Mutmasslich am Donnerstag soll das Kriegsschiff von Wilhelmshaven aus in das Seegebiet entlang der jemenitischen Küste starten. Die gefährlichen Raketen der Huthi-Miliz führen dazu, dass diese Mission eine völlig andere Dimension hat als alle vorausgegangenen.
Der 30. Januar war ein Tag, der nicht nur im amerikanischen, sondern auch im deutschen Verteidigungsministerium für Sorgenfalten gesorgt haben dürfte. An jenem Abend befand sich der amerikanische Lenkwaffen-Zerstörer USS «Gravely» im Seegebiet vor der jemenitischen Küste, als die Alarmsysteme einen Marschflugkörper meldeten, der bereits gefährlich nah war. Das Schiff musste zu seiner letzten Verteidigungswaffe greifen, einer 20-Millimeter-Gatling-Kanone, auch als Nahverteidigungssystem Mark 15 bezeichnet. Die mutmasslich von den Huthi aus Jemen abgefeuerte Antischiffsrakete konnte laut einem Bericht des Nachrichtensenders CNN in einer Entfernung von einer Seemeile gerade noch rechtzeitig zerstört werden.
Der Vorfall ist für Deutschland besorgniserregend. Bisher war es der amerikanischen Marine im Kampf gegen die Huthi im Roten Meer und im Golf von Aden gelungen, Lenk- und Marschflugkörper sowie Drohnen weitaus früher abzufangen. Dass dieser Angriff nun beinahe erfolgreich verlief, lässt darauf schliessen, dass die Huthi bei ihrer Attacke das Aegis-Radar der USS «Gravely» unterfliegen oder täuschen konnten. Die «Gravely» gehört zur Arleigh-Burke-Klasse, eines von 73 Schiffen dieses Typs in der amerikanischen Marine. Die ersten Einheiten wurden Anfang der 1990er Jahre in Dienst gestellt, um Flugzeugträger und andere Seeverbände vor Luftangriffen zu schützen.
Der deutsche Gegenentwurf zur Arleigh-Burke-Klasse sind die Fregatten der Sachsen-Klasse (F-124). Die Marine besitzt drei dieser Mehrzweckfregatten, eine davon ist die «Hessen». Dieses Schiff soll Ende der Woche von Wilhelmshaven aus in das Rote Meer und den Golf von Aden aufbrechen. Wie der Zwischenfall mit der USS «Gravely» zeigt, fährt das Schiff in ein Gebiet, in dem Angriffe mit modernen Antischiffsraketen drohen. Die «Hessen» könnte damit vor ihrem ersten scharfen Einsatz stehen.
Mandat der EU und des Bundestags fehlen noch
Zuvor müssen allerdings noch zwei politische Entscheidungen getroffen werden. Zunächst wird ein Mandat der EU benötigt, das die Aussenminister der Union bei ihrem Treffen am 19. Februar beschliessen sollen. Dann bedarf es noch eines Beschlusses des Bundestags, da es sich um einen mandatierungspflichtigen Einsatz handelt. Er könnte zwei Tage später gefasst werden. Dann steht die Mission «EUNAVFOR Aspides» auf dem Tagungsplan des deutschen Parlaments. Im Anschluss daran könnte die «Hessen» aus ihrem Verfügungsraum im Mittelmeer, in den sie in dieser Woche aufbricht, über den Suezkanal in das Operationsgebiet vor der jemenitischen Küste einlaufen.
Seit dem 19. Oktober greift dort die von Iran unterstützte Huthi-Miliz mit Raketen und Drohnen internationale Handelsschiffe an, die ihrer Ansicht nach eine Verbindung zu Israel haben. Die Huthi sehen sich als Teil der gegen den jüdischen Staat gerichteten «Achse des Widerstands» und stehen auf der Seite der Hamas. 90 Prozent der Containerschiffe, die früher durch das Seegebiet fuhren, nehmen nun den weiten Umweg um das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Südafrikas. Das dauert rund zehn Tage länger und hat die Kosten für den Transport eines Schiffscontainers zwischen Schanghai und europäischen Häfen wie Rotterdam oder Genua um mehr als das Vierfache verteuert.
Seit Anfang Dezember versuchen Kriegsschiffe einer internationalen Koalition unter amerikanischer Führung, die Seetransportroute entlang der jemenitischen Küste zu sichern. Seitdem erwägt auch die Europäische Union, mit einer eigenen Mission diesen wichtigen Handelsweg zu schützen. Doch die Abstimmungsprozesse zogen sich in die Länge, so dass es mutmasslich vier Monate gedauert haben wird, ehe nach den ersten Angriffen der Huthi drei Kriegsschiffe der EU vor allem als Geleitschutz für Handelsschiffe zum Einsatz kommen können.
Konzipiert für den Geleitschutz im Kalten Krieg
Mit der «Hessen» schickt die Bundeswehr eines ihrer kampfstärksten Kriegsschiffe. Sie ist die jüngste der drei Fregatten der Sachsen-Klasse, im April 2006 in Dienst gestellt, konzipiert allerdings in den 1980er Jahren, um die für den Kriegsfall mit dem Warschauer Pakt benötigten amerikanischen Truppen- und Materialtransporte über den Atlantik zu eskortieren. Die «Hessen» mit ihrer gut 250-köpfigen Besatzung ist daher nicht nur für den Kampf gegen Bedrohungen aus der Luft geeignet, sondern kann parallel auch andere Überwasserschiffe und U-Boote abwehren.
Die Fregatten der Sachsen-Klasse
Technische Daten
- Länge: 143 m
- Breite: 17,4 m
- Tiefgang: 6 m
- Verdrängung: 5800 t
- Marschgeschwindigkeit: 29 kn
- Besatzung: 255 Personen
Bewaffnung
- 32 Zellen-Senkrechtstarter für Lenkflugkörper SM-2 und ESSM
- 2 Vierfach-Starter für Schiff-Schiff-Flugkörper RGM-84 Harpoon
- 2 Flugkörperwerfer Nahbereichsverteidigung RAM
- 2 Bordhelikopter
Herzstück der Fregatte sind ihre Radarsysteme und ihre Lenkflugkörper. Die in Quadranten aufgeteilten Antennen des Multifunktionsradars und das rotierende Weitbereichsradar zur Luftraumüberwachung prägen den Decksaufbau des Schiffs. Das Multifunktionsradar dient dazu, das eigene Feuer zu leiten. Es wurde speziell zur Abwehr von Massenangriffen manövrierfähiger Flugkörper mit Tarneigenschaften (Stealth), also Flugzeugen, Drohnen und Raketen, entwickelt.
Mithilfe des Weitbereichsradars und ihrer Computer wiederum ist die «Hessen» in der Lage, in einem Umkreis von etwa 400 Kilometer mehr als 1000 Flugkörper gleichzeitig aufzufassen, zu identifizieren und ihre Bekämpfung zu priorisieren. Plastisch formuliert: Wenn man die «Hessen» in der Mitte der Nordsee platzierte, könnte sie von dort aus das gesamte Gebiet dieses Meeres überwachen sowie Flugzeuge und Flugkörper bekämpfen.
Theoretisch jedenfalls. Praktisch hat bisher keine Fregatte der Sachsen-Klasse nachweisen müssen, dass sie ein scharfes Gefecht erfolgreich führen kann. Im September 2011 wies zwar das Typschiff, die Fregatte «Sachsen», bei einem Testschiessen vor der Küste Südafrikas nach, dass sie mit einem Lenkflugkörper eine Antischiffsrakete abfangen kann. Doch das Beispiel der USS «Gravely» zeigt, dass das nichts heissen muss. Vor dem Angriff vom 30. Januar hatte die «Gravely» mehrfach erfolgreich Raketen der Huthi aus grosser Distanz mit Lenkflugkörpern vom Typ SM-2 (Standardmissile 2) zerstören können.
Nicht genug Flugkörper für drei Fregatten gleichzeitig
Auch die Fregatten der Sachsen-Klasse sind mit SM-2-Lenkflugkörpern ausgestattet. Ihre Reichweite gibt die Bundeswehr mit zirka 160 Kilometer an. Wie viele SM-2 die «Hessen» an Bord haben wird, wenn sie am 8. Februar ihren Heimathafen verlässt, wird geheim gehalten. Der eklatante Mangel der Bundeswehr an Munition gilt jedoch auch für die Marine. Die Kosten für eine SM-2-Rakete dürften bei etwa 1,3 bis 1,5 Millionen Euro liegen. Vor gut zwei Jahren hiess es in der Marine, dass ihre Flugkörper-Vorräte nicht reichten, um alle drei Fregatten der Sachsen-Klasse voll zu bewaffnen.
Unklar ist auch, wie gross das Arsenal der Huthi ist. Bekannt ist, dass sie über Mittel- und Langstreckenraketen, Antischiffsraketen, Drohnen und Schnellboote verfügen. Der Überfall auf den Frachter «Galaxy Leader» mit einem Helikopter im November 2023 zeigte, dass sie zudem in der Lage sind, bewaffnete Trupps abzusetzen und Schiffe in voller Fahrt zu kapern. Ausserdem verfügen sie über mit Sprengstoff beladene Drohnenboote, die sie auch im Krieg gegen die von Saudiarabien geführte Koalition mehrfach eingesetzt haben.
Einen potenziellen Gegner mit diesen militärischen Fähigkeiten hatte die deutsche Marine in ihren Einsätzen der vergangenen zwei Jahrzehnte nicht. Bei der Mission «Atalanta» am Horn von Afrika etwa ging es vor allem darum, leicht bewaffnete somalische Piraten davon abzuhalten, Frachtschiffe zu kapern. Der bevorstehende Einsatz hat eine andere Qualität.
Keine Bekämpfung von Huthi-Stellungen an Land
Nach allem, was bisher bekannt ist, sieht das zunächst auf ein Jahr befristete EU-Mandat nicht vor, Stellungen der Huthi an Land zu bekämpfen. Das bleibt der amerikanisch-britischen Mission «Prosperity Guardian» vorbehalten. Doch sollen die europäischen Fregatten nicht nur Handelsschiffe eskortieren und notfalls Raketen und Drohnen abfangen, sondern auch bewaffnete Teams für die Passage durch das Rote Meer und den Golf von Aden auf die Frachter schicken. Deren Aufgabe ist es, die Wiederholung eines Szenarios wie auf der «Galaxy Leader» zu verhindern. Über diese «Boarding Teams» verfügt auch die Bundeswehr.
Im Idealfall allerdings kommt es dazu gar nicht erst, da ein Helikopter mit Huthi-Truppen rechtzeitig durch das Radar der «Hessen» entdeckt und bekämpft werden könnte. Wahrscheinlicher ist daher wohl eher das Szenario der USS «Gravely». Es dürfte deshalb für etwas Beruhigung in Berlin sorgen, dass die «Hessen» vor einiger Zeit mit einem modernisierten Abwehrsystem für den Nahbereich ausgerüstet wurde. Anders als bei den US-Zerstörern besteht es nicht aus Gatling-Kanonen, sondern aus zwei drehbaren Werfern (Mark 31), die Flugkörper (RAM Block 2) verschiessen und als sehr effektiv gelten. Allerdings sollen die Kosten eines einzelnen Flugkörpers bei 600 000 Euro liegen.