Mittwoch, November 12

Die Nato rüstet sich für einen langen Krieg in der Ukraine und eine Trump-Präsidentschaft. Einen Zeitplan für eine Mitgliedschaft erhält Kiew weiterhin nicht. Zur Abschreckung Russlands wollen die USA wieder Langstreckenwaffen in Deutschland stationieren.

Die Stimmung im Andrew-W.-Mellon-Auditorium in Washington war feierlich am Dienstagabend. Ein Orchester spielte festliche Musik, Sänger mit himmlischen Stimmen sangen Lieder über Freundschaft und Frieden, und der amerikanische Präsident Joe Biden beschwor in einer kämpferischen Rede die Erfolgsgeschichte der Nato. Er erinnerte daran, dass die Vertreter von 12 Ländern in dem neoklassizistischen Gebäude vor 75 Jahren den Gründungsvertrag der Nato unterzeichnet hatten. «Sie wussten, um künftige Kriege zu verhindern und die Demokratie zu beschützen, mussten sie ihre Kräfte bündeln.»

Heute zählt das westliche Verteidigungsbündnis 32 Mitgliedstaaten. Die USA versuchen zudem Partnerländer aus dem asiatischen Raum verstärkt in die transatlantische Sicherheitskooperation einzubeziehen. Zum dritten Mal in Folge nahmen deshalb in Washington auch Delegationen aus Neuseeland, Australien, Japan und Südkorea am jährlichen Nato-Gipfel teil. «Es ist die grösste und effektivste Militärallianz der Weltgeschichte», betonte Biden. Er erinnerte zudem daran, dass vor vier Jahren nur 9 Mitgliedstaaten mehr als 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für ihre Verteidigung ausgegeben hatten. Heute erfüllen 23 Länder diese Zielvorgabe der Allianz.

Die Superlative des amerikanischen Präsidenten konnten jedoch nicht über die dunklen Wolken hinwegtäuschen, die über dem Jubiläumsgipfel hängen. Die dunkelste Wolke ist immer noch der Krieg in der Ukraine. Der scheidende Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte dies in seiner Rede klar. Die westliche Unterstützung für Kiew sei zwar präzedenzlos, aber sie sei nie «geradlinig» gewesen. Denn sie verursache auch Kosten. «Aber erinnern wir uns: Der höchste Preis und das grösste Risiko wäre ein Sieg Putins in der Ukraine.» Dies würde nicht nur den Kremlführer, sondern auch die autoritären Regime in Iran, Nordkorea und China bestärken. Sie alle wollten, dass die Nato scheitere. «Der Ausgang dieses Krieges wird die globale Sicherheit für Jahrzehnte bestimmen.»

Auch Biden versuchte in seiner Rede ein Signal der Stärke an Putin zu senden. Einerseits bestätigte er die Lieferung von vier weiteren Patriot-Flugabwehrsystemen aus den USA, Deutschland, den Niederlanden und Rumänien für die Ukraine. Zudem wird Italien ein zusätzliches Samp/T-System an Kiew übergeben. Seine Regierung arbeite zudem gemeinsam mit den Nato-Verbündeten daran, die Ukraine mit Dutzenden weiteren Flugabwehrsystemen mit geringerer Reichweite auszustatten. «Russland wird sich nicht durchsetzen», gelobte der amerikanische Präsident. «Wenn der Krieg endet, wird die Ukraine ein freies und unabhängiges Land bleiben.»

Der deutsche Bundeskanzler betonte die Rolle, die Berlin bei der Lieferung zusätzlicher Flugabwehrsysteme gespielt habe: «Ohne dass Deutschland vorangegangen wäre, würde dieser Schritt jetzt nicht erfolgen.» Allerdings dürfte auch diese Aufstockung noch nicht reichen. Kiew hält 7 Abwehrsysteme für das Minimum und strebt einen Ausbau auf insgesamt 25 Systeme an.

Am Mittwoch gaben Washington und Berlin zudem die Stationierung amerikanischer Langstreckenwaffen in Deutschland ab dem Jahr 2026 bekannt. Mit den Marschflugkörpern und später auch Hyperschallwaffen sollen Ziele in bis zu 2500 Kilometern Entfernung getroffen werden können. Dies soll die Abschreckung gegenüber Russland erhöhen.

Ebenfalls am Mittwoch bestätigte das Weisse Haus die versprochene Lieferung von F-16-Kampfjets durch Dänemark und die Niederlande. «Der Transfer ist unterwegs.» Die Ukraine werde die Flieger noch in diesem Sommer einsetzen. Norwegen und Belgien wollen ebenfalls Kampfjets liefern.

Auch in der Schlusserklärung des Gipfels stand die Hilfe für Kiew im Mittelpunkt. Wie vor ihrer offiziellen Veröffentlichung am Mittwoch durchsickerte, soll die Nato der Ukraine in wichtigen Punkten entgegenkommen. Zwar bleibt Kiew ein konkreter Zeitplan für eine Mitgliedschaft weiter verwehrt. Immerhin soll der Weg in die Nato nun aber «unumkehrbar» sein. Allein diese stärkere Sprache gilt als Erfolg für die Ukraine. Die USA und Deutschland wollten ursprünglich nur von «einer Brücke» zu einer Mitgliedschaft sprechen.

Stoltenberg wollte einen automatischen Mechanismus, um der Ukraine jährliche Militärhilfe von insgesamt 40 Milliarden Euro zu garantieren. Dies hätte die Unterstützung für Kiew auch vor einer möglichen weiteren Amtszeit von Donald Trump schützen sollen. Nun jedoch wird die Allianz voraussichtlich beschliessen, dass diese Mittel jedes Jahr neu bewilligt werden müssen.

Um die Abhängigkeit von den USA zu reduzieren, soll die Koordination der Waffenhilfe und die Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte zudem von der Nato übernommen werden. Es dauerte allerdings bis zu diesem Gipfeltreffen, um einen geeigneten Namen für diese Aufgabe zu finden. Zunächst sollte sie «Nato Mission Ukraine» heissen. Doch Berlin war dagegen, weil das Wort «Mission» den Einsatz von Bodentruppen implizieren könne. Das Kommando soll in Deutschland stationiert sein.

Alle diese Beschlüsse sind für die Ukraine nicht schlecht. Trotzdem zeigte sich Präsident Wolodimir Selenski bei einem Auftritt im Reagan-Institut am Dienstag unzufrieden. Er forderte von Biden die Aufhebung jeglicher Restriktionen, um mit westlichen Waffen militärische Ziele auf russischem Gebiet angreifen zu können. Die beschränkte Erlaubnis in der Grenzregion bei Charkiw habe gezeigt, wie effektiv solche «deep strikes» seien. «Wir warten auf diesen Schritt.»

Selenskis Ungeduld ist verständlich. Ohne Angriffe weit hinter den russischen Linien wird es für die Ukraine kaum möglich sein, das verlorene Territorium zurückzugewinnen. Während Biden bis jetzt zögert, dürfte Trump bei einer Rückkehr ins Weisse Haus einen solchen Einsatz amerikanischer Waffen erst recht nicht zulassen. Trump behauptet, den Krieg in der Ukraine durch eine Verhandlungslösung schnell beenden zu können. Und nach Bidens desaströser Fernsehdebatte mit dem ehemaligen Präsidenten wirkt eine zweite Amtszeit für Trump zunehmend wahrscheinlicher.

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