Donnerstag, September 19

Der Nationalrat will für gewisse Firmenbesitzer einen stärkeren finanziellen Schutz bei Arbeitslosigkeit. Das könnte 300 Millionen Franken pro Jahr kosten. Kritiker befürchten Missbräuche. Der Ständerat hat deshalb am Montag eine Denkpause beschlossen.

Selbständige Erwerbstätige sind in der Schweiz nicht gegen Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit versichert. Entsprechend zahlen sie auch keine Lohnbeiträge in die Arbeitslosenversicherung (ALV) ein. Denn Selbständige können ihre Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit gewissermassen selber bestimmen, so dass eine Versicherung via ALV erhebliches Potenzial für Missbrauch brächte.

Doch das Parlament hat eine Gruppe von Erwerbstätigen geortet, die scheinbar ein schlechtes Los gezogen haben: Diese Personen zahlen Lohnbeiträge in die ALV, aber sie haben bei Arbeitslosigkeit nicht den gleichen Zugang zu ALV-Geldern wie «normale» Angestellte. Die Rede ist hier von Erwerbstätigen, die formal Angestellte sind (etwa bei der eigenen Familien-AG), aber faktisch selbständige Unternehmer. Der Jargon spricht hier von «arbeitgeberähnlichen Angestellten».

Bisher hohe Hürden

Laut geltendem Recht können solche Angestellten im Prinzip Arbeitslosengelder beziehen, aber im Vergleich zu normalen Angestellten sind die Bedingungen deutlich strenger. So gibt es zum Beispiel einen Anspruch nur, wenn die Betroffenen ihre leitende Stellung definitiv aufgegeben haben (etwa durch Verkauf oder Liquidation der Firma), und sie mindestens sechs Monate lang in einem anderen Betrieb ohne arbeitgeberähnliche Stellung erwerbstätig waren.

Manche Parlamentarier finden die Kombination von «normalen» Beitragszahlungen mit stark eingeschränkten Ansprüchen ungerecht. Laut Kritikern können Betroffene trotz Ausstiegswille längere Zeit in ihrer Firma gefangen bleiben und deshalb keinen Zugang zu ALV-Geldern haben. Dies etwa wegen Streitigkeiten unter den Teilhabern, einem langen Konkursverfahren oder einem mühsamen Scheidungsverfahren.

Der Nationalrat hatte im Juni einer Gesetzesrevision deutlich zugestimmt, die in solchen Fällen den Zugang zu ALV-Geldern erleichtert. Arbeitgeberähnliche Angestellte hätten damit künftig Anspruch auf 70 Prozent des versicherten Lohns, wenn sie folgende Bedingungen erfüllen: die normalen Voraussetzungen wie Arbeitslosigkeit, Beitragszeit und Vermittlungsfähigkeit sind gegeben, die Betroffenen sind nicht mehr im eigenen Betrieb angestellt, und sie waren zuvor mindestens zwei Jahre lang im Betrieb tätig. Wer innerhalb einer bestimmten Frist doch wieder im gleichen Betrieb angestellt wird, müsste die erhaltenen ALV-Gelder zurückzahlen.

Der Bundesrat lehnt die Reform ab. Er warnte vor allem vor einer bedeutenden Erhöhung des Missbrauchspotenzials – etwa indem die ALV Personen entschädigen müsse, die zwar nicht mehr im Betrieb angestellt seien, aber zum Beispiel als Mitgesellschafter immer noch massgebenden Einfluss hätten. Im weiteren befürchtet die Regierung bedeutenden administrativen Mehraufwand.

Widerrufe im Ständerat

Zunächst schien aber auch der Ständerat keine grosse Reformhürde zu sein. In der vorberatenden Sozialkommission hatte es nur eine Gegenstimme gegeben, und offizielle Gegenanträge kamen aus der Kommission keine. Doch zwei kurzfristig eingereichte Einzelanträge sorgten dafür, dass sich bei der Debatte im Ständerat von diesem Montag das Bild veränderte.

Der St. Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth beantragte Ablehnung der Reform (Nichteintreten). Einer seiner Kernsätze: «Hier werden Unternehmerrisiken unangemessen an den Staat verschoben.» Würth erinnerte zudem daran, dass nebst dem Bundesrat auch die kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren und die Aufsichtskommission der ALV vor Missbrauchsgefahren warnten.

Der Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder beantragte derweil Rückweisung des Geschäfts an die vorberatende Kommission mit dem Auftrag, die Folgen der Reform genauer abzuklären und die Missbrauchsbekämpfung zu verstärken. Rieders Antrag offerierte kurzfristig einen eleganten Ausweg für Ständeräte, die politisch eine Änderung wollen, aber die Folgen der vorgeschlagenen Reform nicht ganz entspannt sehen.

Die Kombination der beiden Anträge wirkte. Der Antrag auf Nichteintreten fiel zwar im Ständerat deutlich durch, aber danach erhielt der Rückweisungsantrag eine klare Mehrheit.

Laut grober Bundesschätzung könnten etwa 300 000 Erwerbstätige von der Reform betroffen sein. Die Mehrkosten für die ALV schätzte der Bund auf etwa 300 Millionen Franken pro Jahr. Dies unter der Annahme, dass die arbeitgeberähnlichen Angestellten im Mittel gleich viel ALV-Unterstützung beziehen wie «normale» Angestellte.

Entscheidend werden die Ergebnisse der nun kommenden Prüfungen sein. Die Hauptbotschaft aus dem Ständerat am Montag: Ganz so einfach, wie es die Reformer gehofft hatten, wird die diskutierte Reform nicht durchsegeln.

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