Dienstag, November 19

Das Universitätsspital Zürich richtet eine neue Station für gefährliche, hochansteckende Krankheiten ein. Ein Selbstversuch zeigt, wie schnell man dort tödliche Fehler begehen kann.

Im hintersten Winkel des Zürcher Unispitals, wo kein Mensch sich je hin verirrt, blinkt seit zehn Jahren im Dunkeln ein Licht. Es gehört zu einer Gegensprechanlage, die nie benutzt wird. An der Wand hängt eine Uhr, die um 22 Minuten nach elf Uhr stehen geblieben ist, auf einem Schragen hinter Glas zeichnen sich die Umrisse eines menschlichen Körpers ab – eine Puppe. Hier liegt eine ganze Station im Dämmerschlaf. Bereit für einen Ernstfall, von dem jeder hofft, dass er niemals eintritt.

Mitte der 1990er Jahre veröffentlichte der amerikanische Journalist Richard Preston einen Bestseller, der die Albträume einer Generation prägen sollte. Er zeichnet die letzten Tagen eines Franzosen nach, der sich in einer Höhle in Kenya mit einer rätselhaften Krankheit ansteckt und schliesslich in einem Krankenhaus in Nairobi zusammenbricht, aus allen Körperöffnungen blutend. Als man seine Leiche später obduziert, sehen die inneren Organe aus wie bei einem verwesten Kadaver.

Der Horrorautor Stephen King bezeichnete dies als etwas vom Furchtbarsten, das er je gelesen habe. Hollywood sprang auf den Zug auf. So lernte die Weltöffentlichkeit das hochansteckende Ebolavirus und seine unheimlichen Verwandten kennen.

Zwanzig Jahre später, im Winter 2014, wird auch das Zürcher Unispital mit dieser Angst konfrontiert. In Westafrika ist eine Ebola-Epidemie ausgebrochen, wie es sie noch nie gab. Sie wird am Ende 40 Prozent der Infizierten das Leben kosten. Erstmals treten Fälle ausserhalb Afrikas auf. In Genf wird ein kubanischer Arzt behandelt, der sich bei einem Hilfseinsatz angesteckt hat – er überlebt.

Dann, am 31. Dezember, einem kalten, verschneiten Tag, klingelt am Unispital das Telefon. Zürich ist als Ausweichflughafen für einen Notfalltransport ausgewählt worden. An Bord der Maschine ein Ebola-Infizierter, sediert in einem Isolierzelt, der am Neujahrstag zur Behandlung nach Deutschland gebracht werden soll.

Das Sondereinsatz-Team in Zürich bereit alles vor. Sollte das Flugzeug sein Ziel nicht anfliegen können – wegen des Wetters oder einer kritischen Situation an Bord – würde ein Ambulanzfahrzeug den Kranken am Flughafen abholen und zu einem Hintereingang des Spitals fahren – dorthin, wo niemand etwas mitbekommt. Sanitäter in aufgeblähten Schutzanzügen würden eine Rollliege ausladen, auf der sich das Isolierzelt mit dem Patienten befindet. Und dann müsste sich zeigen, ob die vielen Sicherheitsprotokolle halten, was sie versprechen.

Mitglieder des Teams wurden gemieden – aus Angst

Peter Steiger, der stellvertretende Direktor des Instituts für Intensivmedizin, erinnert sich lebhaft an jene Tage. Er schaltet das Licht an in der Zentrale der Ebola-Station, die das Unispital damals auf Geheiss des Bundes in kürzester Zeit aufgebaut hat. Aus der alten Neonatologie, wo einst früh geborene Babys in Inkubatoren lagen, wurde ein medizinischer Hochsicherheitstrakt.

Das Personal, das sich für Sondereinsätze auf der Ebola-Station bereit erklärt, muss fit sein, um stundenlang im tropischen Klima arbeiten zu können, das sich im Innern der Schutzkleidung entwickelt. Es muss diszipliniert sein, um sich in ein isoliertes Zimmer mit einem unberechenbaren Patienten zu begeben, wo eine einzige falsche Bewegung tödliche Folgen haben kann. Und damals, im Herbst 2014, musste es noch dazu mit Ausgrenzung klarkommen.

Manche Mitglieder des Teams wurden aus Angst vor einer Ansteckung am Mittagstisch gemieden, anderen wurde in der Kindertagesstätte die Tür vor der Nase zugeschlagen. Obwohl es am Unispital noch keinen einzigen Ernstfall gab. Auch am Neujahrstag blieb Zürich schliesslich verschont. «Man kann sich nicht vorstellen, was für eine Angst damals herrschte», sagt Steiger, «im Spital und vor allem auch ausserhalb – das war völlig irrational.»

Eine ähnliche Angst ging sechs Jahre später um, als die Bilder aus Bergamo kursierten: Armeelastwagen voller Toter, die an Covid gestorben waren – unter ihnen auch Ärzte und Pflegepersonal. Doch rückblickend hatte die Pandemie in Zürich auch etwas Gutes: Dank der Ebola-Station sei das Personal vorbereitet gewesen, sagt Steiger. Und: «Weil wir mit Covid-Patienten üben konnten, hat auch das Ebola-Szenario an Schrecken verloren.»

Deshalb wird die alte, versteckte Ebola-Station nun aufgelöst und nach vorn geholt, mitten in den pulsierenden Spitalbetrieb. Laut Steiger ist das sinnvoller und effizienter, als eine solche Infrastruktur jahrelang zu unterhalten, ohne sie je zu nutzen.

Prädestiniert als neuer Standort ist die moderne Intensivstation für schwere Brandopfer. Der Grund: Die offene Haut dieser Patienten ist ein Nährboden für multiresistente Keime, die auf keinen Fall verschleppt werden dürfen. Deshalb herrschen dort strengste Hygienevorschriften. Ein Teil dieser Abteilung wird nun so umgebaut, dass sie im Ernstfall in kürzester Zeit in eine Station für gefährliche, hochansteckende Krankheiten umfunktioniert werden kann.

Funktionieren wird sie sehr ähnlich wie die alte Station. Und das bedeutet auch: Die Belastung fürs Spital wäre weiterhin immens, wenn sie in Betrieb genommen werden müsste. Für die 24-Stunden-Behandlung eines einzigen Patienten müssten dreissig Fachleute abgezogen werden, die dann auf anderen Stationen fehlen würden. Zudem müssten jeden Tag fünfzig kleine Abfallcontainer voll Material entsorgt werden, und das über längere Zeit. «Das kostet bis zu zwei Millionen Franken pro Patient», sagt Steiger, und fügt das Offensichtliche an: «Ein wahnsinniger Aufwand.»

Wer ungeübt ist, begeht schnell lebensgefährliche Fehler

Warum das so ist, demonstriert er bei einem Probelauf in der alten Station. Bis man nur schon die mehrlagige Schutzkleidung angezogen hat, dauert es mehr als eine Viertelstunde. Ein strenger Drill mit 22 Punkten: Handschuh über Armschützer über Handschuh, Schürze über Chirurgenmantel über Overall. Alles muss absolut dicht sein, denn schon fünf Viren von gerade einmal einem Hundertstel Millimeter Grösse genügen, um sich anzustecken. Und die Viren sind überall: Der Patient im Zimmer blutet womöglich oder erbricht sich.

Deshalb darf absolut nichts, was in dieser hermetisch abgeriegelten Gefahrenzone war, diese ohne dreifache Sicherheitsmassnahmen verlassen. Weder das medizinische Material noch die Urinflasche oder das Granulat, mit dem Verschmutzungen am Boden aufgesaugt werden. Auch die komplette Schutzkleidung muss nach jedem Einsatz entsorgt werden – wobei ein Einsatz maximal zwei Stunden dauern darf. Warum, hat sich bei einer Übung im Sommer gezeigt, als Leute wegen der Hitze im Anzug kollabierten.

Alles kommt in einen Abfallsack aus dickem Plastik, dieser wiederum in einen robusten Container, und dieser in ein blaues Fass für Sondermüll, das direkt in den Hochofen geworfen wird. Ähnliches gilt für den Spezialsarg, der in einem Lagerraum neben den Fässern bereitsteht: Er würde direkt ins Krematorium gehen.

Zum Patienten gelangt man durch eine Schleuse, deren Türen sich nur von aussen öffnen lassen – auf diesem Weg gibt es kein Zurück. Hineingehen darf man ausschliesslich im Zweierteam, wobei einer der beiden nur eine einzige Aufgabe hat: Kontrollieren, dass der andere keinen potenziell tödlichen Fehler begeht. Um ihm diese Aufgabe zu erleichtern, muss derjenige, der den Patienten behandelt, jeden seiner Schritte laut ankündigen.

Das Zweierteam wird von einem Dritten überwacht, der hinter einer Glasscheibe in der Zentrale steht. Auf der Station nennen sie ihn «voice of god». Er übernimmt, falls es drinnen zu einem kritischen Vorfall kommt. Wenn zum Beispiel ein unruhiger Patient jemandem vom Behandlungsteam die Maske herunterreisst. In diesem Fall gibt er über die Gegensprechanlage sofort das Kommando «Freeze!» – keine Bewegung mehr. Denn in der Panik droht der Verstand auszusetzen. Dann geht er mit den beiden drinnen eine Notfall-Checkliste durch.

Solche Listen für jedes erdenkliche Szenario hängen überall auf der Station. Nur nach einem sucht man vergeblich: Was, wenn ein Patient sich losreisst und nach draussen will? Steiger schaut hinüber zur Tür, die zur Ausgangsschleuse führt, und die wegen des Feuerschutzes nicht geschlossen werden darf. «Wenn es dazu käme, müssten wir die Polizei rufen.»

Wenn alles wie geplant läuft, wird ein Team nach zwei Stunden abgelöst und begibt sich zu einer Schleuse, wo das Entkleidungsritual beginnt. Die Schwierigkeit: Die kontaminierte äussere Schicht muss so ausgezogen werden, dass sie nie mit der inneren Schicht in Berührung kommt. Nur dann darf man sich von der orange bemalten ersten Zone der Schleuse in die blau gestrichene, saubere Zone begeben.

Was banal klingt, erweist sich in der Praxis als Logikrätsel, das auch die motorischen Fähigkeiten testet. Und das unter Einsatz des eigenen Lebens. Uneingeweihte ohne Übung haben keine Chance, ohne verhängnisvolle Fehler durch die Schleuse zu kommen.

Die Hände greifen instinktiv an Orte, die nicht einsehbar sind. Streng verboten. Man stopft die Schürze in den Eimer und saut sich den Arm dabei womöglich mit Viren voll. Dann ist der erste Handschuh entfernt, aber wie wird man jetzt den zweiten los, ohne den sauberen Innenhandschuh zu kontaminieren? (Antwort: Man lockert beide gleichzeitig und schüttelt sie dann ab.) Verlegen wegen der eigenen Dummheit, greift man sich unbewusst ans Kinn – nächster Fehler.

Auf der künftigen Station wird ein zusätzliches Sicherheitselement hinzukommen. Dort herrscht Unterdruck, damit keine Erreger nach draussen gelangen. Bei Ebola und verwandten Krankheiten wie dem Marburg-Virus ist das unnötig, weil sie nicht durch die Luft übertragen werden. «Aber man weiss nie, was noch kommt», sagt Steiger.

Er schaltet das Licht aus und schliesst die Tür. Nur das Licht der Gegensprechanlage blinkt weiter. Bereit für den Ernstfall, der hoffentlich niemals eintritt.

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