Montag, September 30

Eine Studie zeigt, wie viel Geld die Filmwirtschaft in Stadt und Kanton Zürich generiert.

Als sich der ehemalige Geheimagent Jason Bourne an seine Identität zu erinnern versucht, führt seine Reise als Erstes nach Zürich. In einem verschneiten Park versucht er, auf einer Bank zu schlafen. Aber dort bekommt er es mit zwei unfreundlichen Polizisten zu tun. Bourne schüttelt sie ab und verbringt die Nacht anderswo.

Am nächsten Morgen begibt sich Bourne in die Zürcher Innenstadt. Er will zur amerikanischen Botschaft, weil er sich von seinen Landsleuten erste Hinweise dazu erhofft, wer er ist. Vor der Botschaft rauscht ein altes Tram vorbei. Angeschrieben ist es mit der Nummer 10 und der Endhaltestelle Bahnhof Oerlikon.

Dass die Polizisten im Hollywoodfilm kein Schweizerdeutsch sprechen, der Park nicht in Zürich liegt, das Tram kein originales VBZ-Modell ist und es in Zürich gar keine amerikanische Botschaft gibt – das hat Millionen von Zuschauern offenbar nicht gestört.

Einen ärgert es dagegen heute noch ein wenig, dass die Szenen nicht in Zürich gedreht worden sind, sondern aus Kostengründen in Prag: Dino Malacarne.

Er ist der Geschäftsführer der Film Commission Zurich. Der Auftrag dieser Kommission besteht im Wesentlichen darin, Filmproduktionen aus dem Ausland und aus der Schweiz nach Zürich zu holen. «Wir sind gewissermassen die Standortförderung der Filmwirtschaft», erklärt Malacarne.

Und diese Standortförderung funktioniert.

Der wichtigste Faktor ist der «Tatort»

In «Oppenheimer», Christopher Nolans Epos über den «Vater der Atombombe», ist Zürich zwar nur sehr kurz und aus der Luft zu sehen. «Aber es ist immerhin das richtige Zürich», sagt Malacarne und lacht.

Auch die koreanische Netflix-Serie «Crash Landing on You» wurde teilweise in Zürich gedreht. Seither ist die Stadt bei koreanischen Touristen äusserst beliebt.

Und: Seit 2020 hat Zürich seinen eigenen «Tatort». «Für uns ist das der wichtigste und reichweitenstärkste Faktor», sagt Malacarne. Der «Tatort» sei darum so wichtig, weil er in regelmässigen Abständen für Aufmerksamkeit sorge.

Die Bedeutung von Zürich im nationalen und internationalen Filmgeschäft dürfte damit heute grösser sein als noch zu Zeiten der Prager Schummelei in «The Bourne Identity». Diesen Schluss legt auch eine Studie nahe, die das Forschungsinstitut BAK Economics im Auftrag der Film Commission durchgeführt hat.

In der Studie wurde erstmals erhoben, wie viele Filme im Kanton Zürich pro Jahr gedreht werden und wie viel Wertschöpfung aus diesen Drehs für die Volkswirtschaft des ganzen Kantons hervorgeht. Die Resultate liegen der NZZ exklusiv vor.

Zürich ist die Hauptstadt des Schweizer Films

Während die Zürcher Filmstiftung und andere Stellen mit Millionenbeträgen hantieren, um Filme nach inhaltlichen Kriterien zu fördern, berücksichtigt die Film Commission nur quantitative Gesichtspunkte. Ihr Credo lautet: Je mehr in Zürich gedreht wird, desto mehr Geld springt für die Wirtschaft in der Stadt und im Kanton heraus.

Die Zahlen, die die Branchenstudie zutage gefördert hat, sind dementsprechend hoch. So hat die Filmproduktion im Jahr 2022 aus einem Gesamtumsatz von 450 Millionen Franken im Kanton Zürich eine Bruttowertschöpfung von rund 250 Millionen generiert.

Die Branche umfasst 1400 Vollzeitstellen, verteilt auf 850 Unternehmen. Das ist mehr als ein Drittel aller Stellen in der Schweiz, die im Zusammenhang mit der Filmwirtschaft stehen.

Mit diesen Dimensionen und 600 gedrehten Spiel-, Dokumentar- und Werbefilmen im Jahr ist Zürich die unangefochtene Hauptstadt des Schweizer Filmschaffens. «Nirgendwo sonst im Land wird auch nur annähernd so viel gedreht wie hier», sagt Dino Malacarne.

Österreich investiert jährlich 50 Millionen

Anna Schindler, Direktorin der Zürcher Stadtentwicklung, ist Dino Malacarnes politische Vorgesetzte. Die Stadtentwicklung trägt die Film Commission zusammen mit dem Amt für Wirtschaft des Kantons Zürich, Zürich Tourismus und der Zürcher Filmstiftung.

Schindler ist vor allem glücklich darüber, dass es dank der Studie überhaupt regionale Daten zur Branche gibt. So könne man die Entwicklungen künftig genauer beobachten – und beurteilen, welche Wirkung die Bemühungen der Film Commission haben.

Vorher habe es nur nationale Daten gegeben, in denen die Zahlen für Zürich nicht ausgewiesen gewesen seien. Wie bedeutsam der Film für Zürich wirklich ist, darüber gab es keine Gewissheit.

Das ist nun anders. Die Grössenordnung der Zahlen sei für sie eine positive Überraschung gewesen, sagt Schindler – insbesondere, weil Dreharbeiten im untersuchten Jahr 2022 noch von Corona-Massnahmen betroffen gewesen seien.

Trotzdem ist für Schindler und Malacarne klar, dass die Zürcher Filmproduktion im Vergleich zu anderen Städten und Ländern nur ein kleines Phänomen ist. «Wir haben keine Filmindustrie, wie es sie nur schon in München oder Wien gibt», sagt Malacarne, «von Berlin ganz zu schweigen.»

Mit diesen Städten könne man sich nicht messen. Österreich und seine Bundesländer zum Beispiel stellten ein Budget von 50 Millionen Franken allein für die Standortwerbung zur Verfügung. Mit solchen Beträgen würden ausländische Drehs zum Teil sogar direkt mitfinanziert. Etwa, indem ihnen Steuern erlassen oder andere finanzielle Anreize gesetzt würden, sagt Malacarne.

Von derartigen «Incentives» könne er in Zürich nur träumen. Malacarnes Agentur verfügt über ein Budget von rund 350 000 Franken. Das reiche für 150 Stellenprozente, geringfügige Marketing-Massnahmen und Unterstützung bei der Suche nach Drehorten für interessierte Produzenten.

Das Walliser Pendant zur Film Commission hat immerhin eine halbe Million pro Jahr in der Kasse. Der Kanton Tessin verfügt über ungefähr 650 000 Franken.

Das Geld der Film Commission Zurich kommt von städtischen und kantonalen Institutionen. Diese entsenden auch ihre Delegierten in den Vorstand und tragen dadurch auch die politische Verantwortung.

Schon steht der nächste Hollywood-Dreh an

Für den Erfolg der Filmstadt Zürich hat Anna Schindler zwei Erklärungen. Erstens sei Zürich mitten in Europa gelegen, gut erreichbar und mit einer erstklassigen Infrastruktur ausgestattet. Das mache Zürich besonders für grössere internationale Produktionen interessant, die die höheren Kosten verkraften könnten: «Hollywoodfilme und Streaming-Produktionen haben Budgets im dreistelligen Millionenbereich. Für sie sind die Erreichbarkeit und die Qualität der Rahmenbedingungen wichtiger.»

Mit Qualität hat auch der zweite Grund zu tun, mit dem Schindler den Zürcher Erfolg erklärt: Die Zürcher Hochschule der Künste bilde Fachleute auf hohem Niveau aus, und auch die Qualität der technischen Ausbildungen in der Filmproduktion sei hoch. Dies spielt eine Rolle, weil ausländische Produktionen mit lokalen Firmen zusammenarbeiten.

Den Schwung wolle man aufrechterhalten und mit in die Zukunft nehmen, sagt Schindler. Zürich habe ein grosses Projekt aus Hollywood für einen Dreh gewinnen können. Worum es sich handelt, darf sie noch nicht verraten.

Im Kino wird es sich zeigen.

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