Mittwoch, April 16

Die gestressten Notfallstationen der Spitäler wünschen Entlastung. Eine parlamentarische Initiative wollte dies mit einer Sondergebühr für unnötige Konsultationen erreichen. Davon ist nur wenig übriggeblieben.

In der Gesundheitspolitik gehört das Klagen über die hohen Kosten seit Jahrzehnten zum Standard. Doch bei konkreten Sparversuchen formiert sich meist rasch Widerstand. Ein Lehrstück liefert der Versuch des Parlaments, die Notfallstationen der Spitäler zu entlasten. Zwei Thesen dazu stossen auf relativ breite Unterstützung: Die Notfallstationen sind oft überlastet – und manche Patienten auf diesen Stationen sind keine Notfälle. Eine Umleitung der nicht dringlichen Fälle auf niederschwellige und günstige Angebote wie Apotheke, Hausarzt, Telemedizin oder ambulante Gesundheitszentren mit Zugang ausserhalb regulärer Bürozeiten gilt deshalb als sinnvoll.

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Die Inanspruchnahme von Spital-Notfalldiensten wuchs von 1,3 Millionen Konsultationen 2007 auf über 2 Millionen 2023. Pro 1000 Einwohner stieg die Zahl der jährlichen Konsultationen von 170 auf 230. Zu den gängigen Begründungen des Trends gehören die ständige zeitliche Verfügbarkeit dieser Notfallstationen, die zunehmende Knappheit von kurzfristigen Hausarztterminen, die Anspruchshaltung der Bevölkerung sowie die Einwanderung von Personen, die mangels Kenntnis des hiesigen Systems schneller die Spital-Notfallstation aufsuchen.

Verzicht auf Abgrenzung

Gewisse Praktiker des Notfalldienstes schätzen, dass gegen die Hälfte aller Besuche keine dringlichen Fälle betreffe. Die parlamentarische Initiative eines grünliberalen Nationalrats wollte die Spital-Notfallstationen auf eine elegant klingende Weise entlasten: Wer nichts Dringliches hat, aber trotzdem den Spital-Notfall beansprucht, soll eine Sondergebühr von zum Beispiel 50 Franken pro Besuch zahlen. Schon ein so kleiner Betrag könnte laut den Befürwortern die Notfallstationen von Bagatellfällen entlasten. Man erinnere sich an die Erfahrungen aus dem Lebensmittel-Detailhandel: Die Einführung einer Plastiksackgebühr von zunächst 5 Rappen genügte bereits, um die Nachfrage nach solchen Säcken um etwa 85 Prozent zu senken.

Die eigene Gesundheit ist kein Plastiksäckli. Von der Idee der Initiative zur konkreten Umsetzung ist es jedenfalls ein grosser Schritt. Die Initiative stammt von 2017. Fast acht Jahre später steckt sie mangels breit überzeugender Lösungen immer noch im Parlament fest. Die Sozialkommission des Nationalrats hat sich vergangene Woche trotz vielen kritischen Rückmeldungen zu Umsetzungsvorschlägen mit hauchdünner Mehrheit für ein Weitermachen entschieden.

Doch von der ursprünglichen Idee ist nicht mehr viel geblieben. Eines der genannten Hauptprobleme: Die rechtlich saubere Abgrenzung zwischen «dringlichen» und «nicht dringlichen» Fällen ist zum Teil gar nicht möglich, oder sie würde zusätzliche Abklärungen und Formalitäten mit entsprechenden Mehrkosten erfordern. Die federführende Nationalratskommission hat deshalb beschlossen, dass die geplante Zusatzbelastung der Patienten von 50 Franken pro Notfallkonsultation breiter gelten soll.

Es gibt indes immer noch viele Ausnahmen. Ausgenommen sind Kinder, Schwangere sowie Personen mit schriftlicher Überweisung eines Arztes, einer Apotheke oder von Telemedizinern. Ausserdem geht es nur um Leistungen im Rahmen des Krankenversicherungsgesetzes und nicht etwa bei Unfällen.

Lenkung eingeschränkt

Darüber hinaus gab es auch noch rechtliche Einwände. Nach Ansicht der Bundesjuristen fehlt es für eine Zusatzabgabe an einer Verfassungsgrundlage. Für eine Verfassungsänderung mangelt es den Befürwortern der 50-Franken-Idee am politischen Willen. Ihr Ausweg: Statt einer Abgabe von 50 Prozent pro Besuch in einer Spital-Notfallstation steigt jeweils der Selbstbehalt der Patienten. Das ginge ohne Verfassungsänderung. Doch die Lenkungswirkung dürfte deutlich abnehmen: Die Zusatzkosten sind für die Patienten nicht sofort sichtbar, und oft kostet es die Betroffenen gar nichts.

Der ordentliche Selbstbehalt in der Grundversicherung der Krankenkassen umfasst derzeit 10 Prozent jener Kosten, welche die fixe Kostenbeteiligung (Jahresfranchise) übersteigen; maximal beträgt der Selbstbehalt für Erwachsene 700 Franken pro Jahr. Die von der Nationalratskommission nun bevorzugte Variante sieht vor, dass die betroffenen Patienten pro Notfallkonsultation 50 Franken zusätzlich zum ordentlichen Selbstbehalt bezahlen müssen. Dieser Zuschlag «beisst» bei den Patienten erst nach Ausschöpfung der Jahresfranchise.

Gemäss einer Auswertung des Bundes für 2022 hatte gut die Hälfte aller Versicherten ihre Jahresfranchise erreicht und wäre damit von einem Zuschlag auf dem Selbstbehalt von 50 Franken potenziell betroffen. In einer weiteren von der Kommission zunächst vorgeschlagenen Variante wären gar nur etwa 10 Prozent der Versicherten potenziell betroffen gewesen.

Die Branche lehnt sich auf

In der Vernehmlassung zu den Kommissionsvorschlägen lehnten die meisten beteiligten Akteure des Gesundheitswesens die Vorlage grundsätzlich ab. Das gilt etwa für die Verbände der Ärzte, der Spitäler, der Notfallmediziner und der Notfallpflege. Auch die Kantone sind mehrheitlich in Opposition. Bei den Krankenkassen war das Bild zunächst uneinheitlich, doch der neue Einheitsverband Prio.swiss lehnt die Vorlage nach Angaben vom Montag klar ab.

Der Tenor der Kritiker: Man wolle eine Entlastung der Notfallstationen, doch die Vorlage der Nationalratskommission erreiche dieses Ziel kaum und könne insgesamt sogar Mehrkosten verursachen. Laut den Kritikern würde das Gesetzesprojekt angesichts der vielen Ausnahmen höchstens eine geringe Sparwirkung haben; dem stehe ein höherer administrativer Aufwand gegenüber – sowie das Risiko, dass gewisse Patienten wegen finanzieller Probleme zu spät medizinische Hilfe suchten. Als weit bessere Alternative zur Entlastung der Spital-Notfallstationen orteten manche Kritiker den Ausbau niederschwelliger Angebote – von Telemedizin bis zu ambulanten Notfalldiensten.

Der Berner Mitte-Nationalrat Lorenz Hess sprach am Montag auf Anfrage von einem «Rohrkrepierer». Er habe sich anfangs für die Stossrichtung der Bagatellgebühr ausgesprochen. Doch ein Übungsabbruch hätte sich laut Hess aufgedrängt, als das Verfassungsproblem einer direkten Gebühr sowie die Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen dringlichen und nicht dringlichen Behandlungen offenkundig geworden seien.

Ohne Zwang für Kantone

Die Kommissionsmehrheit betonte dagegen, dass gewisse Kantone eine gezielte Erhöhung der Kostenbeteiligung einführen möchten, um die Spital-Notaufnahmen zu entlasten. Die Vorlage sieht keinen schweizweiten Zwang zur Einführung der Zusatzbelastung betroffener Patienten vor; die Kantone sollen dies entscheiden können. Zu den Befürwortern gehört die Zürcher FDP-Nationalrätin Regine Sauter. Laut Sauter hat die Zürcher Gesundheitsdirektorin die Möglichkeit einer solchen Sonderabgabe gewünscht. Wenn einzelne Kantone sie einführten, könne man sehen, was das bringe. In der Vernehmlassung hatten sich auch einige andere Kantone grundsätzlich positiv geäussert – etwa Bern, Glarus und Appenzell Ausserrhoden.

FDP und SVP sind grundsätzlich für die Vorlage, die Linke lehnt jede Erhöhung des Patientenbeitrags ab. Die Mitte und die Grünliberalen dürften im Parlament den Ausschlag geben. Beide Parteien haben sich in der Vernehmlassung nicht geäussert – möglicherweise mangels Einigkeit.

Offensive Helsana-Schätzung

Die Krankenkasse Helsana schätzte aufgrund ihrer Daten von 2023 den Anteil von nicht zwingenden Notfallkonsultationen nur auf 7 Prozent – was weit unter den Schätzungen gewisser Praktiker liegt. Die Helsana nahm an, dass alle Notfallpatienten, die in den 30 Tagen vor und nach der Konsultation weitere Gesundheitsleistungen bezogen, richtigerweise in die Notfallstation gingen. Das erscheint als offensive Annahme: Zusätzliche Leistungsbezüge deuten auf ein ernsthaftes Gesundheitsproblem, aber nicht zwingend auf eine notfallmässige Dringlichkeit.

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