Mittwoch, Oktober 9

Handgranaten, Kindersoldaten und ein Bandenchef, der sich Erdbeere nennt: Der schwedische Bandenkrieg droht sich nach Dänemark auszuweiten. Kopenhagen weist dafür Stockholm die Schuld zu.

31. Juli: Im Kopenhagener Stadtteil Nörrebro fallen um 20 Uhr 59 mehrere Schüsse. Die Polizei nimmt kurze Zeit später einen 16-jährigen schwedischen Staatsbürger fest. Am gleichen Tag schiesst ein 17-jähriger Schwede in der dänischen Kleinstadt Kolding unweit von Dänemark einem Mann ins Bein.

5. August: Ein 17-jähriger Schwede schiesst im Kopenhagener Frederiksberg sechs Mal auf einen 18-Jährigen. Einer der Schüsse trifft das Opfer. Das Motiv ist unklar, aber die Polizei geht davon aus, dass noch mehr Personen in den Vorfall involviert waren.

13. August: Die Polizei nimmt im Kopenhagener Stadtteil Tingbjerg einen 25-jährigen Schweden fest. Der Mann hat zwei Handgranaten bei sich. Die Anklage geht davon aus, dass er diese in der dänischen Hauptstadt zünden wollte.


Hinter den Polizeimeldungen steckt ein besorgniserregender Trend. Kriminelle Banden in Dänemark rekrutieren seit einiger Zeit auf Plattformen wie Telegram junge Schweden, um Gewalttaten auszuüben. Für einen Mord werden den Teenagern laut dem Sender DR bis zu 325 000 dänische Kronen (40 000 Franken) angeboten. Die dänische Polizei hat seit April 25 Fälle registriert, in denen schwedische Staatsbürger involviert waren.

Nach Schätzungen der schwedischen Polizei laufen 700 schwedische Jugendliche Gefahr, in die Fänge dänischer Banden zu geraten. Und das ist nicht das einzige Problem: In Dänemark befürchten die Behörden, dass sich der schwedische Bandenkrieg über die Meerenge Öresund nach Kopenhagen ausbreiten könnte.

Der schwedische Bandenchef und das Haschischgeschäft

In Schweden ist die Gangkriminalität ausser Kontrolle geraten. Bis 62 000 Personen sollen dort Verbindungen zu Banden haben. Auch Dänemark sorgte in der Vergangenheit mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen sich rivalisierenden Gangs immer wieder für Schlagzeilen. Doch die Dimensionen sind andere. Ende 2023 hatte die dänische Polizei 1257 Personen mit Verbindungen zu kriminellen Gruppierungen registriert. Die wohl einflussreichste davon: die Loyal-to-Familia-Gang.

Die nationale Polizeieinheit, die auch für organisierte Kriminalität zuständig ist, beobachtet seit einigen Wochen einen Konflikt zwischen Loyal to Familia und einer bislang unbekannten Gruppierung. Gemäss Recherchen der Boulevardzeitung «Ekstra Bladet» soll es sich dabei um eine schwedisch-dänische Bande mit Verbindungen in die Türkei handeln. Eine ihrer führenden Figuren ist Ismail Abdo, mit Spitznamen «Jordgubben» (auf Deutsch: Erdbeere).

Abdo war bis vor kurzem Teil der schwedischen Foxtrot-Gang, einer Bande, die den schwedischen Drogenmarkt kontrolliert. Im letzten Herbst zerstritt er sich mit deren Chef Rawa Majid. Ihre Streitigkeiten trugen die Männer in einem blutigen Bandenkrieg in Schwedens Vorstädten aus. Mindestens zwölf Personen – unter ihnen auch unbescholtene Bürgerinnen und Bürger – starben.

Laut «Ekstra Bladet» soll Adbo nun von der Türkei aus Haschisch in Dänemark verkaufen und Loyal to Familia beschuldigen, ihn bestohlen zu haben. Abdos Männer in Dänemark sollen gezielt Jugendliche aus Schweden rekrutieren, um Loyal to Familia anzugreifen.

Die dänische Polizei geht nicht davon aus, dass sich schwedische Gangs in Dänemark zu etablieren versuchen – zumindest noch nicht. Ihre Methoden sind jedoch bereits in Kopenhagen angekommen. Der Polizeichef Thorkild Fogde sagt gegenüber der Zeitung «Politiken»: «Wir sehen einige sehr junge Täter, an die wir uns bisher nicht gewöhnt waren.» In Schweden hingegen ist die Rekrutierung Minderjähriger schon länger ein Problem. Laut Fogde haben die Teenager eine lose oder gar keine Bindung zu den Gangs und werden online rekrutiert, wo sie Aufgaben übernehmen, die sehr schwere Verbrechen wie Mord beinhalten.

Justizminister will Schweden zur Verantwortung ziehen

Dass sich der schwedische Bandenkrieg auf Dänemark ausbreiten könnte, ist für die dänischen Behörden ein lang befürchtetes Horrorszenario. Der Justizminister Peter Hummelgaard sagte am Montag, dass er Druck auf die schwedische Regierung ausüben wolle. Schweden müsse Verantwortung für die Situation übernehmen. Bereits letzte Woche hatte er in einem Interview mit «Politiken» gesagt: «Wir wollen keine Kindersoldaten aus dem schwedischen Gangumfeld in Dänemark.»

Als erste Massnahmen hat Hummelgaard strengere Grenzkontrollen und eine engere Kooperation mit der schwedischen Polizei angekündigt. Er hat zudem eine Medienoffensive in Schweden gestartet, um die Jugendlichen vor den höheren Strafen für Gewaltverbrechen in Dänemark zu warnen: «Du wirst nicht günstig davonkommen, nur weil du minderjährig bist», sagte er gegenüber der schwedischen Nachrichtenagentur TT. In Schweden werden minderjährige Mörder, Räuber und Drogendealer nicht bestraft, sondern in geschlossenen Jugendheimen therapiert.

Der schwedische Polizeichef Hakan Wall weist indessen die Schuld von sich. «Schweden ist nicht verantwortlich für die ganze Kriminalität in Dänemark», sagte er am Mittwoch zu TT. Es sei auch nicht an Schweden, allein das Problem zu lösen.

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