Dienstag, Oktober 22

Literarische Preise werden nicht nach objektiven Kriterien und schon gar nicht gerecht verteilt. Das hat immer wieder zu Kontroversen geführt. Clemens Meyer hat mit seinem Wutausbruch in Frankfurt zahlreiche Vorgänger.

Früher war nicht alles schlecht, früher war alles noch viel schlechter. Als Elfriede Jelinek 2004 den Literaturnobelpreis bekam, waren die Neider sofort zur Stelle. Der Schriftstellerkollege Martin Mosebach zeigte sich «hellauf entsetzt». Immerhin gehöre Jelinek «zu den dümmsten Menschen der westlichen Hemisphäre».

Auch die österreichische Nobelpreis-Mitkonkurrentin Friederike Mayröcker blickte recht verbittert aus ihrer poetischen Arbeit auf. Als sie von der «FAZ» gefragt wurde, ob sie Elfriede Jelinek nicht gratulieren wolle, antwortete die Dichterin knapp: «So selbstlos bin ich nicht.»

Im Literaturbetrieb ist die Missgunst schon deshalb weit verbreitet, weil die teilhabenden Autoren niemals genau wissen können, wie man zum Günstling wird. Warum kriegt der Schriftsteller XY alle Preise und ich keinen? Bei Juryentscheidungen geht es nicht um Meter, Sekunden oder andere objektivierende Fakten. Es geht um eine Mischkalkulation aus Wissen und Gefühl. Mit Tendenz in Richtung Gefühl.

Wiederholungstäter

Deshalb ist Clemens Meyers Gejammer darüber, dass er den Deutschen Buchpreis nicht bekommen hat, anrührend naiv und befremdend zugleich. «Ihr verdammten Wichser!», rief Meyer der Jury hinterher und beschrieb dann in einem Interview mit dem «Spiegel», wie sehr er die 25 000 Euro Preisgeld hätte brauchen können. 35 000 Euro Schulden beim Finanzamt, eine offenbar kostspielige Scheidung.

«Eine Scheisse, eine Unverschämtheit», nannte der Leipziger Schriftsteller das Faktum, dass nicht sein welthaltiger tausendseitiger Monumentalroman «Die Projektoren» den Buchpreis gewonnen habe, sondern Martina Hefters «Hey guten Morgen, wie geht es dir?». Ohne Zweifel ist Hefters Roman eher ein Kammerspiel menschlicher Gemengelagen. Buchhändler lieben so etwas. Und weil der Deutsche Buchpreis erfunden wurde, um den einschlägigen Handel zu stützen, war «Hey guten Morgen, wie geht es dir?» auch ein logischer Kandidat.

Was sein fragil selbstsüchtiges Ego betrifft, ist Clemens Meyer ein Wiederholungstäter. Schon vor knapp zwanzig Jahren, als er beim Bachmann-Wettbewerb antrat, sagte er in einem Interview für die «TAZ»: «Ich möchte jetzt einmal einen richtig grossen Preis gewinnen, das sei mir doch auch einmal vergönnt! Ich brauche das Klagenfurt-Geld, und zwar jeden Pfennig.» Meyer wünscht sich, «mal genügend Geld für eine Zweitwohnung» zu haben, «irgendwo im Grünen, das muss doch machbar sein».

Schon damals las sich seine Suada wie eine Literaturbetriebssatire: «Trojanow steht in der ‹Spiegel›-Bestsellerliste, seit Wochen schon, ich nicht.» So geht es dahin. Günter Grass bekomme für eine Lesung am Berliner Literarischen Colloquium Millionen. Ihm, Meyer, werde nicht einmal das Taxi bezahlt.

Schreiben ist «knüppelharte Arbeit», da hat der deutsche Autor schon recht. Wer sieben oder acht Jahre investiert, um ein Buch wie «Die Projektoren» fertigzustellen, der hat Kosten. Kein Schriftsteller kann seinen misslichen Steuerbescheid bei der Buchpreis-Bewerbung mit einreichen. Wer die Arbeit der Jurys kennt, der weiss allerdings, dass es dort mitunter Diskussionen darüber gibt, wen man mit einem Geldsegen bedenken könne.

Doppelter moralischer Vorteil

Ökonomische Gerechtigkeit bei Preisvergaben ist heute genauso ein Diversitätsthema wie die ethnische Herkunft von Autoren. Der moralische Kompass kann dann wichtiger sein als die eigentliche Entscheidung über die Qualität literarischer Texte. In seinen Ausfällen glaubt sich Clemens Meyer in einem doppelten moralischen Standortvorteil: grossartiges Buch und Schulden.

Wer sich dieser Tage über die Anspruchshaltung des Schriftstellers empören wollte, hatte Fakten zur Hand. War Meyer nicht schon bisher mit grossen Auszeichnungen bedacht worden? Gerade erst mit den 20 000 Euro vom Lessing-Preis des Freistaates Sachsen. Ausserdem ist da noch die Drehbuchschreiberei. Die «Bild»-Zeitung hat den Frankfurter Buchpreis-Eklat in grossen Lettern auf den Punkt zu bringen versucht: «Weil er nicht gewinnt: ‹Tatort›-Autor rastet aus.»

Martin Mosebachs Formulierung «hellauf entsetzt» dürfte kaum zu Clemens Meyers Wortschatz gehören, allerdings hat der Autor seine Konkurrentin nicht beleidigt wie weiland Mosebach die Jelinek. Für die gelungensten Ausfälle dieser Art sollte es vielleicht eine eigene Auszeichnung geben. Einen Trostpreis für die Untröstlichen.

Im Fall Mosebach hat sich 2004 unerwartet Konkurrenz aufgetan, als sich auch der Vatikan in die wenig noblen Nobel-Debatten einmischte. Er schmähte die österreichische Schriftstellerin als «nihilistische Neurotikerin». Das meiste macht der Literaturbetrieb ganz unter sich aus.

Der Kampf um den nach ihr benannten Preis der Gruppe 47 war über viele Jahre ein Hauen und Stechen, bei dem es weitaus mehr Opfer als Sieger gab. Eine schöne Anekdote hat Hans Magnus Enzensberger einmal erzählt. Einen jungen Autor habe man beim Preislesen schon nach drei Minuten von der Bühne gejagt. Das sei doch alles nur Müll. Enzensberger: «Der Kerl fuhr nach Hause und wurde Zahnarzt. Er war ein geretteter Mensch.»

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