Samstag, Oktober 5

Wo die Currywurst vor über siebzig Jahren erfunden wurde, ist ein Streitpunkt zwischen zwei Städten. Sicher ist: Die Currywurst hat es weit gebracht. Zeit, sie zu würdigen.

Die BRD war erst wenige Monate alt, als in einer Berliner Imbissbude das neue deutsche Nationalgericht kreiert wurde. Am 4. September 1949 hat Herta Heuwer, eine Berliner Imbissbetreiberin, die Currywurst erfunden. So lautet die geläufigste Version der Geschichte.

Klar ist, die Currywurst ist im Nachkriegsdeutschland ein Stück unbelastetes Kulturgut geworden. Ob in Freiburg im Süden, in Hamburg im Norden. Ob in Duisburg, Jena oder Halle. Irgendwo zwischen Apotheke und Rossmann steht eine Bude, die für 3 Euro 50 die beste Currywurst der Stadt verkauft. Die Currywurst gehört zu deutschen Fussgängerzonen wie die Bäckerei, das Rathaus, die Zeugen Jehovas.

Die Currywurst wurde in Pop-Songs und in der Literatur gewürdigt. Politiker nutzen sie immer wieder als Chiffre für Volksnähe. Touristen, die nach den kulinarischen Schätzen der Bundesrepublik suchen, treibt sie bis heute das Blut in den Kopf. Etwa dann, wenn ihnen eine Portion der Schärfestufe 10 die Nasenschleimhaut punktiert.

Wer hat’s erfunden?

Angefangen hat alles ganz unscheinbar. Der 4. September 1949 war ein regnerischer Sonntag. Herta Heuwer langweilte sich, denn wegen des schlechten Wetters blieb ihre Kundschaft zu Hause. Dann, so erzählt man es sich in Berlin, regte sich plötzlich Heuwers Pioniergeist.

Heuwer experimentierte, ganz im Geist des anbrechenden Wirtschaftswunders und der neu eingeführten Marktwirtschaft, mit dem, was sie in ihrer Bude fand. Sie mischte Gewürze, Worcestershire-Sauce, Tomatenmark und – natürlich – Currypulver. Dann vermengte sie alles und goss das Gemisch über eine zerteilte Brühwurst.

Andere widersprechen und sagen, Heuwer habe improvisieren müssen, weil ihr der Senf ausgegangen sei. Gesichert ist: 1959 meldete Heuwer ihre Sauce zum Patent an.

Jahrzehnte später wurde allerdings eine Geschichte populär, die Heuwers Beitrag zum Kulturerbe der BRD infrage stellte.

1993 veröffentlichte der Schriftsteller Uwe Timm eine Novelle mit dem Titel «Die Entdeckung der Currywurst». Darin beschreibt der Autor, wie eine alleinerziehende Mutter eher zufällig die Kombination von Ketchup und Curry entdeckt, daraus das Rezept für die Currywurst entwickelt und ihren Kindern und sich selbst dadurch ein Einkommen sichert.

Diese Novelle ist zwar Fiktion, der Autor aber behauptete stets, er habe bereits 1947 an einer Hamburger Imbissbude Currywurst gegessen. Vermutlich hat die Inhaberin als Vorlage für die Hauptfigur seiner Novelle gedient.

Fast Food made in West Germany

So oder so, die Currywurst ist ein Gericht, das in die frühe Nachkriegszeit und zur Westbindung der BRD passte. Amerika hatte Cheeseburger, die Briten Fish’n’Chips. Und die BRD?

Typisch deutsche Gerichte wie Klösse oder Königsberger Klopse schmeckten vier Jahre nach Kriegsende zu preussisch, zu grossdeutsch. Und sie taugten nicht als Fingerfood. Da kam die Currywurst genau richtig.

Doch möglich wurde das erst durch die Währungsreform im Juni 1948. Damals wurde in der Westzone, der späteren BRD, die D-Mark eingeführt. Die Reform war die entscheidende Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit. Die Leute konnten sich wieder etwas leisten. Importprodukte wie Currypulver wurden erschwinglich. Erst diese Konjunktur ermöglichte es, dass die BRD, genau wie ihre neuen Verbündeten, eine eigene Fast-Food-Spezialität erhielt.

Seit damals ist um die Currywurst ein Kult entstanden. Beigetragen haben Schriftsteller, Musiker, Schauspieler und Politiker. So wurde die Novelle von Uwe Timm nach ihrer Veröffentlichung als Theaterstück adaptiert. Später sogar verfilmt.

Um einiges bekannter ist der Pop-Song «Currywurst», den Herbert Grönemeyer 1982 veröffentlichte. Geschrieben haben den Text zum Song zwar zwei Freunde Grönemeyers, doch durch seine Interpretation wurde die Currywurst endgültig zum Markenzeichen der einfachen Leute, der Arbeiter, der Pott-Originale.

Vielleicht macht gerade die Einfachheit den Erfolg der Currywurst aus. Sie kennt keinen Schnickschnack. Man bekommt, was man bestellt. Die Currywurst riecht nach Schweiss, Bratfett, ehrlicher Arbeit, dem sogenannten Bodensatz der Gesellschaft.

Für Politiker ist die Currywurst deshalb zu einem beliebten Vehikel geworden, wenn es darum geht, die Distanz zwischen ihnen und ihren Wählerinnen und Wählern zu verringern. Wer auf Wahlkampfveranstaltungen eine Currywurst isst, schaut auch, dass ein Fotograf dabei ist.

Der vorläufige Höhepunkt dieser politischen Instrumentalisierung erfolgte, als sich Bundeskanzler Olaf Scholz 2021 im Wahlkampf um die Kanzlerschaft befand. Auf die Frage, ob er lieber Bio-Currywurst oder Veggie-Burger von McDonald’s habe, sagte Scholz: «SPD ist Currywurst.»

Auch das Fernsehen hat von der Beliebtheit der Currywurst profitiert. Fast dreissig Jahre lang kam die Currywurst in der Krimiserie «Tatort» zu prominenten Auftritten. Denn die Kölner «Tatort»-Kommissare Ballauf und Schenk pflegten nach einem gelösten Fall ein Ritual.

Oft, kurz vor Ende der Folge, gingen sie zu einer Imbissbude am Rheinufer. Dort bestellten sie zwei Bier und zwei Portionen Currywurst. Sie nippten am Kölsch, kauten, schmatzten. Gleichzeitig rekapitulierten sie für das Fernsehpublikum die vergangenen anderthalb Stunden und fügten ihre Erkenntnisse zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammen.

Mit Currywurst im Mund stellten Ballauf und Schenk die Gerechtigkeit in bundesdeutschen Wohnzimmern wieder her. Sie entliessen das deutsche Kleinbürgertum kurz vor zehn Uhr beruhigt ins Bett.

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