Sonntag, Januar 5

Sie waren bunt, modern und ein Wirtschaftswunder: die Mobiltelefone von Nokia. Dann kam das iPhone.

3310, 6210, 8110. Manch einer dürfte bei diesen Zahlen nostalgische Gefühle bekommen. Keine Kamera, kein Internet, kein Touchscreen. Nur SMS und Telefonie. Und natürlich der Spielklassiker Snake. Das waren die Handys von Nokia.

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Wer um die Jahrtausendwende eines dieser Modelle besass, erinnert sich an eine Zeit, in der Mobiltelefone eine Ergänzung des Lebens waren und nicht eine fast schon organische Verbindung mit dem Besitzer eingingen. Die Handys passten in die Hosentasche, ihr Akku hielt vier Tage oder länger. Sie waren Ausdruck von Stil und Modernität und funktionierten auch dann noch, wenn man sie aus ein paar Metern Höhe fallen liess.

«Jeder erinnert sich an sein erstes Nokia», sagte Mark Mason kürzlich der britischen Tageszeitung «The Guardian». Mason gehörte in den neunziger Jahren dem Designteam des Unternehmens an. «Wenn man den Namen ausspricht, werden Erinnerungen wach.»

Eine Ausstellung würdigt nun den kulturellen Einfluss von Nokia. Die finnische Aalto-Universität hat sich durch das Designarchiv des Unternehmens gearbeitet. Ab Mitte Januar präsentiert sie auf einem Onlineportal zwei Jahrzehnte Firmengeschichte. Das Archiv umfasst laut den Organisatoren 20 000 Objekte, zu sehen sind unter anderem bis jetzt unveröffentlichte Marketingbilder, Präsentationen, Konzepte und Skizzen.

Die Mobiltelefone von damals sind heute kaum mehr als Museumsstücke. Doch früher war Nokia das Unternehmen, das in Sachen Form, Farben und mutigen Ideen allen Konkurrenten voraus war.

Eine Banane für Keanu Reeves

Nokias erstes Mobiltelefon war der Mobira Senator aus dem Jahr 1982, wobei das Wort «mobil» eine Übertreibung war: Das Gerät wog knapp zehn Kilogramm und war so gross wie ein Aktenkoffer, weshalb es meist fix in Autos installiert wurde. Fünf Jahre später kam der Mobira Cityman auf den Markt, und weil man den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow mit einem solchen Gerät telefonieren sah, nannte man es fortan «Gorba». Mit knapp 800 Gramm war der Cityman um einiges leichter als sein Vorgänger, doch der Preis von damals 5000 Franken bedeutete, dass das noch immer kein Gerät für die Masse war.

Bis dieses kam, brauchte es noch ein paar Jahre. Und etwas Hilfe aus Hollywood: Im Jahr 1999 schluckte Keanu Reeves die rote Pille in «Matrix» – und nahm mit einem Nokia 8110 Kontakt zur anderen Welt auf. Der Film wurde ein gigantischer Erfolg, das Handy auch. Weil es eine geschwungene Form hatte, erhielt es später den Spitznamen «Bananenhandy».

Zur fast gleichen Zeit brachte Nokia das 5110 heraus. Dessen Hüllen waren farbig und austauschbar, aus einem Gebrauchsgegenstand wurde ein persönliches Accessoire. Manche Kulturjournalisten sehen in dem Modell die Anfänge einer Zeit, in der Individualität in der Gesellschaft immer wichtiger wurde.

So wurde Nokia auch für Jugendliche interessant, die bereits herausgefunden hatten, dass sich die damals noch exorbitanten Kosten von Telefongesprächen durch das Versenden von SMS vermeiden liessen. Das Modell 3310 etwa wurde innert fünf Jahren mehr als 120 Millionen Mal verkauft. Man sagte ihm nach, unzerstörbar zu sein. Auf Youtube ist das Handy deshalb bis heute Gegenstand kurioser Belastungstests: Man kann das 3310 als Schneidebrett verwenden oder mit einem Schraubstock quälen – es funktioniert weiter.

Nokia war der Wegbereiter für die heutige Zeit, in der alles mit allem vernetzt ist. Der Slogan «connecting people» habe darum eine tiefere Bedeutung, sagte der frühere Designer Mark Mason dem «Guardian»: «Alles, was wir taten, drehte sich um diese Verbundenheit. Die Tastatur war gebogen wie das Lächeln der Mona Lisa. Wenn man sie ansah, lächelte sie zurück.»

Mindestens so einprägsam wie die Formen und Farben der Handys waren ihre Töne. Wer eine SMS erhielt, hörte vier kurze Pieptöne. Bei Anrufen ertönte der werkseitig eingestellte Klingelton «Gran Vals», bei dem es sich um einen Ausschnitt aus einer 1902 geschriebenen Komposition des spanischen Gitarristen Francisco Tárrega handelte.

Ein iPhone-Verbot für Mitarbeiter

Das Designarchiv soll aber mehr als eine Zeitkapsel für Nostalgiker sein. Laut den Forschern sind darin auch erste Ansätze von QR-Codes zu finden sowie Ideen, Gesundheitsdaten via Handy tracken zu lassen. Ausserdem haben die Forscher einen Entwurf gefunden für etwas, was aussieht wie eine moderne Virtual-Reality-Brille.

Nokia bastelte in den Neunzigerjahren an einer Zukunft, die für das Unternehmen nie eintrat.

Nokia ist 160 Jahre alt, im Jahr 1865 wurde der Vorläufer des Unternehmens, eine Papierfabrik, im finnischen Tampere gegründet. Hundert Jahre später schuf das Unternehmen eine Elektronikabteilung und konzentrierte sich – um ein Stück Geschichte zu überspringen – ab den achtziger Jahren auf die Herstellung von Mobiltelefonen. Bald schon gab Nokia jedes Jahr neue Modelle heraus, und mit deren Beliebtheit wuchs auch der Erfolg der Firma.

Nokia wurde zum grössten Handyhersteller der Welt, ein Riesenunternehmen in einem kleinen Land. Ein Prozent aller Arbeitsplätze, fast vier Prozent der Wirtschaftsleistung; das war Nokia für die Finnen. Im Jahr 1999 belief sich der Konzernumsatz auf fast 20 Milliarden Franken.

Nokia war Europas meistbewunderter Tech-Konzern. Das machte ihn selbstzufrieden. Das Unternehmen verpasste es, gescheite Handykameras zu entwickeln, vor allem aber verpasste es die Touchscreen-Technologie, die später Apple zur neuen Nummer eins machen würde. In einem Interview mit der NZZ im Jahr 2018 sprach der ehemalige Verwaltungsratspräsident und Konzernchef von Nokia, Risto Siilasmaa, über die Arroganz und Überheblichkeit in der damaligen Zeit. Er sagte: «Nokia verbot ihren Softwareentwicklern sogar, iPhones zu nutzen. Das ist verrückt, wie können diese so erfahren, was die Konkurrenz macht?»

Eine Erinnerung an einfachere Zeiten

Im Jahr 2009 schrieb Nokia zum ersten Mal seit 16 Jahren Verluste. Von den einst 60 000 Angestellten war 2013 noch knapp die Hälfte übrig, als das Geschäft mit den Mobiltelefonen als Microsoft verkauft wurde. Doch auch diese Zusammenarbeit funktionierte nicht. Nur drei Jahre später wurden die Markenrechte an den finnischen Hersteller Human Mobile Devices (HMD) weiterverkauft. Er stellt bis heute Handys unter dem Namen Nokia her. Das Unternehmen Nokia konzentriert sich hingegen auf Netzwerktechnologie und Telekommunikationsinfrastruktur, insbesondere den Ausbau von 5G-Netzen.

Die Nokia-Handys von HMD sind wie die Originale: robust und simpel. Bei jüngeren Generationen erleben sie seit einiger Zeit ein kleines Revival. Sie feiern die Geräte wegen ihrer eingeschränkten Funktionen und Neunziger-Jahre-Ästhetik. «Dumbphones» nennt man die Modelle, weil sie fast nichts können und so die exzessive Bildschirmzeit ihrer Besitzer herunterbringen sollen.

Natürlich konnte man auch auf den alten Nokia-Handys einige Zeit mit telefonieren, SMS schreiben und Snake spielen verbringen. Aber irgendwann waren die Möglichkeiten erschöpft, und man wandte sich wieder den analogen Dingen im Leben zu.

Vielleicht ist die Nostalgie rund um Nokia auch so stark, weil die Geräte an vermeintlich einfachere Zeiten erinnern. 160 Zeichen für eine Nachricht, ein Klingelton. Bi-biip, bi-biip.

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