Danny Boyle präsentiert den dritten Teil seiner Zombie-Saga. Sind die Untoten zum ewigen Franchise-Leben verdammt?

Jedes Monster hat seine Konjunktur. Vampire waren immer gut für eine populäre, auf Klischees setzende Klassenkritik: Der Schurke, der die niederen Milieus zur Ader lässt – mit so einer Figur liess sich die Geschichte vom reichen Bourgeois als Blutsauger süffig bebildern. Und auch für das romantische Bedürfnis kam der Vampir infrage: Ewige Liebe war nur einen Biss entfernt, und dass man für den sentimentalen Overkill das Zeitliche segnen musste, war eine Kleinigkeit in Anbetracht der Longevity-Effekte, die eine solche Verbindung mit sich brachte. Wer würde nicht gern für immer jung sein und die Nacht zum Tage machen?

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Werwölfe kamen filmhistorisch (und auch literarisch) nie richtig zum Zug. Sie waren weder kosmetisch (zu viel Haar, schlechte Zähne) noch zivilisationskritisch gesehen auf Dauer verwertbar. Ausserdem sind Typen mit Impulskontrollstörung in einer sich feminisierenden Gesellschaft nicht mehr gefragt – Triebverzicht und Wolfsgeheul passen nicht recht zusammen.

Blieb noch der Zombie, und seine Karriere ist umso imposanter, als er, was das Erscheinungsbild angeht, wenig hermacht. Aber als Phänomen ist er unschlagbar: Lumpenproletarier, gefleddert von Pandemien und/oder einer aus dem Ruder gelaufenen Biotechnologie, tritt er in vagabundierenden Massen auf. Mit diesen Untoten liess sich die gute alte Freund-Feind-Konzeption wieder beleben, und so gesehen sind Zombie-Filme und -Serien vor allem Geschichten über Gemeinwesen und wie sie unter dem Druck von Aussen standhalten oder zerfallen.

Wütender Flashmob

Am besten spielte das die Serie «The Walking Dead» durch. Zombies waren in dieser über elf Staffeln ausgespannten Horrorsaga irgendwann einfach der Andere, dessen Gestalt entscheidende Fragen nach Identität und Gesellschaft provozierte. In den besten Momenten zeigte die Serie, wie schnell die Souveränität zivilisierter Gemeinwesen im Ausnahmezustand unter die Räder kommt. Die Zombies waren vielleicht tot, die Lebenden aber innerlich abgestorben.

Danny Boyles «28 Days Later»-Film von 2002 lud das Zombie-Szenario mit zwei Innovationen auf: Die Untoten waren nicht mehr umhertaumelnde Guhle, sondern Maniker auf Menschenjagd. Die somnambule Zombie-Menge hatte als Allegorie für die kapitalistisch verstrahlte Konsumentenmenge weitgehend ausgespielt, und Boyle zeigte sie als wütenden Flashmob, der schneller viral geht, als jemand «Pandemie-Abkommen» sagen kann.

Hinzu kam die konkrete Topografie des Horrors: «28 Days Later» und auch der nachfolgende «28 Weeks Later» (2007) spielten in England, einer von Infizierten bedrohten Insel, die mit strengsten Quarantäneregeln abgeschottet und dann von innen her aufgemischt wurde. Die Brexit-Nation, auf Sonderkurs in den politischen Abgrund trudelnd, erschien im Zerrspiegel des Horrorfilms als Gefahrengebiet, das man schnellstens verlassen sollte. «28 Years Later» zeigt das Königreich nun endgültig als Entwicklungsland auf Subsistenzniveau.

Zwischen Ritalin und Werwolf

Boyle und sein Drehbuchautor Alex Garland erzählen aus der Perspektive eines zehnjährigen Jungen (Alfie Williams). Die Mutter (Jodie Comer) ist krebskrank, der Vater (Aaron Taylor-Johnson) ein Draufgänger und Ressourcenjäger des hinter Palisaden verschanzten Dorfs. Bei einem der notwendigen Beutezüge soll der Junge ins Jäger- und Soldatendasein eingeschworen werden, draussen aber marodieren die Zombies. Die Untoten sind weiterhin schnell und genetisch gesehen jetzt sogar aufwärts mobil. Es gibt sogenannte Alphas, die zerebral irgendwo zwischen Ritalin-User und Werwolf agieren und mental ganze Zombie-Herden dirigieren. Wie genau das geht, wird nicht erklärt.

Am Anfang vertraut Boyle der Dramatik familiärer Konflikte: die Revolte des Jungen gegen den Vater, weil dieser die Mutter mit einem dörflichen Fan-Girl betrügt. Die Flucht mit der Mutter ins Outback. Die ersten Kämpfe mit Untoten und die Mannwerdung im Zeichen der Gewalt. Im Hinterland treffen Mutter und Sohn auf einen Eremiten; Ralph Fiennes spielt ihn virtuos als Mischung aus Dr. Mabuse und Hermann-Hesse-Siddharta.

Von da an entgleiten Boyle die Handlungs- und die thematischen Fäden. Kampf mit dem Alpha-Zombie, Auftritt und Schlachtung eines schwedischen Topsoldaten (warum patrouillieren internationale Truppen die Grenze zum Quarantäne-isolierten England?). Am Ende eine Satanisten-Clique in «Kill Bill»-Trainingsanzügen mit viel Spass an der Metzelei.

Danny Boyles Stilwille

Für eine Initiationsgeschichte geht das alles zu schnell und für einen Horrorschocker im Geiste des B-Movie zu langsam. Wenn Ralph Fiennes, über Leben und Tod räsonierend, Menschenköpfe abkocht, um aus den blitzblanken Schädeln ein Memento-Mori-Mahnmal zu bauen, dann ist das fünf Minuten lang gruselig und weitere fünfzehn nur verblasener Kitsch. Dass Jodie Comer in der Rolle der Mutter stirbt, ergibt Sinn, weil Verlusterfahrungen in einer barbarischen Welt auch für Kinder eine Pflichtübung sind. Warum sie allerdings quälend lange als grenzdementer Wirrkopf durch die Wahrnehmungssphären schlittert, bleibt unklar.

Zusammengehalten wird das Ganze lediglich durch Boyles Stilwillen: extreme Perspektivwechsel von Totalen zu Nahaufnahmen; Verfremdungseffekte im Stil von Nachtsichtkameras; Zeitraffer- und Slow-Motion-Manöver; wummernder Elektro-Soundtrack. Filmästhetisch ist das der Look der 1990er, reimaginiert mit den technischen Mitteln von heute – anscheinend kommt Boyle nicht so richtig los von jener Ästhetik, die er mit «Trainspotting» (1996) so glänzend etablierte.

Die postapokalyptischen «Kill Bills» wird man im nächsten Film wieder sehen, denn «28 Years Later» ist der Auftakt einer weiteren Trilogie. Ob noch mehr Cross-Country-Läufe mit Zombies als bewegliche Hürden abendfüllend sind? Hat man auch die Untoten – wie ihre elitären Geschwister, die Vampire – zum ewigen Franchise-Leben verdammt? Nicht alle populären Mythen sind zeitlos, und Monster sollten nicht unsterblich sein. Unsterblich sind nur wirklich gute Geschichten.

Exit mobile version