ABB ist von der Schweizer Industrie-Rezession kaum betroffen. Aber der Konzern hat mit Management-Problemen, einem schwächelnden China und querschiessenden Amerikanern zu kämpfen.
ABB freut sich über ein Rekordjahr. Während die Schweizer Industrie in einem Abschwung steckt, hat der Riese für Elektrifizierung und Automation seine Karten gut gespielt. «Wir sind viel widerstandsfähiger, als manche Investoren glauben», sagte der ABB-Chef Björn Rosengren schon im Dezember im kleinen Kreis. Der hohe Auftragsbestand sorgt für hohe Umsätze: 32,2 Milliarden Dollar erlöste ABB im vergangenen Jahr, 9 Prozent mehr als 2022. Der Konzerngewinn kletterte um die Hälfte auf 3,7 Milliarden Dollar.
Doch in einer riesigen Maschine wie ABB kann nie alles rundlaufen. Drei Beispiele zeigen, wo der Schweizer Vorzeigekonzern gefordert ist: durch politischen Streit, durch China und die Konjunktur – und durch Fehler im eigenen Haus.
Die erste Baustelle: Fehler im eigenen Haus
Die Umstellung von Verbrennern auf elektrische Fahrzeuge ist ein Megatrend, der wie geschaffen ist für ABB. Dazu gehört die Produktion von Ladesäulen, die in der Sparte E-Mobility angesiedelt ist. Wegen dieser Wachstumschancen möchte ABB einen Teil der E-Mobility-Aktien an die Börse bringen.
Doch der Börsengang ist seit Mitte 2022 aufgeschoben. Anfangs mit Verweis auf den globalen Kursrutsch, als Inflation und Konjunktursorgen um sich griffen. Doch mittlerweile haben sich die Börsen erholt und stehen wieder sehr gut da. Was muss passieren, damit ABB das Umfeld für gut genug hält, wenn die E-Mobility strukturell so gute Karten hat?
Ausser aber das Problem ist die E-Mobility selbst. Hinter vorgehaltener Hand wird von einer sehr schlechten Performance des Geschäfts gesprochen – wegen Problemen mit dem Produktangebot, der Qualität und dem Management. Die Dinge seien nun gelöst, aber es werde noch eine Weile dauern, bis sich wieder alles einrenke, ist zu hören.
Tatsächlich wurde im vergangenen Jahr der E-Mobility-Chef Frank Mühlon zuerst degradiert und musste schliesslich gehen. Auch andere Positionen im Top-Management der mittlerweile ausgegliederten Sparte wurden umbesetzt. Anfang Januar wurde bekannt, dass Mühlon bald den Hydraulik-Geschäftsbereich des Maschinenbauers Bucher leiten wird.
Die E-Mobility erwirtschaftete 2023 einen operativen Verlust (Ebita) von 167 Millionen Dollar. Im Vorjahr waren es nur 15 Millionen Dollar gewesen. Der Markt sei sehr herausfordernd, sagte Rosengren am Donnerstag in einer Telefonkonferenz und verwies auf gekürzte Subventionen in Europa. Die Sparte sei im Moment besser unter dem Dach von ABB aufgehoben – und ein Börsengang im laufenden Jahr wohl nicht zu erwarten, so der CEO.
Noch bevor die internen Verwerfungen bekanntwurden, sammelte die E-Mobility mit zwei Privatplatzierungen 525 Millionen Franken ein, um das Wachstum zu finanzieren. Die Investoren, darunter die Porsche Automobil Holding, besitzen nun insgesamt 25 Prozent an E-Mobility. Im Dezember hatten sie Aktien im Umfang von 6 Prozent erhalten, ohne dass sie zusätzliches Kapital einschiessen mussten – wie es scheint, als Schmerzensgeld.
Die zweite Baustelle: China und die Robotik
Probleme mit der Konjunktur hat ABBs Robotik und Fertigungsautomation. Mit einem Umsatz von 3,6 Milliarden Dollar ist sie der kleinste der vier grossen Geschäftsbereiche und tut sich derzeit am schwersten. Der Bestelleingang ist im Jahr 2023 um 26 Prozent gesunken; der Rückgang hat sich im vierten Quartal beschleunigt. Noch zehrt die Robotik von den vielen Aufträgen, die sie in der Corona-Pandemie eingesammelt hat: Als die Menschen aufgrund der Lockdowns mehr Waren bestellten, statt Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, bauten die Firmen ihre Fabriken aus – und bestellten Roboter.
Doch jetzt sind die Aussichten verhalten, besonders in China, dem weltgrössten Absatzmarkt. Die Wirtschaftserholung im Reich der Mitte bleibt hinter den Erwartungen. ABB hat 150 Millionen Dollar auf ein lahmendes Pferd gesetzt: Im Dezember 2022 eröffnete der Konzern eine voll automatisierte Roboterfabrik in Schanghai. Es ist die grösste Fabrik des Geschäftsbereichs weltweit; kein anderer ausländischer Roboter-Hersteller ist in China so exponiert.
Jetzt ist die Fabrik in Schanghai nicht ausgelastet. Immerhin wurde langfristig geplant: Bei den grossen Werken erwartet ABB dem Vernehmen nach erst nach sechs Jahren, dass sich die Investitionen rechnen. Rosengren glaubt, dass die Talsohle im Weihnachtsquartal durchschritten wurde – aber das erste Halbjahr 2024 werde trotzdem «herausfordernd».
Wenn sich die Robotik-Nachfrage erholt, könnte sie sich gewandelt haben. Warum sollen Unternehmen in fest installierte Produktionslinien investieren, wenn die sich nur schwer anpassen lassen, sobald sich die Nachfrage ändert? Viele Beobachter sehen deshalb in mobilen Robotern die Zukunft.
Auch ABB baut darauf. Im Januar hat der Konzern das Zürcher Startup Sevensense übernommen. Es hat eine auf künstlicher Intelligenz basierende Navigationstechnologie für autonom fahrende Roboter entwickelt, die Lasten transportieren. Dabei scannt der Roboter mit 6 Kameras beständig mit 20 Bildern pro Sekunde die Umgebung. Er sucht sich selbständig seinen Weg, statt einem einprogrammierten Pfad zu folgen – ähnlich wie ein autonom fahrendes Auto.
Die Konsequenz: Eine Firma kann die Stationen in einer Fabrik oder einem Lager verändern, ohne auf Transportwege oder Fliessbänder Rücksicht zu nehmen. Der Roboter findet seinen Weg. ABB hofft, dass dieser Markt für mobile, autonome Roboter von derzeit 5,5 Milliarden Dollar auf 9,5 Milliarden Dollar im Jahr 2026 wachsen wird.
Die dritte Baustelle: zwischen den Stühlen der Geopolitik
ABB kündigte vergangenes Jahr an, 280 Millionen Dollar in das zweitgrösste Roboterwerk des Konzerns zu stecken – im schwedischen Västeras. Denn grundsätzlich will ABB lokal produzieren, also in China für Asien, in Europa für Europa und in den USA für Amerika. Das soll Unterbrechungen in den Lieferketten vorbeugen, wie man sie in der Pandemie erlebt hat. Und es soll die Produktion von geopolitischen Problemen und Handelskriegen abschirmen.
Eine grosse Sorge ist der Konflikt zwischen China und den USA. Doch vollständigen Schutz kann es nicht geben: Zwei Komitees des amerikanischen Repräsentantenhauses zitieren nun den US-Länderchef von ABB zu sich, Michael Gray. Es geht um Hard- und Software von ABB. Sie wird in chinesischen Kränen eingesetzt, die in amerikanischen Häfen stehen.
Die US-Politiker befürchten ein Sicherheitsrisiko. Der Verdacht: Die Chinesen könnten mit der Technologie Handelsbewegungen ausspähen. Dabei ist ABB nur ein Zulieferer. Der Konzern verkauft die Produkte weltweit – darunter an die chinesische Shanghai Zhenhua Heavy Industries (ZPMC), einen der weltgrössten Hersteller von Hafenkränen. ZPMC baut die Kräne in China zusammen und liefert sie in alle Welt, auch in die USA.
Analytiker befürchten, dass ABB zwischen die Stühle geraten könnte: Beliefert der Konzern weiterhin ZPMC, könnten ihm Bussen in den USA drohen. Beendet er die Beziehung zu ZPMC vorzeitig, gibt es möglicherweise Vertragsstrafen aus China. ABB passe sich in den verschiedenen Ländern immer daran an, wer gerade das Land führe, erklärte Rosengren am Donnerstag. Manchmal kann einem genau daraus ein Strick gedreht werden.