer wird, kann ein zusätzliches, günstigeres Stromprodukt sinnvoll sein.» Darauf, dass es sich bei den Einsparungen um marginale Beträge handeln könnte, sagt Porlezza: «Es ist nicht am Stadtrat, zu entscheiden, wer wo sparen soll.»

Debatten über Kernkraft werden zurzeit auch auf nationaler Ebene geführt: Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs werden immer wieder Forderungen nach neuen Atomkraftwerken laut. Die Initianten der Blackout-Initiative auf Bundesebene fordern, dass der Bau neuer AKW in der Schweiz wieder erlaubt werden solle. Sie wird von Politikern und Politikerinnen von Mitte, FDP und SVP getragen. Auch der Bundesrat möchte den Bau neuer Kernkraftwerke wieder ermöglichen.

Die Winterthurer SVP stimmt mit ihrer Initiative also in eine Diskussion ein, die auch national bald anstehen wird. Die Stadt Winterthur stimmt am 24. November über die Initiative ab.

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