Weit in der Nachspielzeit lagen die Engländer noch im Rückstand, doch dank einem Fallrückzieher von Jude Bellingham erzwingen sie die Verlängerung. In dieser erzielt Harry Kane den entscheidenden Treffer.

Als kaum mehr jemand an das englische Nationalteam glaubte – und vermutlich dieses auch nicht mehr so richtig an sich –, da gelang Jude Bellingham ein Tor, das er auf diese Art im Nationaltrikot noch nie erzielt hatte: ein grandioser Fallrückzieher. Er sah so künstlerisch gehaltvoll aus, als hätten ihm zu seinem Können in dieser Aktion alle englischen Offensivgranden wie Geoff Hurst, Gary Lineker, Paul Gascoigne, David Beckham und Wayne Rooney beigestanden.

Mit seinem Ausgleichstor erwirkte Bellingham gegen die Slowakei in fast letzter Sekunde der regulären Spielzeit nicht nur die Verlängerung für England, sondern er bewahrte seine Nation gegen den Underdog ebenfalls vor einer Fussballkatastrophe, einer isländischen Ausmasses sozusagen. Vor acht Jahren war England im EM-Achtelfinal peinlich an Island zerschellt. Das berühmte Inferno hat sich seitdem derart ins Gedächtnis der Nation gebrannt, dass den Spielern die Angst vor einer erneuten Blamage anzumerken war – bis Bellingham sein Team von dieser Last in der fünften Minute der Nachspielzeit befreite.

Die Schweizer müssen sich auf zwei Versionen des nächsten Gegners vorbereiten

Die Erleichterung war am Sonntag so immens, dass England in der Extraspielzeit zumindest wieder ein bisschen wie England spielte: offensiv und einigermassen zupackend. Gleich zu Beginn der Verlängerung gelang Harry Kane das Siegtor zum 2:1. Damit haben die Engländer erstmals überhaupt zum vierten Mal in Serie an Turnieren die Viertelfinals erreicht. Sie treffen am Samstag in Düsseldorf auf die Schweiz.

Die Schweizer stehen angesichts des englischen Turnarounds vor der Herausforderung, sich auf zwei Versionen des nächsten Gegners vorbereiten zu müssen: auf die eingeschüchterte und inspirationslose Spielweise der Engländer aus der Vorrunde, die auch im Slowakei-Spiel lange zu sehen war; und zum anderen auf die emotional losgelösten Three Lions nach der unfassbaren Aufholjagd.

Plötzlich standen die englischen Fans wieder hinter ihrem Team und pfiffen es nicht mehr wie zuvor aus. Die Aufbruchsstimmung der vergangenen Jahre unter dem im Herbst 2016 verpflichteten Trainer Gareth Southgate war wieder zu spüren – und insbesondere der Glaube, an diesem Turnier trotz der unmittelbar bevorstehenden Abreise doch noch um den Titel mitspielen zu können.

So lässt sich für die Schweizer nur prognostizieren, dass sie einer momentan unberechenbaren Mannschaft begegnen werden. Englands Team ist gespickt mit hochkarätigen Spielern, die zu jeder Zeit eine Partie durch ihre individuelle Klasse herumreissen können – so, wie es die Slowaken schmerzhaft erfahren mussten.

Erdrückende Erwartungshaltung im Mutterland des Fussballs

Die Schuld, dass sich die Engländer bisher nicht wie der erwartete Mitfavorit präsentiert haben, schiebt das Land auf die Zurückhaltung und das Taktieren des Trainers. Southgate wird unterstellt, immerzu die Defensive voranzustellen und nicht den Ideenreichtum zu besitzen, die vielen talentierten Offensivkräfte angemessen einzusetzen. Die englische Öffentlichkeit wünscht sich einen mitreissenden Angriffsstil, wie ihn die Spitzenklubs der heimischen Premier League zumeist bieten.

Dabei wird häufig ausgeblendet, dass Southgate viele Akteure mit vielen unterschiedlichen Ansätzen aus den Vereinen in kurzer Zeit zusammenführen muss. Bei den vergangenen Turnieren erwies sich sein auf Stabilität ausgerichteter Ansatz als erfolgreich. Nun sieht sich seine Mannschaft jedoch einer Erwartungshaltung im Land ausgesetzt, die selbst für gestandene Nationalspieler erdrückend wirkt. Sie äussert sich darin, dass sich das Mutterland des Fussballs trotz dem glückhaften Weiterkommen auch gegen die bisher so starken Schweizer wieder als Favorit sehen dürfte.

England – Slowakei 2:1 (1:1, 0:1) n. V.
Gelsenkirchen. – 47 244 Zuschauer. – Schiedsrichter: Meler (TUR). – Tore: 25. Schranz 0:1. 90.(+5) Bellingham 1:1. 91. Kane 2:1.
England: Pickford; Walker, Stones, Guéhi, Trippier (66. Palmer); Mainoo (84. Eze), Rice; Saka, Bellingham (106. Konsa), Foden (94. Toney); Kane (106. Gallagher).
Slowakei: Dubravka; Pekarik (109. Tupta), Vavro, Skriniar, Hancko; Kucka (82. Bero), Lobotka, Duda (82. Benes); Schranz (93. Gyömber), Strelec (61. Bozenik), Haraslin (61. Suslov).
Bemerkungen: Beide Teams komplett. 50. Tor von Foden wegen Offside aberkannt. 78. Pfostenschuss von Rice. Verwarnungen: 3. Guéhi (im Viertelfinal gegen die Schweiz gesperrt). 7. Mainoo. 13. Kucka. 17. Bellingham. 45. Skriniar. 77. Pekarik. 108. Vavro. 114. Gyömber.

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