LeseTipps
Freundschaft ist tröstlich, frustrierend, überlebenswichtig – und das Subjekt vieler guter Bücher. Sechs Empfehlungen aus der Redaktion.
1. «Life» von Keith Richards
In seiner Autobiografie «Life» bietet der Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards nicht nur einen schonungslos ehrlichen Einblick in sein turbulentes, von Höhen und Tiefen geprägtes Leben und die Karriere, sondern auch auf seine komplexe Beziehung zu Mick Jagger.
Richards beginnt seine Erzählung mit seiner Jugend und den frühen Jahren der Rolling Stones, geprägt von der gemeinsamen Leidenschaft für Musik, die ihn und Jagger zusammenbrachte. Diese Freundschaft, die (noch) auf gegenseitiger Bewunderung basierte, war der Grundstein für den Erfolg der Band. Richards beschreibt, wie ihre kreativen Energien sich ergänzten: Jaggers charismatische Bühnenpräsenz und sein Talent als Frontmann harmonierten mit Richards’ Gitarrenspiel.
Doch mit dem wachsenden Ruhm kamen auch Konflikte und Entfremdung. Richards, der meist im Schatten von Mick Jagger stand, schildert, wie die unterschiedlichen Persönlichkeiten der beiden Musiker – Jaggers zunehmendes Interesse an der Kontrolle über die geschäftlichen Aspekte der Band und Richards’ exzessiver Lebensstil – zu Spannungen und Reibereien führten. Diese Konkurrenz um die kreative Führung und die Richtung der Band war ein ständiger Begleiter ihrer Karriere. Trotz diesen Konflikten zeigt «Life» auch die unzerstörbare Verbindung zwischen Richards und Jagger: Es wird deutlich, dass es auch ihre Freundschaft war, die auf der Bühne und abseits davon eine einzigartige Dynamik geschaffen hat.
Buchtipp von Sonja Siegenthaler
«Life» von Keith Richards
Heyne Verlag, 736 Seiten, für Fr. 22.90 etwa über Orell Füssli erhältlich. (Bild: PD)
2. «Die Unzertrennlichen» von Simone de Beauvoir
«Die Unzertrennlichen» (Originaltitel: «Les Inséparables») ist ein postum veröffentlichtes Werk von Simone de Beauvoir. Es schildert die intensive Freundschaft zwischen den Mädchen Sylvie und Andrée. Im Buch fungieren sie als literarische Alter Egos von Simone de Beauvoir und ihrer engen Freundin Élisabeth «Zaza» Lacoin.
Die Geschichte beginnt in ihrer Kindheit und verfolgt ihre Entwicklung durch die Jahre der Adoleszenz. Dabei stehen gesellschaftliche Zwänge, Loyalität und gemeinsames Wachsen im Zentrum. Die Gefühle werden so präzise formuliert, dass mich der Roman emotional sehr gepackt hat.
Buchtipp von Hannah Hitz
«Die Unzertrennlichen – Der persönlichste Roman der französischen Feministin» von Simone de Beauvoir
Rowohlt, 144 Seiten, für Fr. 16.90 etwa bei Weltbild erhältlich. (Bild: PD)
3. «A wie B und C» von Alexandra Kleeman
Als der Debütroman von Alexandra Kleeman, damals als «upcoming star» in der amerikanischen Literaturszene gehypt, 2016 auf Deutsch herauskam, verschlang ich das Buch «A wie B und C» (im Englischen: «You too can have a body like mine») sofort. Es holte mich thematisch zu diesem Zeitpunkt voll ab. Der englische Titel ist treffender, denn das Buch handelt von Perfektion, Frauenfreundschaften und -rivalitäten, Essstörungen und einer spannungsbehafteten Beziehung der drei Protagonisten A, B und C, wie sie im Buch schlicht genannt werden.
Die Erzählerin A hat eine Mitbewohnerin namens B und einen Freund namens C. A und B führen eine fast symbiotische Freundschaft. Sie sehen gleich aus (zierlich, blass und neigen zu Sonnenbrand), haben beide komische bis gesundheitlich bedenkende Essgewohnheiten (eine Liebe für synthetische Süssspeisen oder den Spleen, Essen möglichst nicht anzufassen) – der einzige erkennbare Unterschied: die Haare. Bis B eines Tages nach Hause kommt und A ihren abgeschnittenen Zopf überreicht. Von da an beginnt A die Freundschaft zu hinterfragen, die von einer anfänglichen Lockerheit zu einer Obsession und Rivalität verkommen ist. Ihr Freund C kann da auch nicht viel helfen, er schaut am liebsten Pornos oder Haifisch-Dokus. Irgendwann verschwindet A spurlos.
Im Buch, das klar ein «von-und-für-Millennial»-Werk ist, fallen Sätze wie «Je mehr wir uns sahen, desto mehr vermisste mich B. Unter ihrem Blick spürte ich ständig die Last meiner Gegenwart und wurde es langsam leid.» Es sind augenscheinliche Beschreibungen, die stellenweise auch ins Metaphorische, manchmal auch Plumpe abdriften, die mich aber heute, nach acht Jahren, immer noch irgendwie mitreissen.
Buchtipp von Jocelyne Iten
«A wie b und c» von Alexandra Kleeman
Kein & Aber, 352 Seiten, für Fr. 16.90 etwa über Amazon erhältlich. (Bild: PD)
4. «White Teeth» von Zadie Smith
Die Freundschaft im Zentrum von Zadie Smiths Debütroman aus dem Jahr 2000 ist eine unwahrscheinliche. Archie Jones, ein zielloser Engländer, und Samad Iqbal, ein bengalischer Moslem aus Bangladesh mit grossen Zukunftsplänen, lernen sich als junge Soldaten beim gemeinsamen Kampf im Zweiten Weltkrieg kennen. Obwohl, von Kampf kann kaum die Rede sein. Ihr Panzer lümmelte eher auf Nebenschauplätzen dahin, während die Antipathie zwischen den beiden allmählich schmilzt.
Als wir mit den beiden Bekanntschaft schliessen, sind sie längst ins Visier verschiedener Midlife-Krisen geraten und verbringen viel zu viel Zeit in einem klebrigen Pub im Nordwesten Londons. Ihre Freundschaft ist bisweilen so lauwarm wie ihr Bier. Doch sie prägt die Generationen, die nach ihr kommen: Wir erleben, wie ihre Kinder aufwachsen, sich verlieben oder radikalen Gruppen beitreten, wie ihre Frauen sich zerstreiten und wie eine herrlich unausstehliche Familie aus der weissen Mittelklasse sich in ihr aller Leben einmischt. Was zählt Loyalität, wenn sie auf unstetem Fundament aufgebaut ist? Wie viel kann man von Freunden erwarten?
«White Teeth» ist lustig, packend und aus einer zeitgenössischen Perspektive ungewohnt optimistisch – hässlicher Rassismus und kulturelle Differenzen sind im Buch zwar zentral, scheinen aber kleiner und lösbarer als heute. Trotzdem lohnt sich die Lektüre. Zadie Smiths scharfe Beobachtungen und ausgelassene Sprachspielereien machen deutlich, warum sie seit der Publikation ihres Erstlingswerks zu einer der definierenden Schriftstellerinnen unserer Zeit geworden ist.
Buchtipp von Jana Schibli
«White Teeth» von Zadie Smith
Penguin Verlag, 560 Seiten, für 16.90 Franken etwa über Orell Füssli erhältlich. (Bild: PD)
5. «Das also ist mein Leben» von Stephen Chbosky
Kein anderes Buch zeigt für mich, wie wichtig Freundschaften für die persönliche Entwicklung sind, wie «Das also ist mein Leben» (Originaltitel: «The Perks of Being a Wallflower»). Der Protagonist ist Charlie, ein introvertierter Highschool-Schüler, der den Suizid seines besten Freundes verarbeitet. Als er Sam und ihren Stiefbruder Patrick kennenlernt, findet er neuen Mut.
Wer wenig Zeit zum Lesen hat, dem empfehle ich die Verfilmung «Vielleicht lieber morgen». Allein schon für den Soundtrack lohnt es sich.
Buchtipp von Hannah Hitz
«Das also ist mein Leben» von Stephen Chbosky
Heyne, 288 Seiten, für Fr. 12.90 bei Ex Libris erhältlich. (Bild: PD)
6. «Die Reise mit Charley – Auf der Suche nach Amerika» von John Steinbeck
1960 kämpften Nixon und Kennedy um die Präsidentschaft, der Kalte Krieg schürte um den ganzen Globus fürchterliche Ängste, und die «Civil Rights Movement» – der Kampf für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner und gegen Rassismus – nahm weiter Fahrt auf. Es waren bewegende Zeiten, im guten und im schlechten Sinne.
Für den damals 58-jährigen Schriftsteller John Steinbeck Anlass genug, um quer durch Amerika zu reisen. Er wollte wissen, wie sich das riesige Land während all dieser Turbulenzen anfühlt und was die Bevölkerung umtreibt. «Als einer von allen» wollte er durchgehen. Charley, der zehn Jahre alte Familienpudel der Steinbecks, sollte im Pick-up-Truck namens «Rosinante» Steinbecks einziger Begleiter sein.
In elf Wochen durchreisen die beiden 34 Bundesstaaten und erleben dabei irrwitzige, heitere und dramatische Situationen. Als Freundschaftsduo sind sie einander uneingeschränkt loyal und voller Vertrauen; ihre Dynamik ist eingespielt. Charley ist der smarte, diplomatische Hund, der als Türöffner in jeder Art von Milieu operiert. Steinbeck kann zuhören und gibt im oder vor dem Camper auch einmal einen aus.
Nur ein Kompagnon wie Charley konnte dazu beitragen, dass Steinbecks Blick auf Amerika 1960 ein so unverstellter war. Gespräche, Eindrücke und Erlebnisse blieben ungefiltert beim Schreiber. Kein Wunder, war Charley für Steinbeck ein Held!
Buchtipp von Ulrike Hug
«Die Reise mit Charley – Auf der Suche nach Amerika» von John Steinbeck
dtv, 304 Seiten, für Fr. 17.90 etwa über Orell Füssli erhältlich. (Bild: PD)