The Market macht sich regelmässig auf die Suche nach vernünftig bewerteten Qualitätsunternehmen. ABB und Roche scheiden aus. In Europa qualifiziert sich ein Gefängnisbetreiber, in den USA kommt es zum Wiedersehen mit einem Autoersatzteilhändler.
Der Höhenflug an den Börsen setzt sich fort. Nach der leichten Konsolidierung im April ist der von MSCI berechnete Weltaktienindex im Mai auf ein neues Allzeithöchst vorgestossen. Leicht bessere US-Inflationsdaten und Anzeichen, dass sich die Wirtschaft auch ausserhalb der USA erholt, haben Aktien rund um den Globus beflügelt.
Besonders gefragt waren einmal mehr Technologiewerte. Auch Versorger hatten einen starken Monat, werden sie doch zunehmend als Zweitrundengewinner des Booms um künstliche Intelligenz betrachtet, weil die Rechenzentren Unmengen an Strom verbrauchen. Andere defensive Sektoren wie Basiskonsum und Gesundheit standen hingegen nicht in der Investorengunst. Am Ranglistenende finden sich Energiewerte, die den Rückgang des Ölpreises spürten.
Diese Entwicklungen machen sich in der Qualitätsauswahl von The Market bemerkbar. Während die Schweizer und die europäische Auswahl ihren Vergleichsindex seit der letzten Bestandesaufnahme schlagen konnten, hinkt die US-Selektion dem S&P 500 deutlich hinterher. Das hohe Gewicht in Energie- und Finanzwerten lastete auf der Performance:
Zur Erinnerung: Seit der Lancierung 2019 macht sich The Market an den Börsen der Schweiz, Europas und der USA regelmässig auf die Suche nach vernünftig bewerteten Qualitätsunternehmen.
Die Kriterien
Was Qualität ausmacht, ist nicht einheitlich definiert. The Market versteht darunter Aktien von Gesellschaften, die eine höhere Kapitalrendite erzielen, eine robustere Bilanz aufweisen und günstiger bewertet sind als das Durchschnittsunternehmen im Vergleichsindex.
Als Kriterien werden die Rendite auf das eingesetzte Kapital (Return on Invested Capital, ROIC), das Verhältnis aus Nettoschulden zum Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sowie der Unternehmenswert (Enterprise Value, EV) in Relation zum Ebit verwendet.
In jeder Region wird je nach Aussagekraft ein viertes Kriterium eingesetzt. In der Schweiz ist es das Wachstum des Buchwerts je Titel über fünf Jahre, in den USA die totale Ausschüttungsrendite – definiert als Dividenden und Nettoaktienrückkäufe im Verhältnis zum Unternehmenswert – und in Europa das Momentum der Gewinnprognosen.
Ein Fusionsprodukt für die Schweizer Auswahl
In der Schweiz schaffen achtzehn Namen alle Hürden, einer weniger als im Vormonat. Nicht mehr dabei sind die beiden Schwergewichte ABB und Roche. ABB zollt den starken Avancen Tribut, weil das Verhältnis aus Unternehmenswert zum Ebit auf 21,7 und damit über den Median des durchschnittlichen Unternehmens im Swiss Performance Index (SPI) gestiegen ist, der bei 19,1 liegt. Roche scheitert an der Verschuldung – sie beläuft sich weiterhin auf das 1,1-Fache des Ebitda –, weil im SPI der Median der Nettoschulden im Verhältnis zum Ebitda auf 1 gesunken ist:
Neu dabei ist der Werkzeugmaschinenhersteller StarragTornos. Das Unternehmen ging im Dezember aus der Fusion der von Walter Fust kontrollierten Firmen Starrag und der auch schon in der Qualitätsauswahl vertretenen Tornos hervor. Zusammen erwirtschaften sie rund 500 Mio. Fr. Umsatz. In Europa ist StarragTornos damit zum viertgrössten Anbieter von Fräs- und Drehmaschinen geworden.
In den letzten Jahren hat der Anteil der Bestellungen aus den Bereichen Aerospace, Luxusgüter und Medizinaltechnik zugenommen, deren Nachfrage nach Maschinen einiges stabiler ist als die der Autoindustrie. Dadurch stehen die Chancen gut, dass die Anfälligkeit von StarragTornos gegenüber Konjunkturschwankungen geringer wird, was eine höhere Bewertung rechtfertigen würde.
Trotz der Fusion beläuft sich die Marktkapitalisierung des Unternehmens auf nur gerade etwas mehr als 270 Mio. Fr. Da Walter Fust mit einem Anteil von 52,4% Hauptaktionär bleibt, sind die Titel wenig liquid, was hohe Kursausschläge zur Folge haben kann. Bei Transaktionen drängen sich deshalb Limiten auf.
In Europa qualifiziert sich ein Outsourcing-Partner
In Europa erfüllen 53 Unternehmen alle Kriterien, eines mehr als bei der letzten Bestandesaufnahme. Unter den zwanzig günstigsten Werten ist erstmals der britische Outsourcing-Partner Serco vertreten:
Serco betreibt im Auftrag der entsprechenden Ministerien und Regierungsstellen für Staaten rund um den Globus Gefängnisse, Asylzentren, Ausbildungszentren und Infrastrukturen wie Flugplätze für Armee und Feuerwehr, Vorortszüge und Fähren, Dienstleistungs- und Freizeitzentren oder den Mahlzeitendienst in Spitälern. Dank langfristiger Verträge ist das Geschäft wenig konjunkturabhängig. Die Analysten von Deutsche Bank machen für das laufende Jahr wegen einer womöglich geringeren Anzahl Asylverfahren und steigender Mobilisierungskosten für neu gewonnene Kunden dennoch leichten Gegenwind aus.
Die Spezialisten von Barclays streichen demgegenüber die Chancen heraus, die sich ab dem nächsten Jahr bieten sollten. «2025 laufen wenig Verträge aus, während die Pipeline an neuen Ausschreibungen so gross ist wie seit rund zehn Jahren nicht mehr», schreiben sie. Dank Indexierung könne Serco höhere Inputpreise auch bei langfristigen Verträgen an die Kunden weitergeben. Deshalb habe die Inflation die Profitabilität nicht beeinträchtigt.
Sowohl Deutsche Bank als auch Barclays heben das Potenzial für Aktienrückkäufe hervor. Für dieses Jahr wurde bereits ein Programm über 140 Mio. £ gesprochen. Sollten die Nettoschulden unter den Ebitda sinken, was dem Ziel des Managements entspricht, und keine passenden Übernahmeziele gefunden werden, könnten gemäss den Spezialisten von Deutsche Bank bis 2026 weitere 225 Mio. £ zusammenkommen, was rund 11% der Marktkapitalisierung entspreche. Dennoch stufen sie Serco nur mit «Halten» ein, während die Kollegen von Barclays ein Übergewicht in den Titeln empfehlen.
Markt für Autoersatzteile hat sich stark konsolidiert
In den USA qualifizieren sich 77 Namen, nach 83 im Vormonat. Unter den zwanzig Werten mit der höchsten Ausschüttungsrendite kommt es zum Wiedersehen mit dem Autoersatzteilhändler Autozone:
Der Markt für Autoersatzteile hat sich in den USA stark konsolidiert. Während die Top 5 vor einigen Jahren noch auf einen Marktanteil von weniger als 5% kamen, stehen Autozone und die in der erweiterten Auswahl vertretene O’Reilly Automotive bei rund 15%. Beide erwirtschaften heute dank der Konsolidierung und der damit einhergehenden zunehmenden Marktkonzentration traumhaft hohe Renditen auf dem eingesetzten Kapital, die auch während des Coronaeinbruchs nicht unter 30% gesunken sind.
Gemäss Thierry Borgeat von der Schweizer Vermögensverwaltungsboutique Arvy kommt es dadurch zu einem Schwungrad- und Zinseszinseffekt: Der anziehende Cashflow kann zu hohen Renditen investiert werden, was die Unternehmen noch dominanter macht und weitere Marktanteilsgewinne ermöglicht – ein Prozess, der immer weiter fortschreitet und Namen wie Autozone und O’Reilly zu permanenten Wachstumsmaschinen macht.
Wirklich günstig sind Werte, die Wachstum und hohe Renditen vereinen, selten. Das ist dann nicht ein so grosses Problem, wenn Kapitalrenditen und Margen über den Zyklus hoch bleiben, was einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil oder Burggraben – auf Englisch Moat genannt – voraussetzt.
Gemäss Noah Rohr von der Ratingagentur Morningstar, der dem Unternehmen vor kurzem das Prädikat «wide moat» verliehen hat, dürfte das bei Autozone auch längerfristig der Fall bleiben: «Wir sind zuversichtlicher geworden, dass das Unternehmen die Kapitalkosten über zwanzig Jahre übertreffen kann», schreibt er in einer Studie, in der er die Hochstufung begründet. Er geht davon aus, dass Autozone bei der weiteren Konsolidierung der Branche eine dominante Rolle spielen wird. Ist das der Fall, steht weiteren Avancen wenig im Weg.
Keinen Neueintritt gab es unter den zwanzig günstigsten US-Werten. Sie werden weiterhin von Energie- und Finanzunternehmen dominiert:
Durch die jüngsten Auswechslungen ist vor allem die Schweizer Auswahl abermals zyklischer geworden. Sie würde deshalb unter Druck geraten, falls die Welt- und/oder die Schweizer Wirtschaft in die Rezession gleiten. Andererseits bieten gerade wirtschaftlich schwierige Zeiten die besten Gelegenheiten für den Einstieg in konjunktursensitive Werte.