Sonntag, Februar 2

Der seltene Mercedes-Benz W 196 R von 1955 erzielt an einer Auktion in Stuttgart einen Rekordpreis. Es gibt aber auch deutlich günstigere ausgediente Formel-1-Boliden – und diese sind auch bei den Rennfahrern sehr beliebt.

Der Auktionator weiss genau, wie er sein Publikum noch einmal zu Grosstaten animieren kann. Er dehnt die Silben jedes seiner Worte, und wenn das nicht reicht, um die Gebote erneut nach oben zu treiben, empfiehlt er den zögerlichen Bietern, die Blicke noch einmal ganz lange über das Prachtstück vor ihm wandern zu lassen. Es funktioniert. Denn was da am Samstagnachmittag vis-à-vis des Stuttgarter Fussballstadions im Mercedes-Benz-Museum auf dem roten Teppich steht, ist eine der schönsten Skulpturen, die es im Rennwagenbau gibt: der Stromlinien-Silberpfeil W 196 R.

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Die Anfangsgebote für die klassische Schönheit überschlagen sich schnell, haben sich nach drei Minuten von 20 auf 40 Millionen Euro verdoppelt. Nach nicht einmal acht Minuten der Auktion von RM Sotheby’s ist klar, dass sich nach den Weltmeistern Juan Manuel Fangio und Stirling Moss künftig ein Dritter unter die Fahrer dieses sehr besonderen Rennwagens von Mercedes einreihen wird.

Das Siegerauto des Grossen Preises von Argentinien 1955, einer der technisch fortschrittlichsten Rennwagen seiner Zeit, wird für 46,5 Millionen Euro verkauft, zuzüglich Steuern und Gebühren werden 51,155 Millionen Euro fällig. Er ist damit der wertvollste jemals verkaufte Grand-Prix-Rennwagen der Geschichte.

Eine Mischung aus Liebhabertum, Eitelkeit und Geldanlage

Die spektakuläre Summe ist Ausdruck eines kleinen, aber potenten Marktes, bestimmt von der Lust am Tempo und der Automobilgeschichte. Die Käufer treibt eine Mischung aus Liebhabertum, Eitelkeit und dem Wunsch nach einer Geldanlage an.

Damit belegt Mercedes nun die beiden Spitzenplätze in der Auktionsweltmeisterschaft für Rennwagen. Im Mai 2022 war ein 300 SLR, das sogenannte Uhlenhaut-Coupé, für die kaum vorstellbare Summe von 135 Millionen Euro versteigert worden. Der Markt für Rennwagenliebhaber gehorcht den Gesetzen des seit Jahren boomenden Oldtimersegments. Seltenheit und Zustand sind entscheidende Kriterien, vom gerade verkauften Mercedes gab es nur vier Stück. Prominente Fahrernamen wirken sich wie Brandbeschleuniger auf den Preis aus.

Darauf haben auch die bisherigen Besitzer des am Samstag versteigerten Rennwagens gesetzt. Er gehörte dem Indianapolis Motor Speedway, das dortige Museum hatte den W 196 R vor sechzig Jahren von Mercedes geschenkt bekommen. Die Amerikaner benötigen Geld, um ihr Museum an der berühmten Rennstrecke zu renovieren, und versilbern daher Fahrzeuge aus ihrem Besitz.

Nachdem der Beschluss zur Kapitalisierung getroffen worden war, schickten die Besitzer das Auto in die Stuttgarter Klassikwerkstatt, wo es technisch überprüft und zertifiziert wurde. Ein möglichst hoher Anteil an ursprünglichen Fahrzeugteilen wirkt sich preissteigernd aus, beispielsweise der Originallack. Toto Wolff, der Teamchef des gegenwärtigen Formel-1-Rennstalls, fungierte hinter dem Steuer eines anderen W 196 R als Werbefigur für die Veranstaltung, bei der tatsächlich nur dieses eine Exemplar zum Verkauf stand.

Ob die Welt jemals erfahren wird, wer der neue Besitzer sein wird, und ob die automobile Schönheit überhaupt jemals wieder in Kontakt mit einer echten Strecke oder Strasse kommt, bleibt offen. Der erfolgreiche Bieter, der telefonisch zugeschaltet war, ist nur durch die Registriernummer 6128 bekannt. Viele Autosammler, jedenfalls in diesen obersten Preisregionen, gleichen grossen Kunstliebhabern. Ihnen geht es gar nicht darum, sich mit ihrem Besitz im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu sonnen. Sie wollen die schönsten Stücke für sich ganz allein. Wenngleich unter Insidern natürlich gemutmasst wird, wer welche Preziosen in seiner Sammlung hat.

Sebastian Vettel hat eine Sammlung von Rennwagen

Längst hat sich die Gewinnmaximierung auch unter Rennfahrern herumgesprochen. Je nach Verhandlungsgeschick lassen sich Piloten heutzutage festschreiben, dass ihnen nach Vertragsende einer ihrer Dienstwagen überschrieben wird. Der vierfache Weltmeister Sebastian Vettel beispielsweise hat eine Sammlung, zu der sich auch berühmte Rennwagen seiner Idole gesellen. Teamchefs haben es noch einfacher, die ausgedienten Wagen für sich zurückzuhalten – einerseits, um die Unternehmensgeschichte zu pflegen, andererseits als veritable Geldanlage.

Bei Ferrari beispielsweise lassen sich Rennwagen, die ausgedient haben, auch direkt erwerben. Mancher Käufer hat damit nach etwas Wartezeit einen guten Schnitt beim Wiederverkauf machen können. So rangieren Michael Schumachers sogenannte «rote Göttinnen» von 2003 und 2006 inzwischen mit einem Auktionswert von 14 Millionen Euro an der Spitze der Wertrangliste für zeitgenössische Formel-1-Autos. Klassiker, die von Ayrton Senna oder Nigel Mansell bewegt worden sind, rangieren zwischen 5 und 10 Millionen Euro. Auch hier hatte ein alter Mercedes lange alles übertroffen: Fangios Weltmeisterauto von 1954 war für 20 Millionen Euro an eine anonyme Person gegangen.

Bernie Ecclestone, Ende des vergangenen Jahrzehnts nach vier Jahrzehnten Alleinherrschaft in der Königsklasse entmachtet, flutet gerade mit seiner privaten Sammlung den Markt für historische Rennwagen. Der mittlerweile 94 Jahre alte Brite war zeitlebens stolz auf seine berufliche Herkunft als Gebrauchtwagenhändler. Er wickelt seine Kollektion über einen mittelenglischen Händler ab. So etwas wie seine 69 Rennautos, die einen ganzen Hangar füllen, standen noch nie auf einen Schlag zum Verkauf.

Schon in den siebziger Jahren hatte Ecclestone begonnen, legendäre Rennwagen zu erwerben. Darunter besonders viele Ferraris – Siegerautos von Michael Schumacher, Niki Lauda, Alberto Ascari oder Mike Hawthorn. Aber auch legendäre Vorkriegsautos von Auto Union, Bugatti und Mercedes. Der geschätzte Gesamtwert liegt jenseits von 350 Millionen Euro. Bernie Ecclestone weiss sehr wohl, was seine rollende Motorsportgeschichte wert ist: «Meine Leidenschaft galt schon immer den Grand-Prix-Autos. Ich habe stets die besten Exemplare gekauft. Sie sind wichtiger als jedes Strassenauto, sie sind die Krönung.»

Wenn Menschen davon erzählen, dass sie für wenig mehr als 100 000 Franken einen Formel-1-Rennwagen der jüngeren Generation ihr eigen nennen, handelt es sich nicht zwingend um Aufschneider. Tatsächlich sind sogenannte Showcars schon in dieser Preisklasse zu haben. Äusserlich identisch mit den Einsatzfahrzeugen, allerdings fehlen Motor und Getriebe. Was unter Umständen auch sicherer ist für den Besitzer, denn es bedarf ausgeprägter Fahrkünste, um die klassischen Rennwagenschönheiten sicher zu bewegen.

Das Aussen- und das Innenleben des an der Stuttgarter Auktion verkauften Mercedes W 196 R, in dem die Weltmeister Stirling Moss und Juan Manuel Fangio sassen.

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