Stefan Huwiler / Imago

Der Vatikan fasziniert Menschen weltweit. Obwohl der Staat nur so gross ist wie ein Stadtviertel, verbirgt sich hinter seinen Mauern eine lange Geschichte voller Macht, Glauben, Kunst und Intrigen. Zwölf Fakten über den Mikrokosmos Vatikan.

1. Wahlmonarchie

Der Vatikan ist ein Stadtstaat – und zugleich die einzige noch existierende absolute Wahlmonarchie der Welt. Das bedeutet, dass ihr Staatsoberhaupt, der Papst, gewählt wird und danach unumschränkte Macht ausübt. Es gibt kein Parlament, keine Gewaltenteilung und keine Opposition. Gewählt wird der Papst vom Konklave, einer Versammlung von Kardinälen unter 80 Jahren. Der Papst steht also nicht nur der katholischen Kirche und damit 1,4 Milliarden Katholiken vor, sondern ist quasi auch der König eines Landes.

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2. Grösse

Der Vatikan liegt innerhalb Roms und ist mit einer Fläche von 0,44 Quadratkilometern der kleinste Staat der Welt. Knapp achtmal hätte er im Central Park in New York Platz, zu Fuss kann man ihn in etwa 30 Minuten durchqueren. In dem Stadtstaat befinden sich bedeutende Gebäude wie der Petersdom mit dem Petersplatz, die Vatikanischen Museen und der Apostolische Palast, die offizielle Residenz des Papstes.

Der Vatikan war nicht immer so klein. Mehr als tausend Jahre lang herrschten die Päpste nicht nur als geistliches Oberhaupt, sondern auch als weltliche Fürsten über ein riesiges Territorium in Mittelitalien: den Kirchenstaat. Dieser war etwa so gross wie die heutige Schweiz und umfasste Städte wie Bologna, Florenz und natürlich Rom.

Im Zuge der italienischen Einigung annektierten 1870 Truppen des Königreichs Italien den Kirchenstaat. Der Papst wurde entmachtet und Rom wenig später als neue Hauptstadt ausgerufen. Pius IX., der damalige Papst, zog sich in den Vatikan zurück. Das heutige Territorium des Stadtstaats wurde 1929 in den Lateranverträgen festgeschrieben.

Der Vatikan besitzt auf der ganzen Welt Land und Immobilien, die als «extraterritoriale Besitztümer» geschützt sind. Hierzu zählen die Papstbasilika Santa Maria Maggiore, in der Papst Franziskus beigesetzt wurde, und die päpstliche Sommerresidenz in Castel Gandolfo südlich von Rom.

3. Schweizergarde

Die Schweizergarde ist für die Sicherheit des Papstes und seiner Residenzen zuständig. Ihre Gründung geht auf das Jahr 1506 zurück, als Papst Julius II. 150 Schweizer Soldaten als persönliche Leibgarde anwerben liess. Im 15. und im 16. Jahrhundert galten die Schweizer als die besten Söldner Europas und waren für ihre Disziplin, ihre Tapferkeit und ihre Kampfkraft berühmt. Ihr Ruf wurde gefestigt, als 1527 bei der Plünderung Roms 147 Gardisten für Papst Clemens VII. ihr Leben liessen.

Heute besteht die Garde aus etwa 135 Männern. Für Rekruten gelten strenge Aufnahmebedingungen. Jeder Gardist muss katholisch, unverheiratet, zwischen 19 und 30 Jahre alt, mindestens 1,74 Meter gross und schweizerischer Staatsbürger sein. Mit dem Eid verpflichten sie sich zu absolutem Gehorsam und bedingungsloser Treue – im Notfall müssen die Gardisten bereit sein, ihr Leben für den Papst zu opfern.

Die Farben ihrer auffälligen Galauniform entsprechen jenen des Wappens der Familie Medici: Gelb, Rot und Blau. Die meisten Gardisten kommen aus dem Kanton Wallis; seit 1825 hat allein der Ort Naters 80 Gardisten gestellt.

4. Gefängnis

Im Vatikan gibt es tatsächlich ein Gefängnis. Es befindet sich im Justizpalast nahe der Porta Sant’Anna und hat nur wenige Zellen. Sie werden aber selten genutzt, und wenn, dann als disziplinarische Massnahme. Insgesamt ist die Zahl der jährlichen Strafverfahren minimal.

5. Eisenbahn

Auch einen Bahnhof und eine Eisenbahn gibt es im Vatikan. Die Bahn ist etwa 300 Meter lang und verbindet den Stadtstaat über eine Brücke mit dem italienischen Schienennetz. Sie wurde 1934 auf Wunsch von Papst Pius XI. gebaut, um diskret Güter, Kohle und später Autos in den Vatikan zu bringen. Heute wird die Bahn nur noch für gelegentliche Fahrten genutzt, etwa für Touristen oder Veranstaltungen.

6. Bank

Die Vatikanische Bank, offiziell «Institut für religiöse Werke» (IOR), wurde 1942 gegründet. Ihre Hauptaufgabe ist es, Gelder kirchlicher Einrichtungen zu verwalten. Ihr Ruf ist wegen dubioser Geschäfte aber immer wieder belastet; zeitweise galt die Bank als «schwärzestes Loch» der Finanzwelt.

So war das IOR auch in den grössten Bankenskandal der italienischen Nachkriegsgeschichte verwickelt, den Kollaps des Banco Ambrosiano in den 1980er Jahren. Dessen Präsident, Roberto Calvi, hatte weltweit mehr als 200 Briefkastengesellschaften gegründet, deren Zweck es war, Mafiagelder reinzuwaschen, Kredite zu verschieben und Bilanzen zu verschleiern. Eine Schlüsselrolle spielte eine Bank auf den Bahamas, die Cisalpina. Sie wurde ausser von Calvi vom Erzbischof Paul Casimir Marcinkus verwaltet, dem damaligen Chef der Vatikanbank, die ihrerseits an einigen Offshore-Gesellschaften beteiligt war.

1981 flog der Skandal auf, ein Jahr später brach der Banco Ambrosiano zusammen. In dem undurchsichtigen Offshore-Konstrukt waren etwa 1,4 Milliarden Dollar verschwunden. Ein Jahr später wurde Calvi unter anderem wegen Geldwäsche angeklagt, Erzbischof Marcinkus ebenso. Dessen diplomatische Immunität und der Sonderstatus der Vatikanbank verhinderten aber eine strafrechtliche Aufklärung.

Calvi, der wegen seiner engen Beziehungen zum Vatikan als «Bankier Gottes» bezeichnet wurde, tauchte unter. Am 18. Juni 1982 wurde er in London unter der Blackfriars-Brücke erhängt aufgefunden. Der Ort war hoch symbolisch: In der Nähe befand sich einst ein Dominikanerkloster, dessen Mönche schwarze Kutten trugen («black friars»: «schwarze Brüder»). Im Fall Calvi geht die italienische Staatsanwaltschaft heute von Mord aus und vermutet die Mafia dahinter. Ein Prozess gegen fünf Angeklagte endete 2007 jedoch mit Freisprüchen.

1984 zahlte der Vatikan etwa 250 Millionen Dollar an die Gläubiger des Banco Ambrosiano. Das wurde als indirektes Schuldeingeständnis gewertet, auch wenn die Vatikanbank offiziell eine direkte Beteiligung an dem Skandal abstritt. Die genauen Hintergründe des gesamten Falls sind noch immer unklar. Bislang weigert sich der Vatikan, die Dokumente freizugeben, die zur Aufklärung beitragen könnten. Heute gelten für die Bank strengere Regeln, auch die Finanzaufsicht wurde verstärkt.

7. Einwohner

Im Vatikan leben 800 bis 900 Einwohner, etwa 764 haben die vatikanische Staatsbürgerschaft. Unter ihnen befinden sich alle Kardinäle, Diplomaten und Schweizergardisten. Die vatikanische Staatsbürgerschaft wird nur durch die Funktion verliehen, nicht durch Geburt. Verliert jemand also seine Aufgabe im Vatikan, verliert er auch die Staatsbürgerschaft.

Die meisten Einwohner leben in offiziellen Gebäuden wie dem Apostolischen Palast oder den Gästehäusern. Privatwohnungen gibt es kaum. Die wenigen Laien, die in der Verwaltung des Heiligen Stuhls arbeiten, in der Regierung, der Vatikanbank oder als Reinigungskraft, leben meist in Rom.

8. Museen

Die Vatikanischen Museen zählen zu den grössten und wichtigsten Kunstsammlungen der Welt. Sie wurden zwischen 1506 und 1513 von Papst Julius II. begründet, als er für den Belvedere die berühmtesten antiken Skulpturen der damaligen Zeit kaufte. Heute besitzen die Museen rund 70 000 Kunstwerke, wovon etwa 20 000 ausgestellt sind.

Die Sammlungen decken über zweitausend Jahre Kunstgeschichte ab und umfassen Werke von Meistern wie Michelangelo, Raffael, Caravaggio und Leonardo da Vinci. Ein Highlight ist die Sixtinische Kapelle mit Michelangelos berühmtem Deckenfresko; besonders bekannt ist der Ausschnitt mit der Erschaffung Adams. Jährlich besuchen die Museen mehr als sechs Millionen Menschen.

9. Latein

Bis heute ist die Amtssprache des Vatikans Latein. Vor allem lehramtliche und kirchenrechtliche Texte wie Enzykliken, kanonische Gesetze und Erlasse erscheinen zunächst in dieser Sprache. Der Vatikan übersetzt sogar moderne Begriffe. So heisst der Computer «instrumentum computatorium», Umweltverschmutzung und Klimawandel «contaminatio et climatis mutatio». Zuständig ist hierfür die Päpstliche Akademie für die lateinische Sprache, die 2012 von Papst Benedikt XVI. gegründet wurde.

Ein Bankautomat in der Vatikanbank bietet Latein als Bedienoption an, und auch im Radio Vatikan werden einige Sendungen und Nachrichten auf Latein ausgestrahlt. Im Alltag bleibt die Sprache aber ausgestorben – da unterhält man sich auf Italienisch.

10. Kriminalität

Statistisch gesehen ist die Kriminalitätsrate im Vatikan astronomisch hoch. Pro Einwohner geschehen rechnerisch mehr Straftaten als irgendwo sonst auf der Welt. Meist handelt es sich aber um Delikte wie Taschendiebstähle; fast nie stammen Täter und Opfer aus der vatikanischen Bevölkerung. Morde oder schwere Gewalttaten sind im Vatikan extrem selten, die Zahl der Verurteilungen ist minimal.

11. Wein

Die Einwohner des Vatikans trinken mehr Wein als die Einwohner jedes anderen Landes: im Durchschnitt 74 Liter (105 Flaschen) pro Jahr und Kopf. Damit ist der Konsum doppelt so hoch wie in Frankreich.

Das bedeutet aber nicht, dass im Vatikan jeden Abend Gelage stattfinden. Wein ist vielmehr ein fester Bestandteil der religiösen und sozialen Kultur. Er wird in jeder Messe verwendet sowie bei Empfängen oder kirchlichen Festen. Den himmlischen Segen zum Trinken haben die Kirchenmänner: Schon die Bibel preist Wein als Symbol der Freude, der Fülle und der göttlichen Gegenwart.

12. Archive

Das Vatikanische Apostolische Archiv ist eine der grössten Schatzkammern der Geschichte. Es wurde 1612 von Papst Paul V. gegründet und hiess bis 2019 Vatikanisches Geheimarchiv. Auf mehr als 85 Regalkilometern lagern dort Dokumente aus acht Jahrhunderten. Darunter befinden sich alle Gesetze, die der Heilige Stuhl verfasst hat, die diplomatische Korrespondenz der Päpste sowie historisch wertvolle Schätze wie Briefe von Michelangelo und Marie Antoinette, Akten des Prozesses gegen Galileo Galilei und Dokumente über Martin Luthers Exkommunikation.

Der Zugang zu den Archiven war bis Ende des 19. Jahrhunderts streng reguliert. Seit 1881 sind die Bestände in Teilen für Forscher zugänglich, heute müssen Wissenschafter ein Empfehlungsschreiben einer Forschungseinrichtung vorlegen, um Dokumente einzusehen.

Meist werden Bestände nach siebzig Jahren für die Forschung freigegeben, allerdings variiert die Sperrfrist je nach Art der Dokumente und der Entscheidung des Papstes. 2020 wurden Materialien zum Pontifikat von Papst Pius XII. (1939–1958) freigegeben. Forscher erhoffen sich hiervon ein besseres Verständnis der Rolle des Vatikans während des Holocausts. Einige ältere Dokumente sind weiterhin zumindest teilweise gesperrt oder schwer zugänglich. Hierzu zählen Akten der Inquisition oder Korrespondenzen zwischen dem Vatikan und autoritären Regimen.

Wegen der Fülle von Dokumenten ist das Archiv ein Ort der Mythen und Legenden. Manche glauben, dass dort Schädel von Ausserirdischen liegen, andere vermuten in den Regalen unbekannte Bibelhandschriften oder Beweise für die These, dass Jesus nicht existiert hat.

Vor allem um Papst Johannes Paul I., der 1978 nach nur 33 Tagen im Amt starb, ranken sich viele Mythen. Verschwörungstheoretiker wittern in den Archiven Hinweise auf ein Mordkomplott und sehen wahlweise Jesuiten, Illuminaten, Reformgegner oder Ausserirdische als Täter. Erhärten liess sich bisher keine der Theorien.

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