Im nächsten Frühling beginnen an der Stadtkirche die ersten Arbeiten zur Sanierung der gesamten Gebäudehülle.
Nur wer in Zürichs Altstadt die Kirchen betritt, hat es vielleicht bemerkt: Seit dem letzten Jahr wird das Grossmünster umfassend instand gesetzt. Bereits 2017 begannen die Abklärungen, 2021 bewilligte der Regierungsrat dafür einen Rahmenkredit von 35 Millionen Franken.
Die erste Etappe galt dem Innenraum. In einem sakralen Bau geht es immer um mehr als bauliche Sanierung. Das Grossmünster ist ein Gesamtkunstwerk, das über Jahrhunderte entstanden ist. Fachleute haben die drei 1933 von Augusto Giacometti geschaffenen Glasfenster im Chor restauriert. Auch die sieben von Sigmar Polke 2009 kunstvoll gestalteten Fenster im Kirchenschiff erhielten eine Auffrischung.
Zum Glück fielen dem Bildersturm der Reformation nicht alle Darstellungen zum Opfer. In der Krypta sind Fresken und Ornamente erhalten geblieben. Derzeit wird das Raumklima gemessen, denn die Wandmalereien haben durch die Schwankungen von Luftfeuchtigkeit und Temperatur Schaden genommen. Es wird abgeklärt, wie man sie besser schützen kann.
Schadhaft war bis vor kurzem auch Karl der Grosse, der als über 500-jährige Statue in der Krypta sitzt. Die Spitze des Schwerts, das auf seinen Knien ruht, war abgebrochen, der Griff bröckelte. Nun ist die Waffe wieder intakt. Der Kaiser, der aus einer Nische am südlichen Turm über die Limmat blickt, ist eine Kopie.
Es ist eine Legende, dass Karl der Grosse das Grossmünster gründete. Angeblich verfolgte er einen Hirsch bis nach Zürich. Hier sollen sein Pferd und die Hunde auf die Knie gegangen sei, an der Stelle, wo die Stadtheiligen Felix und Regula sowie ihr Diener Exuperantius begraben seien. Erst recht ein Mythos ist, dass die drei nach ihrer Enthauptung an der Stelle, wo heute die Wasserkirche steht, mit dem Kopf unter dem Arm das Ufer emporstiegen.
Sicher ist indes, dass die von 1100 bis 1220 erbaute Stadtkirche, die erst seit dem 14. Jahrhundert Grossmünster heisst, sakrale Vorläufer hatte. Es handelt sich um eine der grössten romanischen Kirchen der Schweiz, in Kurzform eine «dreischiffige Pfeilerbasilika mit Doppelturmfront und Hallenkrypta unter dem Chor». Historisch bedeutsam ist sie als Ursprung der Reformation helvetischer Prägung unter dem Leutpriester Huldrych Zwingli.
Im Besitz des Kantons Zürich
In den nächsten Jahren wird das historische Gebäude nun auch äusserlich saniert. So umfassend, dass dieser Tage Vertreter der Baudirektion und der reformierten Kirche Anwohner und Besucher informierten. Die Bauherrschaft liegt beim Kanton. Seit er 2011 alle anderen kirchlichen Liegenschaft an die Kirchgemeinden abtrat, sind das Grossmünster sowie die Klosteranlagen Rheinau und Kappel am Albis die letzten sakralen Bauten in seinem Immobilienpark.
Äusserlich werden die Arbeiten daran erkennbar, dass Anfang 2025 an der Südseite und am Chor Gerüste hochgezogen werden. Ab 2026 ist das Zürcher Wahrzeichen dann zwei Jahre lang nur noch an seiner Form erkennbar. Es wird vollständig eingerüstet und mit einem Notdach versehen.
Die Sanierung dient der langfristigen Substanzerhaltung. Eine Nahaufnahme verdeutlichte am Anlass, dass etwa der Dachreiter auf dem Kirchenschiff mehr als nur etwas frische Farbe nötig hat. Die ganze Gebäudehülle aus Sandsteinquadern wird systematisch nach Schäden abgesucht und saniert.
Beim Blättern in Standardwerk zum Grossmünsters von Daniel Gutscher stösst man auf Überraschendes. Als Gegenstück zu Kaiser Karl an Südturm schmückt hoch über dem Abbild des Reformators Heinrich Bullinger das Relief eines Reiters die Flanke des nördlichen Glockenturms. Es handelt sich angeblich um einer der ältesten Reiterdarstellungen nördlich der Alpen. Vermutlich hat ein italienischer Künstler die Figur um das Jahr 1180 erschaffen.
Erstaunlich ist der gute Zustand, obwohl das Relief aus Sandsteinquadern noch nie restauriert wurde. Nach Auskunft von Lorenz Leuenberger, Projektleiter im kantonalen Hochbauamt, sind neben einer Reinigung voraussichtlich auch diesmal nur kleine Ausbesserungen nötig. Genauer wird das noch abgeklärt, wenn man den Reiter vom Gerüst aus untersuchen kann.
Kunst am Baugerüst
Für Besucherinnen und Besucher soll sich während der Bauarbeiten möglichst wenig ändern. Gottesdienste finden wie gewohnt statt. Für Besichtigungen ergeben sich je nach Bauphase einige Einschränkungen, hiess es an der Information. Für Veranstaltungen kann die Kirche unverändert gebucht werden.
Nach Abschluss der äusseren Sanierung wird im Innern noch die Infrastruktur aufgemöbelt, unter anderem mit einer barrierefreien Toilette. Das Grossmünster wird als touristische Attraktion mit inzwischen etwa 600 000 Besucherinnen und Besuchern im Jahr immer beliebter.
Da es sich um ein Kulturgut handelt, machten sich die Verantwortlichen Gedanken über Kunst am Bau. Vorgesehen ist, am Gerüst eine Installation anzubringen. Ein Entscheid dazu ist noch nicht gefallen. Das Kunstwerk werde weder radikal, schrill noch provokativ sein, wurde versichert.
Das Ergebnis der Restaurierung selbst dürfte diesmal kaum Diskussionen auslösen. Im 20. Jahrhundert war das anders. Mitte der dreissiger Jahre wurde die Brüstung unterhalb der Turmspitzen durch ein Spitzbogenfries ersetzt. Grund: Das ursprüngliche Motiv mit Windrosen wurde während des Frontenfrühlings der 1930er Jahre, weil es angeblich an Hakenkreuze erinnere, als unangebracht entfernt.
Dieser Fehlgriff wurde mit der letzten Sanierung Ende der 1970er Jahre rückgängig gemacht. Dafür gaben danach die abgerundeten Türme zu reden, nicht weil der französische Schriftsteller Albert Camus sie einmal mit einem Salz- und Pfefferstreuer verglichen haben soll. Doch die Einheimischen mussten sich daran gewöhnen, dass die haubenförmigen Abschlüsse, die vorher wegen des oxidierten Kupfers grünlich schimmerten, nun grau gestrichen waren.
Diesmal sollte, wird das Gerüst 2028 zuletzt an der Westfront des Grossmünsters ganz entfernt, keine unliebsame Überraschung zum Vorschein kommen. Sondern ein stolzes Bauwerk in alter Frische.