Der Stadtzürcher SP geht der Vorschlag des Stadtrats nicht weit genug. Sie will nicht nur Geringverdiener, sondern auch den Mittelstand alimentieren.
Das Schweizer Gesundheitssystem ist teuer, die Krankenkassenprämien steigen seit Jahren. Parallel dazu überbieten sich Politiker mit Vorschlägen, wie dem Problem Einhalt zu gebieten sei. Die SP zielte jüngst weniger auf die Ursachenbekämpfung der steigenden Gesundheitskosten – als vielmehr darauf, die Leute mittels Zuschüssen von Prämien zu entlasten.
National sind die Sozialdemokraten damit gescheitert: Die Stimmbevölkerung lehnte ihre Entlastungsinitiative im vergangenen Juni deutlich ab.
Was landesweit nicht geklappt hat, soll nun wenigstens in der Stadt Zürich funktionieren. Die Stadtzürcher SP hat eine entsprechende Initiative eingereicht. Zwischen 250 und 500 Franken sollen die Zuschüsse betragen.
Profitieren sollen alle Personen mit einem massgebenden Einkommen von bis zu 60 000 Franken für Einzelpersonen und 100 000 Franken für Paare – «also nicht nur Menschen mit tiefen Einkommen, sondern auch ein Teil des Mittelstands», wie die SP in einer Mitteilung schreibt. Dies sei nötig, weil die Lebenshaltungskosten in der Stadt insgesamt stark gestiegen seien. Wird die Initiative an der Urne angenommen, wird sie Kosten von 60 Millionen Franken nach sich ziehen – jährlich.
Zustande gekommen ist die Initiative schon länger. Nun hat der Stadtrat ihr am Montag einen eigenen Gegenvorschlag gegenübergestellt. Der Stadtrat will die Leute «gezielter» entlasten, wie er schreibt – er fokussiert in erster Linie auf Familien mit Kindern.
Prämienverbilligungen für arme Leute gibt es freilich längst. Nur sind es nicht die Gemeinden, die diese ausrichten, sondern Bund und Kanton. Der Kantonsrat hat den Kantonsbeitrag erst vor einem Monat aufgestockt. Zürich gehört damit zu jenen Kantonen, die einen überdurchschnittlich hohen Beitrag an die Prämienverbilligungen zahlen. Wer Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen bezieht, ist von den Prämien ohnehin befreit.
Stadtrat will jährlich 20 Millionen Franken mehr ausgeben
Während die Stadtzürcher SP das Geld nach ihren neu eingeführten Einkommenslimiten verteilen will, orientiert sich der Stadtrat an den bestehenden Strukturen. Demnach sollen jene, die bereits Prämienverbilligungen erhalten, von der Stadt zusätzlich entlastet werden. Es handelt sich um 43 000 Personen – um «Kinder mit ihren Eltern», wie es bei der Stadt heisst. Dies würde die Stadt jährlich 20 Millionen Franken kosten – ein Drittel des Betrags, welcher der Stadtzürcher SP vorschwebt.
Der Gegenvorschlag des Stadtrats reiht sich ein in eine Reihe von sozialpolitischen Vorstössen, die der Sozialvorsteher Raphael Golta (SP) unternommen hat. So etwa mit einer Heizkostenzulage oder ÖV-Gutscheinen, beides gedacht für breite Teile der Stadtbevölkerung.
Ebenfalls hat Golta keine Hemmungen, sich in Politikbereichen einzubringen, die national und kantonal geregelt sind – wie sich beim vorläufig gescheiterten Versuch zeigte, Bargeld an Sans-Papiers auszurichten. Oder am Pilotprojekt, bei dem das Sozialdepartement Ausländern mit knappen Mitteln bei Streit um die Sozialhilfe einen Anwalt für den Gang vor Gericht finanziert.
Ist es Sache einer Gemeinde, sich in ein national und kantonal geregeltes Politikfeld einzubringen? Ja, sagt Golta, weil man hier «sinnvoll gezielt Bevölkerungsgruppen entlasten» könne. Die Krankenkassenprämien gehörten nun einmal zu den grössten Haushaltsposten einer Durchschnittsfamilie.
Golta weist darauf hin, dass die Stadt Zürich die teuerste Prämienregion im Kanton sei. Stadtbewohner bezahlten somit höhere Prämien als Bewohner einer Landgemeinde, ohne dass die Stadt dies steuern könne. Diese Differenz soll teilweise ausgeglichen werden.
Der Präsident der Stadtzürcher SP, Oliver Heimgartner, sagt, die Prämienentlastung im Kanton Zürich sei «völlig unzureichend» und die Prämien für breite Schichten eine starke Mehrbelastung. Die städtische SP taxiert den Gegenvorschlag des Stadtrats als ansprechend, aber nicht ausreichend, weil auch Mittelstandshaushalte angesichts der steigenden Krankenkassenprämien an ihre finanziellen Grenzen kämen.
Für FDP-Politikerin fehlt Anreiz zu Kostenbewusstsein
Die FDP-Gesundheitspolitikerin Marita Verbali hingegen hat kein Verständnis für die «Doppelspurigkeit», auf die eine städtische Prämienentlastung hinauslaufe. Gerade Familien würden bereits heute stark entlastet.
Sie verweist auf die gegenwärtigen Grenzwerte. Familien mit minderjährigen Kindern beispielsweise, die weniger als rund 70 000 Franken jährlich verdienen, zahlen für ihre minderjährigen Kinder 20 Prozent der massgebenden Prämien. «Das ist bereits eine äusserst substanzielle Entlastung», sagt Verbali. Die Gesamtkosten blieben an jenen hängen, die nach wie vor Prämien zahlen müssten. «Ein Anreiz zu mehr Kostenbewusstsein im Gesundheitswesen fehlt völlig.»
Und wieder einmal falle auf, dass die Stadt Zürich kantonale und nationale Volksentscheide mit einem eigenen, lokalen System übersteuern wolle. Man könne sogar von einer Missachtung des Wählerwillens sprechen.
Was Verbali damit meint: Die letzte kantonale Vorlage zur Prämienverbilligung, eine Initiative der Mitte, lehnten auch die Stadtzürcher Stimmberechtigten 2021 ab. Der nationalen SP-Entlastungsinitiative vom vergangenen Juni hat die Stadt zwar zugestimmt, aber äusserst knapp. Überschäumend gross scheint die Begeisterung dafür, einzelne Gruppen von den Prämien weiter zu entlasten, auch bei den Stadtzürcher Stimmberechtigten nicht zu sein.