Sonntag, März 30

Das grösste Newsportal der Schweiz steht kommerziell unter Druck. Der Chef sieht die Firma auch durch die öffentlichrechtlichen Medien bedroht. Er fordert, SRF müsse sich im digitalen Mediengeschäft zurückhalten.

Vor 25 Jahren sorgte «20 Minuten» in der Schweiz für Furore: Es war die erste Pendler-Gratiszeitung. Schnell entwickelte sich das Produkt zu einer kommerziellen Goldgrube. In den besten Zeiten in den 2010er Jahren machte «20 Minuten» über 150 Millionen Franken Umsatz. Die Betriebsgewinnmarge lag bei mehr als 25 Prozent. Das ist eine Profitabilität, von der andere Medienhäuser nur träumen.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Rückläufige Umsätze und Gewinne

Eine Sonderstellung hat «20 Minuten» noch heute. Es ist das letzte grosse Medium in der Schweiz, das sich allein über Werbung finanziert. Doch das Modell der Werbefinanzierung steht unter Druck. Dies verdeutlichen die Geschäftszahlen zum Jahr 2024. In den letzten fünf Jahren ist der Umsatz deutlich zurückgegangen; er liegt jetzt noch bei 102 Millionen Franken. Auch eine Goldgrube ist «20 Minuten» nicht mehr. Die Gewinnmarge ist auf 8 Prozent geschrumpft.

Ein Teil dieses Einbruchs hat mit den Folgen von Corona zu tun. Seit der Pandemie greifen weniger Pendler zur gedruckten Ausgabe von «20 Minuten». Die Print-Auflage ist um 30 Prozent zurückgegangen. Dadurch sind substanzielle Werbeumsätze weggefallen.

Wichtiger ist das digitale Angebot geworden. Schon früh hatte das Unternehmen, das seit 2003 zum Zürcher Medienkonzern TX Group gehört, auf Online-Journalismus gesetzt. Heute ist «20 Minuten» das grösste Online-Newsportal der Schweiz und lockt täglich rund 3 Millionen Leserinnen und Leser an.

Annäherung an die sozialen Netzwerke

Doch auch im Online-Bereich hat der Wettbewerb zugenommen. «Wenn es um die Werbung geht, sind unsere grössten Konkurrenten die globalen Tech-Giganten», sagt der Firmenchef Bernhard Brechbühl im Gespräch.

Tatsächlich fliesst in der Online-Welt das meiste Werbegeld ins Ausland. Laut einer Schätzung der Interessengemeinschaft elektronische Medien erzielten die sozialen Netzwerke, Youtube und Google im Jahr 2023 in der Schweiz einen Werbeumsatz von 1,8 bis 2,2 Milliarden Franken. Für einheimische Online-Portale blieben nur knapp 0,7 Milliarden Franken.

Gegen Instagram, Tiktok oder Youtube muss sich «20 Minuten» auch behaupten, wenn es um die Aufmerksamkeit der Leser geht. Den Angeboten gelingt es mit ihren ausgeklügelten Algorithmen, die Nutzerinnen und Nutzer zu fesseln.

Wegen der Konkurrenz nähert sich «20 Minuten» den sozialen Netzwerken an. In letzter Zeit hat das Newsportal beispielsweise häufig prominent über Trends auf Tiktok berichtet. Es gibt Hauptbeiträge zum Thema, dass sich Jugendliche Parfums für 700 Franken leisten. Entfernt sich das Medium damit zu stark von einem klassischen Nachrichtenportal?

«Für Herz und Hirn»

Der Firmenchef Brechbühl widerspricht: «Wir wollen keine Social-Media-Plattform sein.» Nachrichten gehörten weiterhin zum Kerngeschäft von «20 Minuten», die Nutzer sollen sich umfassend informieren können. «Aber während Corona und des Ausbruchs des Ukraine-Krieges war unser Angebot etwas schwer geworden. Wir wollen jetzt bewusst wieder leichtere Themen zur Unterhaltung und Inspiration bieten – auch um der Nachrichtenmüdigkeit entgegenzuwirken.» Im Übrigen habe es seit Beginn zur Mischung von «20 Minuten» gehört, etwas fürs Herz und fürs Hirn zu bieten.

Brechbühl betont, man wolle sich gegenüber den sozialen Netzwerken abgrenzen. Das sei auch für die Werbekunden wichtig. «Wenn eine Firma auf den sozialen Netzwerken Werbung schaltet, weiss sie nicht, was die Nutzer sonst noch alles zu sehen bekommen.» Auf Tiktok beispielsweise werden Jugendliche nicht selten mit problematischen Inhalten konfrontiert. «Bei uns hingegen erhalten die Werbekunden ein kontrolliertes Umfeld.»

«20 Minuten» befindet sich damit allerdings auf einer Gratwanderung: Kann man viel Aufmerksamkeit der Leser gewinnen, ohne journalistische Qualität zu opfern? Ein Anspruch lautet, dass das Gratismedium politisch ausgewogen sein soll. Er wird tatsächlich eingelöst: Laut einer Analyse des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) an der Universität Zürich berichtet «20 Minuten» ohne politische Färbung über Abstimmungsvorlagen – ähnlich wie das öffentlichrechtliche SRF.

In anderen Bereichen schneidet «20 Minuten» hingegen schlechter ab. Dies gilt etwa für die Glaubwürdigkeit bei den Leserinnen und Lesern. Laut dem «Jahrbuch Qualität der Medien» des Fög liegt «20 Minuten» bei der Glaubwürdigkeit nur im Mittelfeld der Schweizer Medientitel. Einen hinteren Rang belegt das Medium zudem bei der journalistischen Qualität, gemessen an den Kriterien Relevanz, Vielfalt, Einordnung und Professionalität.

Harter Wettbewerb der Newsportale

Das Gratismedium kämpft nicht nur gegen die sozialen Netzwerke, sondern auch gegen andere Newsportale in der Schweiz. Bei den reichweitenstärksten Titeln war der «Blick» lange Zeit der Hauptkonkurrent von «20 Minuten». Doch das Boulevardmedium hat jüngst an Terrain verloren. Das hat auch mit einer bewussten Entscheidung zu tun: Der «Blick» hat im Juni 2023 ein Abo-Modell für Teile seines Online-Angebots eingeführt. Dadurch ist die Reichweite gesunken.

Dafür hat das öffentlichrechtliche SRF aufgeholt. Im Jahr 2024 überholte das gebührenfinanzierte SRF-Newsportal zeitweise «20 Minuten» bei den Nutzerzahlen, auch wegen der Fussball-EM.

Die Entwicklung macht dem Firmenchef Brechbühl Mühe. «SRF müsste gemäss der Bundesverfassung Rücksicht nehmen auf die privaten Medien. Aber im digitalen Raum ist davon nichts zu spüren.» Im Gegenteil, es gebe einen Verdrängungseffekt: «SRF nimmt uns Reichweite weg.» Brechbühl fordert, dass sich der öffentlichrechtliche Rundfunk auf ein schlankeres Angebot beschränke. SRF solle kein waschechtes Newsportal anbieten, sondern nur eine Mediathek für audiovisuelle Inhalte.

Mithin steht «20 Minuten» von vielen Seiten unter Druck. Aber am Alleinstellungsmerkmal, das letzte grosse Medium zu sein, das sich nur über Werbung finanziert, will das Unternehmen festhalten. Wie der «Blick» mit seinem Abo-Modell möchte es Brechbühl nicht machen: «Wir waren von Beginn an ein Gratismedium. Dabei soll es bleiben.»

Exit mobile version