Mittwoch, Oktober 2

Die Trendsportart ist eine Gefahr für die Vogelwelt. Auf dem Greifensee und dem Pfäffikersee im Zürcher Oberland wird das besonders deutlich – trotz jahrelangen Informationskampagnen.

Bis jetzt war es ein gutes Jahr für Haubentaucher, Rohrschwirle, Zwergdommeln und all die anderen Wasservögel, die am Greifensee und am Pfäffikersee in dichten Schilfgürteln nisten und in diesen Wochen ihre Jungen ausbrüten. Der verregnete Sommer hielt den Menschen fern vom Wasser. Wenige Schwimmer, kaum Kajak-Fahrer, kaum Stand-up-Paddler. Die Vögel konnten sich in Ruhe um ihren Nachwuchs kümmern (sofern die Kleinen nicht von gefrässigen Hechten attackiert wurden).

Aber in den kommenden Tagen könnte sich das ändern. Pünktlich zu Beginn der Schulferien verheissen die Wetterprognosen Sonnenschein und sommerliche Temperaturen. Auf beiden Seen dürfte viel mehr los sein als in den vergangenen Wochen. Für Stand-up-Paddler und ihre schnittigen Bretter bieten Greifensee und Pfäffikersee beste Bedingungen: keine Motorboote, flaches Wasser, viel Grün am Ufer. So kann man in aller Stille dahingleiten in idyllischer Natur.

Bei den Vögeln im Schilf hingegen kann das einen erheblichen Stress auslösen. Für sie bedeutet die aufrechte Silhouette eines Menschen auf einem nahen Stand-up-Paddle (SUP) Gefahr. Vogelschützer und Naturforscher warnen schon lange vor den unschönen Folgen der Trendsportart: Muttertiere verlassen ihre Nester, die Eier werden sich selbst überlassen und gehen so zugrunde. Im schlimmsten Fall werden die Brutstätten ganz aufgegeben, weil aufgescheuchte Wasservögel die Erfahrung machen, dass die Schilflandschaft nicht sicher ist für sie.

Kameras filmen fehlbare Wassersportler

Im grössten Zürcher Naturschutzgebiet am Greifensee und am Pfäffikersee, aber auch am Türlersee im Knonauer Amt sollte das eigentlich nicht passieren. Tafeln informieren über heikle Uferstreifen und klären darüber auf, dass man zudem immer 25 Meter Abstand halten muss vom Ufer. Bojen im Wasser kennzeichnen jene Zonen, die Stand-up-Paddler nicht durchfahren dürfen. Ranger der Greifensee-Stiftung patrouillieren an Land und informieren die Paddler ebenfalls.

Der Verein «Natur & Freizeit» bemüht sich seit Jahren um Aufklärung und wird bei seinen Kampagnen auch vom Kanton unterstützt. Die Kernbotschaft des Vereins lautet: Stand-up-Paddler sollten immer 100 Meter entfernt an Schilfgürteln vorbeigleiten, also 75 Meter mehr als überall ohnehin vorgeschrieben.

Doch an diese Vorgaben halten sich längst nicht alle. Das zeigen die Resultate einer Masterarbeit der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Von Anfang Juni bis Ende August 2023 hatte die Studentin am Greifensee und am Pfäffikersee insgesamt acht Kameras installiert. Die Überwachungsaktion erlaubte es der Forscherin, das Ausmass der Regelverstösse von Wassersportlern auf beiden Gewässern zu dokumentieren. Und da schneiden Stand-up-Paddler besonders schlecht ab.

Registriert wurden in diesen Wochen 940 Regelverstösse. Zwei Drittel davon (606 Übertretungen) wurden von Stand-up-Paddlern begangen. Im Durchschnitt bedeutete dies etwas mehr als 7,5-mal ein Fehlverhalten pro Tag. Der 9. Juli 2023, ein wolkenloser, heisser Sonntag, markiert den «Spitzenwert» in dieser Statistik: 47-mal hielten sich die von den Kameras erfassten SUP-Fahrer nicht an die Regeln, die auf beiden Seen zum Schutz der Wasservögel gelten.

Die Studie der Studentin unterscheidet zwei Gruppen von Fehlverhalten. In zwei von drei Paddle-Fällen wurden die nicht markierten Uferzonen nicht respektiert. Das heisst, die SUP-Fahrer fuhren näher als 25 Meter am Ufer vorbei. Immerhin 197-mal drangen Stand-up-Paddler mit ihren lautlosen Brettern in markierte Seeschutzzonen ein.

Da die Kameras der Studentin nur einen Teil der beiden Seen abdeckten, dürften diese Zahlen nur einen Teil des Problems zum Ausdruck bringen. Bei der Seebadi Egg am Greifensee beispielsweise, wo sich eine ganzjährige Seeschutzzone befindet, hatte die Studentin keine Kameras aufgestellt. Entsprechend geht sie in ihrer Abschlussarbeit von einer hohen Dunkelziffer aus.

Problematischer SUP-Tourismus

Die Studentin hatte auch Stand-up-Paddler vor Ort befragt. Die Resultate dieser Erhebung deuten in eine ähnliche Richtung. Die Mehrheit der Befragten wusste zwar Bescheid, dass die markierten Zonen auf den beiden Seen nicht befahren werden dürfen. Die 25-Meter-Regel jedoch kannten viele nicht. Die Tatsache, dass Stand-up-Paddler still übers Wasser gleiten, bringen viele Freizeitsportler zudem fälschlicherweise damit in Verbindung, dass ihr Hobby für Wasservögel harmlos sei.

Was also tun, um diese Wissenslücken zu schliessen – und um eine Verhaltensänderung auf dem Wasser zu bewirken?

Für die Studentin und den Verein «Natur & Freizeit» ist klar: Aufklärung und Kampagnen sind weiterhin nötig.

Die Resultate der Studie lassen aber zweifeln, ob die «Übeltäter» auf dem Wasser dadurch tatsächlich erreicht werden können. Fachgeschäfte im Zürcher Oberland bemühen sich zwar, ihre Kunden mit den Regeln im Naturschutzgebiet vertraut zu machen. Aber wer keinen Bezug zur Region hat und mit einem billigen SUP-Set aus dem Internet schnell, schnell hinaus aufs Wasser im Grünen will, dem dürften die Brutstätten von Haubentauchern, Rohrschwirln oder Zwerdommeln ziemlich egal sein.

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