Montag, September 30

Der Fall passt zu einem Trend: Eltern setzen sich immer mehr zur Wehr, wenn ihnen Entscheide der Schulbehörden nicht passen.

Ferien auf den Malediven. Einmal im Leben für zwei Wochen in einem Water-Bungalow wohnen und es sich so richtig gutgehen lassen. Sonne tanken, den türkisfarbenen Indischen Ozean buchstäblich vor der eigenen Haustür haben, weit weg vom grauen Winter in der Schweiz: Diesen Traum wollte eine Mutter sich selbst und ihren beiden Kindern im Teenageralter Anfang 2023 erfüllen.

Das Problem: Die Frau arbeitet als Sekundarlehrerin in einer Gemeinde im Kanton Zürich, ihre Tochter besuchte die zweite Klasse einer Sekundarschule in Winterthur, der Sohn war bereits in der Lehre. Die Sportferien der Lehrerin und jene ihrer Tochter überschnitten sich nur um eine Woche, in der zweiten Woche des geplanten Trips hätte die Tochter eigentlich zurück in der Schule sein müssen.

Also stellte die Mutter ein Gesuch, um das damals 14-jährige Mädchen für diese Reise vom Unterricht dispensieren zu lassen. Doch dafür hatte die Schule kein Verständnis: Sie lehnte den Antrag ab.

Dann eskalierte die Lage: Die Frau verreiste dennoch mit ihren beiden Kindern. Das wiederum wollte die Sekundarschule beziehungsweise die Schulpflege nicht tatenlos hinnehmen. Die Behörde gelangte ans Statthalteramt des Bezirks Winterthur – und dieses verurteilte die Frau im vergangenen Juni per Strafbefehl zu einer Busse von 3000 Franken. Ihr Verschulden: eine vorsätzliche Übertretung des Volksschulgesetzes. Dort steht geschrieben: «Die Eltern sind für den regelmässigen Schulbesuch (ihrer Kinder), die Erfüllung der Schulpflicht und der damit verbundenen Pflichten verantwortlich.»

Dieses Verdikt schliesslich wollte die Beschuldigte nicht auf sich sitzen lassen: Sie gelangte vor das Bezirksgericht, wo sie sich am Donnerstag zu verantworten hatte.

«Das ist doch nur vorgeschoben!»

Die 51-Jährige wirkt gefasst, bleibt auch dann ruhig, wenn sie sich ärgert im Gerichtssaal. Den Sachverhalt bestreitet sie nicht. Sie hatte mit einer Bestrafung gerechnet, wie sie später zur NZZ sagen wird. Aber die Höhe der Busse und die Argumente, die die Schule und das Statthalteramt gegen sie vorgebracht hatten, kann die Frau nicht nachvollziehen. Völlig unverhältnismässig sei das. «Das finde ich zum Schreien, die wollen mir eins einbrennen!», sagt sie, als die Richterin sie zu den Einzelheiten des Falls befragt.

Die 36 Halbtage, während deren ihre Tochter vor den inkriminierten Sportferien bereits gefehlt hatte?

Aus dem Kontext gerissen, antwortet die Beschuldigte. Die meisten Absenzen seien entschuldigt und medizinisch begründet gewesen. Die Tochter habe damals an massivem Eisenmangel und starken Menstruationsbeschwerden gelitten.

Die ungenügenden Schulleistungen, die mangelhafte Aufarbeitung des bisher verpassten Stoffs?

«Sie ist keine Musterschülerin, das ist so, aber wenn ich an meine eigenen Schüler denke . . .», sagt die Lehrerin zur Richterin.

Der Stellwerktest für die Lehrstellensuche, den die Klasse ihrer Tochter in der ersten Woche nach den Sportferien durchführte?

«Das ist doch nur vorgeschoben!», kontert die Beschuldigte. Den Online-Test könne man jederzeit nachholen. Und das habe ihre Tochter auch getan, als sie zurück in der Schule gewesen sei. «Viele Lehrmeister wollen die Ergebnisse des Stellwerktests ohnehin nicht sehen», sagt die Frau.

Und überhaupt: Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass ein solches Gesuch bewilligt werde, wenigstens dieses eine Mal in der ganzen obligatorischen Schulzeit. «Das ist ein ungeschriebenes Gesetz», sagt die Lehrerin zur Richterin.

Ist es das?

Wenn Schulen kulant sein wollen

Die Volksschulverordnung des Kantons Zürich lässt zumindest ein Hintertürchen offen, wenn Schulbehörden kulant sein wollen: Als zureichender Grund für eine Dispensierung vom Unterricht gelten unter anderem «aussergewöhnliche Anlässe im persönlichen Umfeld der Schülerinnen und Schüler» – eine schwammige Formulierung, mit der sich viele Schulen schwertun.

Sind Ferien auf den Malediven ein aussergewöhnlicher Anlass? Sarah Knüsel, die Präsidentin des Zürcher Schulleiterverbandes, findet: Nein. «Die Verantwortlichen in Winterthur haben nur ihren Job gemacht.» Die oberste Schulleiterin des Kantons konzediert jedoch, dass manche Schulen hier mitunter weniger streng seien. Denn: «Man macht sich keine Freunde, wenn man Anträge ablehnt und so die Reisepläne von Familien womöglich zunichtemacht.»

Für die Entscheidungsträger an den Schulen ist das ein delikates Unterfangen – zumal laut Knüsel immer mehr Eltern mehr Frei-Tage einfordern, als ihnen an Jokertagen zustünden. Das setze Schulen unter Druck. Manchen Eltern falle es schwer, ein Nein zu akzeptieren.

Schuldig – aber die Busse wird reduziert

Das passt zu einer weiteren Entwicklung: Mütter und Väter setzen sich immer mehr zur Wehr, wenn ihnen Entscheide der (Schul-)Behörden nicht passen. Das lässt sich zum Beispiel an der Anzahl Rekurse ablesen, die in den vergangenen Jahren gegen die Resultate der Gymiprüfung eingelegt wurden. 2024 war dies nach Angaben der Bildungsdirektion 81-mal der Fall und damit fast so oft wie in den beiden Spitzenjahren 2018 (85) und 2019 (89).

Für die beschuldigte Mutter in Winterthur hat sich der Gang vor Gericht nur zum Teil gelohnt. Das Bezirksgericht bestätigte den Schuldspruch der Vorinstanz. Die Busse wurde jedoch von 3000 auf 1000 Franken reduziert.

Die Beschuldigte habe glaubhaft darlegen können, dass sie sich dem ablehnenden Entscheid der Schule ihrer Tochter nicht aus rein egoistischen Gründen widersetzt habe, sondern weil sie als Lehrerin mit einem 100-Prozent-Pensum in einer anderen Gemeinde nicht in denselben zwei Wochen habe Ferien machen können wie der Teenager. Das wirke strafmildernd, befand die Richterin.

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