Mittwoch, November 27

Die Umsetzung des besseren SBB-Angebots ab 2035 wird viel teurer als angenommen. Die finanzielle Lage des Bundes ist jedoch angespannt. Die Kantone warnen vor einem Ausbaustopp.

Der Fernverkehrs-Doppelstockzug (FV Dosto) der SBB funktioniert nicht wie geplant. Die Wankkompensation ist zwar eingebaut, wird aber nicht für schnellere Kurvenfahrten genutzt, da sie zu wenig stabil ist. Wenige Jahre nach der Ablieferung prüfen die SBB, ob sie die Wankkompensation wieder ausbauen. Auch auf den Steuerzahler kommt einiges zu: Die schnelleren Kurvenfahrten der FV-Dosto sollten Bahnausbauten in der Höhe von rund einer Milliarde Franken erübrigen.

Zwischen Lausanne und Bern sowie Winterthur und St. Gallen sind deshalb hohe Investitionen nötig, um die anvisierten kürzeren Fahrzeiten zu erreichen. Gemäss Recherchen der NZZ wird die Umsetzung des grossen Angebotsausbaus, der ab 2035 geplant ist, massiv teurer. Der Verzicht auf die Wankkompensation ist dabei nur ein Faktor, der noch nicht einmal eingerechnet ist. Das sogenannte Angebotskonzept 2035 bringt der Schweiz einen Quantensprung: Auf rund 60 Strecken sollen dichtere Fahrpläne, teilweise mit dem Viertelstundentakt, eingeführt werden und die Zahl der Sitzplätze erhöht werden. Für den Güterverkehr ist ein Expressnetz geplant.

Die SBB haben unter dem Bahnchef Vincent Ducrot aber ihre Doktrin für die Planung angepasst. Sie rechnen mit längeren Fahrzeiten, um trotz dem dichteren Verkehr einen stabilen Betrieb sicherzustellen. Zu diesem Schluss kam die Bahn anhand neuer Mess- und Simulationsmethoden. Deshalb mussten das federführende Bundesamt für Verkehr (BAV) und die SBB das Angebotskonzept überarbeiten. Dieses ist die Grundlage für den Ausbauschritt 2035, den das Parlament 2019 beschlossen hat.

8,5 Milliarden für Erweiterungen

Das BAV rechnet zwar damit, dass 80 bis 90 Prozent der Angebotsziele auch so erreicht werden können. Die Überarbeitung wird aber deutlich aufwendiger und teurer als bis anhin angenommen. Inzwischen geht der Bund gemäss mehreren Quellen von Mehrkosten von rund 8,5 Milliarden Franken aus. Das bestätigt der BAV-Sprecher Andreas Windlinger der NZZ. Über die ganze Schweiz verteilt müssten zusätzliche Erweiterungen realisiert werden, etwa Ausbauten von Bahnhöfen, mehr Geleise und Abstellanlagen. Die Massnahmen seien nötig, damit der grosse Angebotsausbau umgesetzt und stabil betrieben werden könne, sagt die SBB-Sprecherin Fabienne Thommen.

Die Mehrkosten von 8,5 Milliarden kommen zu den rund 16 Milliarden Franken hinzu, die das Parlament für den Bahnausbauschritt 2035 bewilligt hat. Damit nicht genug: Es fallen weitere Mehrkosten von rund 5,5 Milliarden Franken an, wie Windlinger sagt. Teilweise sind diese auf beschlossene Projekte wie den Brüttener Tunnel auf der Strecke Zürich–Winterthur zurückzuführen, die teurer werden. Ins Geld gehen aber auch zusätzliche Investitionen, die nötig sind, etwa damit grössere Bahnhöfe trotz einem höheren Personenfluss sicher bleiben. Der Sprecher betont, der Realisierungshorizont der Projekte erstrecke sich bis gegen das Jahr 2045.

Die Zeitdauer von der Planung bis zur Eröffnung von grossen Ausbauten beträgt häufig mehr als 20 Jahre. «Leider kommt es dabei immer wieder zu Projektanpassungen mit Kostenfolgen», sagt die SBB-Sprecherin Thommen. Dies sei auf neue Erkenntnisse oder angepasste Normen zurückzuführen, die ein Projekt veränderten. Zudem führten Einsprachen zu Verzögerungen. Auch die Teuerung und höhere Materialkosten liessen die Kosten ansteigen.

Die Mehrkosten haben das BAV und die SBB auf Fachebene errechnet. Das überarbeitete Angebotskonzept 2035 werde nun in- und extern überprüft, sagt der BAV-Sprecher Windlinger. Dabei gehe es auch darum, Einsparmöglichkeiten zu prüfen. Die Finanzierung der Mehrkosten über den Bahninfrastrukturfonds (BIF) sei gegenwärtig nicht gesichert.

Denn die Finanzierung des Unterhalts des bestehenden Bahnnetzes hat Vorrang. Zudem prüft der Bund im Auftrag des Parlaments für den nächsten Ausbauschritt sechs weitere Projekte. Neben den Strecken Winterthur–St. Gallen, Lausanne–Bern und Zürich–Aarau sind die Tiefbahnhöfe Luzern und Basel sowie der Grimseltunnel darunter. Die Kosten dieser Projekte belaufen sich auf mehr als 20 Milliarden Franken.

Reserven im Bahnfonds schwinden

Während die Kosten für den Bahnausbau aus dem Ruder laufen, werden die Mittel im BIF knapper. Mit den Mehrkosten von bis zu 14 Milliarden Franken wird kaum mehr viel Geld für neue Ausbauten vorhanden sein. Der Bahnfonds war lange gut gefüllt, was bei den Kantonen unzählige Begehrlichkeiten weckte. Auch die geplanten Subventionen für den Güterverkehr in der Schweiz will der Bundesrat über den BIF kompensieren.

Gemäss der Finanzplanung des Bundes sinken die Reserven des Fonds in den nächsten Jahren rapide: Gegenwärtig sind es rund 2 Milliarden Franken, 2028 noch 317 Millionen. Das hat mehrere Gründe: Von 2025 bis 2028 sieht der Bund rund 2 Milliarden Franken mehr für den Betrieb und die Erneuerung von Schienen und Tunnels vor. Die Ausbauten, die das Parlament gerne forciert, führen im Unterhalt zu hohen Folgekosten. Zudem kommt der Ausbauschritt 2035 vermehrt in die Bauphase.

Eine Rolle spielt auch die angespannte Finanzlage. Der Bund reduziert die Einlagen aus der Schwerverkehrsabgabe in den BIF, um den Haushalt zu entlasten. Die im Rahmen des Sparprogramms geplante weitere Kürzung der Einlagen um 200 Millionen pro Jahr ab 2026 ist in der Finanzplanung noch gar nicht enthalten.

Werde die Kürzung wie vorgesehen umgesetzt, werde der Handlungsspielraum kleiner, sagt der BAV-Sprecher Michael Müller. Das gelte für die Überarbeitung des Angebotskonzeptes 2035, für neue Ausbauten, aber auch für den Substanzerhalt des bestehenden Netzes. Fallen die Reserven des BIF unter die festgelegte Schwelle von 300 Millionen Franken, seien Steuerungsmassnahmen angezeigt, etwa die Verzögerung von Ausbauten.

Kantone kritisieren Bundesrat

Für die Kantone kommt ein Ausbaustopp jedoch nicht infrage. Der BIF müsse auch in Zukunft gut alimentiert sein, sagt der Luzerner Regierungsrat Fabian Peter (FDP), Direktor der Konferenz der kantonalen ÖV-Direktoren. Die Mobilität und die gute Erreichbarkeit seien wesentliche Standortvorteile. «Wenn wir aufhören zu investieren, bleiben wir stehen.»

Die kantonalen ÖV-Direktoren haben einstimmig eine Stellungnahme verabschiedet, wie sie am Mittwoch mitteilten. Sie lehnen die bundesrätlichen Sparmassnahmen beim öV entschieden ab, auch beim Regionalverkehr. Diese gefährdeten den künftigen Ausbau der Bahninfrastruktur und die Aufrechterhaltung des heutigen Angebots, was den Klimazielen widerspreche.

Gemäss den Kantonen setzt der Bundesrat das Vertrauen der Stimmbevölkerung aufs Spiel. Im Jahr 2014 habe sich eine klare Mehrheit für den Bahnfonds und die langfristige Sicherung des Ausbaus ausgesprochen. Unter dieser Prämisse hätten die Kantone, die jedes Jahr substanzielle Beiträge an den Fonds leisteten, einer Zentralisierung der Planung beim Bund zugestimmt. Die ÖV-Direktoren verweisen auch auf die Umfrage «Barometer Finanzpolitik» des Forschungsinstituts Sotomo. Laut dieser möchte eine Mehrheit nicht beim öffentlichen Verkehr sparen.

Mit dem Nein der Kantone ist absehbar, dass die Sparmassnahmen einen schweren Stand haben werden. Selbst wenn der Bundesrat darauf verzichtet, wird der finanzielle Spielraum für all die milliardenschweren Grossprojekte, darunter die Tiefbahnhöfe Luzern und Basel, jedoch eng. Bei der Planung weiterer Ausbauten müsse an erster Stelle stehen, wo der investierte Franken den Kunden am meisten bringe, sagt die SBB-Sprecherin Thommen. Zudem seien die Folgekosten des Substanzerhalts des Bahnnetzes von jährlich rund 3 Prozent stärker zu berücksichtigen.

Das Nein zum Autobahnausbau hat gezeigt, dass Investitionen in die Infrastruktur kein Selbstläufer mehr sind. Der öV geniesst zwar grössere Sympathien als der Strassenverkehr. Ob das angesichts der enormen Mehrkosten für den Bahnausbau so bleibt, ist eine andere Frage.

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