Dienstag, April 1

Audi steht für vier Ringe und den Werbeslogan «Fortschritt durch Technik». Die Marke tauchte bereits vor mehr als 100 Jahren auf – so richtig bekannt wurden die Autos aber erst vor 60 Jahren. Heute befindet sich Audi in einer Krise und kämpft um seine Zukunft. Eine Reise in die Geschichte des Autoherstellers.

Lautes Knattern hallt durch die Gassen. Eine blaue Abgas-Schleppe zieht hinter einem Auto der Marke DKW her. Eine Belastung für Ohren und Nasen. Darauf haben Mitte der 1960er Jahre immer weniger Bürger Lust. Sie wollen keine lauten und stinkenden Zweitaktmotoren mehr, sondern kraftvolle und leise Viertakter. Damit bekommt die Marke DKW der Auto Union ein riesiges Problem: Sie baut ausschliesslich Autos mit Zweitakter.

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DKW rutscht in die Krise. Ein neuer Plan muss her.

Am besten einer mit vier Zylindern und vier Takten. Die Auto Union macht sich auf die Suche – und wird bei Mercedes fündig. Denn die Stuttgarter besitzen die Auto Union seit 1959 und verfügen über einen passenden Vierzylinder für Frontantrieb, der jedoch gerade nicht zum Einsatz kommt. Eine Entsorgung des fertig entwickelten Triebwerks kommt nicht infrage, und so reicht Mercedes das Vierzylinder-Projekt an die Tochterfirma weiter.

Die Ingenieure entwickeln daraufhin auf Basis des DKW-Modells F102 ein neues Fahrzeug der Mittelklasse mit Frontantrieb. Der 1,7-Liter-Vierzylinder, genannt «Mitteldruckmotor», leistet für die damalige Zeit gute 72 PS. Aber noch bevor das Projekt fertiggestellt ist, verkauft Mercedes im Jahr 1965 die Auto Union GmbH an die Volkswagenwerke AG, die das neue Modell zur Marktreife entwickeln lässt.

Nur noch der passende Name fehlt. DKW steht für Kleinwagen und Zweitakter. Allen Beteiligten ist klar, es braucht etwas Neues. Und so kommt es, dass das überarbeitete DKW-Modell im Sommer 1965 zum ersten Produkt der Marke Audi wird. Der Name ist dabei keine neue Erfindung. Die Marke ist schon seit Jahrzehnten ein Teil der Auto Union. Gegründet vom deutschen Ingenieur August Horch, ist Audi zu dem Zeitpunkt bereits 46 Jahre alt.

Horch arbeitet in den 1890er Jahren als Ingenieur zuerst bei Carl Benz. 1899 macht er sich in Köln mit seiner Firma August Horch & Cie. selbständig, zieht mit seiner Firma 1904 nach Zwickau und wandelt sie in eine AG um. Nach einem Streit in der Geschäftsleitung verlässt er sein Unternehmen und gründet 1909 ein neues. Horch darf er seine neue Firma nicht mehr nennen. Er umgeht das Problem, indem er die lateinische Übersetzung nutzt: audi («höre» oder eben «horch»). Im Mai 1910 konstruiert er mit Hermann Lange unter dem Namen Audi-Automobil den Typ A 10 / 22 PS, das erste und älteste Modell der Marke. Mit den Audi-Werken in Zwickau entwickelt Horch unter anderem auch Rennwagen.

Doch die Marke bleibt eine Nische, kommt kaum auf Stückzahlen. Leistungsstarke Autos sind in den Zwischenkriegsjahren immer weniger gefragt. 1928 werden im Zuge der Weltwirtschaftskrise die Audi-Werke von Jörgen Skafte Rasmussen, dem Besitzer von DKW, übernommen.

Vier Ringe symbolisieren die fusionierten Hersteller

1932 schliessen sich die Marken Audi, DKW und Horch zusammen, kaufen die Automobilabteilung von Wanderer und gründen die Auto Union AG. Die vier Ringe symbolisieren das Bündnis der Unternehmen, die je ein bestimmtes Marktsegment bedienen: DKW steht für Motorräder und Kleinwagen, Wanderer für Automobile der Mittelklasse und Audi für Autos der gehobenen Mittelklasse. Luxusautos stammen von Horch. Der Verbund wird zum zweitgrössten Autohersteller Deutschlands. Bis 1939 laufen unter dem Audi-Namen Fahrzeuge vom Band, bis die zivile Pkw-Produktion kriegsbedingt im Horch-Werk-Zwickau eingestellt wird.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird die Auto Union AG in Zwickau enteignet. Die AG wird 1948 aufgelöst, zieht als Auto Union GmbH nach Ingolstadt, um dort ab 1949 DKW-Fahrzeuge zu bauen. In den ersten Jahren des Wirtschaftswunders finden die Modelle grossen Absatz, doch ab Anfang der 1960er Jahre hat der Zweitakter ausgedient. Vom DKW F102 – er trägt bereits vier Ringe am Kühlergrill – verbleiben schliesslich 30 000 Neufahrzeuge unverkauft im Lager. Unter dem wiederbelebten Markennamen Audi entsteht ab 1965 erstmals das Viertaktmodell Audi F103.

Mit den Jahren wird das Modell ein Erfolg, noch aber ist der Markenname Audi den meisten Autokäufern fast unbekannt. «Audi hat vor 60 Jahren damit bei null angefangen», sagt Frank Wilke, Geschäftsführer von Classic Analytics, einem Unternehmen zur Marktbeobachtung und Bewertung von Oldtimern. Die Marke «hatte vor dem Zweiten Weltkrieg weder den Klang noch die Berühmtheit eines Horch oder Wanderer», sagt er. Das berühmteste Vorkriegsmodell «Alpensieger» war Ende der 1920er Jahre hauptsächlich Motorsportfans ein Begriff.

Audi hat nun aber die Möglichkeit, die Marke und das Vier-Ringe-Image neu zu besetzen. DKW schliesst sich wegen der Zweitakt-Vergangenheit aus, Horch klingt zu sehr nach Luxus und Vorkriegsjahren. «Mit Audi konnte Auto Union ein neutrales Firmenimage für solide Autos der unteren Mittelklasse aufbauen – ein geschickter Schachzug», sagt Wilke. Die vier Ringe prangen weiter auf dem Audi-Kühlergrill.

Eine Testfahrt bestätigt den gelungenen Wiedereinstieg

Noch heute ist der Audi F103 ein interessantes, weil wegweisendes Modell: Der filigrane Türöffner aus Chrom lässt sich leicht bedienen, das Design lädt ein zur Zeitreise. Nacktes, lackiertes Blech glänzt als Armaturenbrett, die Verarbeitung wirkt noch heute sorgfältig. Zwei Rundinstrumente zeigen Geschwindigkeit, Tank und Uhrzeit an.

Im Vergleich zum Zeitgenossen VW Käfer wirkt das luxuriös, ebenso wie die verkleideten Innentüren, der breite, ebene Fussraum und der mittige breite Aschenbecher neben dem Heizungsregler. Im Fond bietet der 4,38 Meter lange Viertürer ausreichend Platz für Erwachsene, auch wenn die Kopffreiheit bei 1,45 Metern Fahrzeughöhe nicht besonders üppig ausfällt. Doch der Höhepunkt und der grosse Unterschied zum DKW-Vorgänger F102 steckt unter der Fronthaube: der 1,7-Liter-Vierzylinder mit 53 kW / 72 PS.

Nach kurzer Betätigung des Anlassers orgelt der Motor ein paar Umdrehungen, bis er ratternd in den Leerlauf fällt. Mit ein wenig Gas kommt der Vierzylinder schnell in einen runden Lauf. Nur noch das Kupplungspedal tief durchdrücken und den ersten Gang der Viergang-Lenkradschaltung einlegen.

Wer es darauf anlegt, sprintet in 14,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 148 km/h – ein VW-Käfer 1200A fährt nur 115 km/h schnell. Der Antrieb hat ein gutes Ansprechverhalten, nur das Gestänge des hohen Sitzes drückt mit der Zeit auf den Rücken des Fahrers.

Über das dünne und rutschige Bakelit-Lenkrad lässt sich der rund 980 Kilogramm leichte Audi einfach durch Kurven fahren – auch wenn die Karosserie bei jedem Richtungswechsel stark mit schwankt und die schwammige Lenkung viele Korrekturen verlangt. Nein, besonders sportlich fährt sich der erste Audi der Nachkriegszeit nicht, aber immer noch sportlicher als ein VW Käfer. Und deutlich weiter ohne Tankstopp: Dank dem 53 Liter grossen Tank sind bis zu 600 Kilometer drin.

Kundenerfahrungen helfen bei der Weiterentwicklung

In den 1960er Jahren sind viele Kunden vom Fahrverhalten und der grossen Reichweite angetan, auch wenn der neue Motor sich anfangs als nicht besonders standfest erweist. Audi nimmt die Verdichtung für mehr Haltbarkeit zurück. Neben dem Zweitürer (ab 7700 Deutsche Mark) verkauft Audi für 300 Mark Aufpreis eine viertürige Variante und ein Jahr später einen zweitürigen Kombi (ab 8300 Mark). Zum Vergleich: Der VW 1220A Käfer kostet 1965 nur 4485 Mark.

Ab 1966 erhalten die Audi-Modelle Typenbezeichnungen wie 80 oder Super 90, später noch Audi 75 und Audi 60. Bis 1972 verkauft Audi vom F103 insgesamt 416 853 Fahrzeuge. Sein Modell-Nachfolger wird der Audi 80 B1. Auto Union GmbH kauft 1969 die Marke NSU aus Neckarsulm und nennt sich fortan «Audi NSU Auto Union AG». Bis 1977 laufen NSU und Audi parallel von den Bändern der Werke, danach nur noch Audi-Modelle.

Sportlich sind die Audi-Modelle anfangs nicht, erst Mitte der 1970er Jahre entwickelt der Hersteller sportliche Varianten wie den 80 GTE und ab 1980 den Ur-Quattro, der als erfolgreiches Fahrzeug in der Rally-Weltmeisterschaft zu Weltruhm aufsteigt.

1985 ändert das Unternehmen den sperrigen Firmennamen in Audi AG. Seitdem tragen Unternehmen und Produkte den gleichen Namen, das Image der Marke entwickelt sich weiter. «Die spannendste Veränderung von Audi entstand in den 1990er Jahren, als Audi sein Hut-auf-der-Ablage-Image» ablegte, sagt Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Schrittweise werden die Ingolstädter zu einer sportlichen Premiummarke mit dem bekannten Slogan «Vorsprung durch Technik».

Neuanfang in China soll ohne vier Ringe gelingen

Doch die Geschichte wiederholt sich. Wie vor 60 Jahren steht die Marke heute wieder an einem Scheideweg. «Fast zwei Jahrzehnte lang schrieb Audi eine absolute Erfolgsgeschichte. Mit dem Dieselskandal ging es dann langsam den Bach hinunter», sagt Bratzel. Die VW-Tochter ist, seitdem der Skandal 2015 publik wurde, in einer Dauerkrise. Vor wenigen Wochen gab Audi massive Gewinneinbrüche bekannt und kündigte den Abbau Tausender Stellen in Deutschland an. Das Unternehmen kämpft mit schwacher Nachfrage und starkem Wettbewerb in seinen Hauptmärkten – allen voran in China.

Gemeinsam mit der Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) gründen die Ingolstädter nun eine neue Marke für E-Autos am chinesischen Markt. Statt der vier Ringe trägt diese nur den Namen «AUDI» und soll den Unterschied zu den Verbrennern im grössten Markt der Welt verdeutlichen. «Audi muss sich neu erfinden, weil es bisher als Politkader-Auto in China wahrgenommen wurde und bei Elektromobilität sowie Vernetzung den Anschluss verloren hat», sagt Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft.

Chinesische Marken haben sich in den vergangenen vier bis sechs Jahren schneller und innovativer entwickelt als Audi. «Audi hat es in den vergangenen Jahren vor allem in China versäumt, seinen eigenen Slogan ‹Vorsprung durch Technik› umzusetzen. Das rächt sich jetzt», sagt Bratzel. Kann Audi die eigene Erfolgsgeschichte mit einem neuen Image wiederholen? Die Verkaufszahlen werden es zeigen.

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