Sonntag, September 29

Das russische Staatsbudget für 2025 sieht eine weitere Erhöhung der Militärausgaben vor, die damit so hoch sein werden wie nie zuvor. Das hat schwerwiegende wirtschaftliche Folgen und ist auch ein politisches Signal.

Der Krieg gegen die Ukraine ist der Dreh- und Angelpunkt der russischen Politik und Wirtschaft. Immer mehr Gesetze, politische Praktiken und wirtschaftliche Tätigkeiten sind auf die Bedürfnisse des fortdauernden Krieges ausgerichtet. Das konterkariert die Äusserungen Präsident Wladimir Putins und von Vertretern des Aussenministeriums, wonach Russland am Frieden interessiert sei und Verhandlungen über ein Ende des Krieges nicht im Wege stehe.

Der jüngste Beleg dafür ist das Staatsbudget, das die Regierung von Ministerpräsident Michail Mischustin verabschiedet hat und das bis Anfang kommender Woche in die Staatsduma kommt. Der mit riesigem Abstand gewichtigste Posten darin ist mit «nationale Verteidigung» überschrieben und umfasst die Ausgaben, die für die Streitkräfte und Rüstungsaufträge vorgesehen sind. Hatte er bereits für 2024 eine in der jüngeren Geschichte Russlands nie da gewesene Grösse erreicht, so soll er für das kommende Jahr noch einmal wachsen – und das entgegen den ursprünglichen Haushaltsplanungen von vergangenem Jahr.

Kein Aufhebens um Rüstungsausgaben

Im neuen Budget für 2025 steigen die Ausgaben für «nationale Verteidigung» gegenüber dem Vorjahr um gut 22 Prozent auf 13,2 Billionen Rubel (umgerechnet rund 120 Milliarden Franken) an. Damit machen sie bereits 6,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) aus. Zum Vergleich: Die Nato-Staaten haben sich dazu verpflichtet, 2 Prozent ihres BIP für die Armeefinanzierung auszugeben.

Zusammen mit dem Geld, das unter dem Begriff «nationale Sicherheit» für Geheimdienste, Polizei und andere Sicherheitskräfte zur Verfügung gestellt wird und weitere 3,5 Billionen Rubel (rund 32 Milliarden Franken) beträgt, machen die Ausgaben für innere und äussere Sicherheit etwa 40 Prozent des gesamten russischen Budgets aus.

Das ist mehr, als die Mittel für Soziales, Gesundheit, Bildung und volkswirtschaftliche Massnahmen zusammengenommen ausmachen. Hinzu kommen 12,9 Billionen Rubel an «geheimen Ausgaben», die öffentlich nicht aufgeschlüsselt werden. Es ist anzunehmen, dass diese ebenfalls für sicherheitsrelevante Aufgaben vorgesehen sind. Auffällig war, dass weder Mischustin noch Finanzminister Anton Siluanow viele Worte darüber verloren, weshalb der jetzt vorgelegte Budgetentwurf in Bezug auf die Militärausgaben so deutlich von den jeweils auf drei Jahre hinaus vorgelegten Budgetplanungen abweicht. Auch die zwar privaten, aber über einen sehr engen politischen Spielraum verfügenden Wirtschaftsmedien «Kommersant», «Wedomosti» und «RBK» erwähnten die Armee- und Rüstungsausgaben nur beiläufig.

Exilrussische Journalisten und die Wirtschaftsplattform «The Bell» wiesen dafür umso ausführlicher darauf hin, wie sehr der neuerliche Anstieg der Rüstungsausgaben den früheren Planungen widerspricht. Ursprünglich hätte das Jahr 2024 ein einmaliger Ausreisser sein sollen und wäre der Armee schon 2025 wieder deutlich weniger Geld zugeflossen. Die Entwicklungen an der Front in der Ukraine machten dem Kreml aber einen Strich durch die Rechnung. Durchschlagende russische Erfolge lassen auf sich warten. Vielmehr führt der Krieg zu einem Verschleiss von Militärtechnik und hohen menschlichen Verlusten.

Hoffen auf höhere Steuereinnahmen

Bei beidem ist kein Ende abzusehen, solange Putin auf für die Ukraine unerfüllbaren Bedingungen für Friedensverhandlungen beharrt. Bis die derzeitige Führung in Kiew verschwunden sei, werde die «Spezialoperation» fortgesetzt, sagte der russische Uno-Botschafter Wasili Nebensja am Dienstag im Uno-Sicherheitsrat. Die Rüstungsbetriebe laufen deshalb auf Hochtouren. Die Waffenproduktion, die Gehälter für die knapp gewordenen Arbeitskräfte in der Industrie und die mangels Zulauf immer höher angesetzten finanziellen Anreize zur Rekrutierung neuer Militärangehöriger drücken die Verteidigungsausgaben nach oben.

Leisten kann sich Russland diese hohen Ausgaben nach wie vor. Das erwartete Budgetdefizit für 2025 soll lediglich 0,5 Prozent des BIP betragen. Das ist im Vergleich mit vielen westlichen Staaten eine geradezu lächerlich kleine Differenz; für Russland fällt sie mehr ins Gewicht, weil das Land einige Jahre lang Überschüsse erwirtschaftet hatte. Die Einnahmen aus dem Rohstoffverkauf gehen zwar zurück. In diesem Sommer führte Russland aber eine Steuerreform durch, die in erster Linie für mehr Einnahmen sorgen soll.

Die Einführung einer Progression bei der Einkommenssteuer – bis anhin hatten nur zwei Steuertarife, 13 und 15 Prozent, gegolten – sowie die Anhebung der Gewinnsteuer für Unternehmen gleichen die im Vergleich zum Vorjahr höheren Ausgaben und geringeren Einnahmen aus. Regimekritische Ökonomen argwöhnen aber, dass die Regierung zu optimistisch rechnet. Die auf regionale Fragen spezialisierte Wirtschaftsgeografin Natalja Subarewitsch stellt einen deutlichen Rückgang bei den Unternehmenssteuereinnahmen fest.

Vertiefung der Probleme

Widerstand aus der Gesellschaft hat der Kreml vorläufig nicht zu befürchten. Über das Budget finden, wie überhaupt über politische Themen, keine öffentlichen Diskussionen statt. Wenige nur bringen den Unmut über schlechte Infrastruktur, tiefe Renten und das unzulängliche Gesundheits- und Bildungssystem mit den Milliardenausgaben für den Krieg gegen das Nachbarland zusammen. Die staatlichen Prioritäten werden deshalb kaum hinterfragt. Putin selbst setzte diese neben der Rüstung bei den Sozialausgaben, beim Infrastrukturausbau und bei der Integration der besetzten Gebiete im Osten und Südosten der Ukraine.

Je mehr sich jedoch alles um den Krieg dreht, desto mehr verschärfen sich die mittelfristigen Probleme in Wirtschaft und Politik. Die Wirtschaft kämpft mit einem Arbeitskräftemangel, der die Löhne immer stärker ansteigen lässt, vor allem in Regionen mit Rüstungsbetrieben. Das und aufgrund der sanktionsbedingten Schwierigkeiten beim Import entstehende Angebotsmängel heizen die Inflation an. Die Zentralbank ist zu hohen Zinsen gezwungen.

Das Festhalten der Regierung an dieser Ausgabenpolitik erschwert einen Ausstieg daraus. Zwar sieht alles danach aus, als würde auch im Falle einer Beendigung des Krieges die Armee noch jahrelang wieder aufgerüstet. Aber Militärangehörige, die von der Front nach Hause kämen, wären nicht nur schwer traumatisiert, sondern auch kaum mit ihren früheren, bescheiden bezahlten Arbeitsplätzen im Zivilleben zufrieden. Mit diesem Szenario scheint sich in der russischen Führung niemand zu befassen. Sie ist vom Krieg geblendet.

Exit mobile version