Montag, November 25

GLP-1-Medikamente werden mit Pens verabreicht. Um zu profitieren, bricht Ypsomed sogar mit der Vergangenheit. Das Kalkül: Pillen kommen, aber bleiben eine Nische.

Abnehmspritzen sind der grösste kommerzielle Erfolg in der Pharmazie seit langer Zeit. Das wäre nie passiert, wenn es sich wirklich um Spritzen handeln würde – jene Röhrchen mit den abschreckend langen Nadeln, die schon die Grippeimpfung zur Mutprobe machen. Stattdessen werden die Flüssigkeiten mit Autoinjektoren verabreicht. Das ist so einfach, dass sich die Patienten angstfrei selbst die Spritze setzen: Die Plastikstifte werden auf die Haut gedrückt, und eine Feder presst eine kleine, zuvor unsichtbare Nadel hindurch, um den Wirkstoff zu verabreichen.

Alle Welt will abnehmen

Je mehr GLP-1-Medikamente nachgefragt werden, umso mehr Injektoren und Pens werden benötigt. Davon profitieren die Schweizer Medtech-Unternehmen Ypsomed aus Burgdorf und SHL Medical aus Zug. Bei Ypsomed treibt das Interesse an Injektoren nicht nur Umsatz und Aktienkurs in die Höhe. Es veranlasst das Unternehmen auch, mit seiner Vergangenheit zu brechen und sich ganz auf die Stifte zu konzentrieren.

Ypsomeds Umsatz erreichte von April bis September 324 Millionen Franken. Das sind 27 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Rund zwei Drittel des Umsatzes entfallen auf die Autoinjektoren und Pens. Auch ohne GLP-1 wächst der Bedarf an Möglichkeiten, sich zu Hause Medikamente zu verabreichen – zum Beispiel Mittel gegen chronische Krankheiten, Asthma oder Allergien.

Doch die Abnehmspritzen sind die Sahne auf der Torte. Ypsomed hat 40 Lieferverträge mit 31 Kunden für den Zeitraum von 2025 bis 2030 abgeschlossen. Grosses Augenmerk liegt auf einem Liefervertrag mit Novo Nordisk, dem neben Eli Lilly dominierenden GLP-1-Anbieter. Anfang November übertrafen die für ihr Produkt Wegovy bekannten Dänen mit den Quartalszahlen die Erwartungen nochmals. Das Angebot kann nicht mit der Nachfrage Schritt halten.

Ypsomed baut ein globales Netz auf

Der Ypsomed-Chef Simon Michel reagiert auf diese Trends mit einem beispiellosen Ausbau der Produktion. Um im Jahr 2030 eine Milliarde Injektoren fertigen zu können, investiert das Unternehmen rund 1,5 Milliarden Franken – eine enorme Summe für eine Firma dieser Grösse, auch wenn sie sich von den Pharmakunden bei der Finanzierung helfen lässt und nicht mit hohen Schulden belastet ist.

Vor einem Monat hat Ypsomed in Schwerin eine vierte Produktionshalle eingeweiht. In der ostdeutschen Weite findet das Unternehmen gute Möglichkeiten zum Expandieren. Gleich nebenan soll eine zweite, ganz neue Fabrik entstehen. In China wird kommendes Jahr auch ein Werk eröffnet, und in den USA soll im Jahr 2027 eine Fabrik folgen. In der Schweiz gibt Ypsomed die Auftragsfertigung für Sanofi auf, dadurch entstehen freie Kapazitäten am Standort Solothurn.

Ypsomed legt alle Eier in einen Korb: Jüngst wurde das Geschäft mit den Pen-Nadeln und Systemen zum Messen von Blutzucker verkauft. Bald wird auch das verbliebene Diabetes-Geschäft veräussert, wie Ypsomed am Mittwoch mitteilte. Es enthält die Herstellung einer selbst entwickelten Insulinpumpe und den Vertrieb an Privatkunden. Im Jahr 2022 hatte man sich schon vom Retail- und Versandhändler Diaexpert in Deutschland verabschiedet, einem Diabetesfachgeschäft.

Es ist ein Abschied von den Wurzeln der Firma. Die Brüder Willy und Peter Michel hatten Disetronic, den Vorgänger von Ypsomed, vor rund vierzig Jahren gegründet, um Medizinprodukte für Diabetiker zu entwickeln. Einen Teil des Unternehmens übernahm später Roche, aus dem Rest ging Ypsomed hervor. Allerdings ist möglich, dass die Familie Michel das Diabetes-Geschäft von Ypsomed übernimmt und separat weiterführt. Es liegt Willy Michel am Herzen, dem Vater von Simon Michel.

Verdrängen Pillen die Spritzen?

Doch für Ypsomed ist die Positionierung als reiner Hersteller von Injektionssystemen und damit ein Fokus auf Geschäftskunden vorteilhafter, glauben auch Analysten. Die UBS sprach von einem vernünftigen strategischen Entscheid, die Bank Vontobel von einem positiven Schritt angesichts der hohen Rentabilität der Pens sowie des Potenzials der Adipositas-Medikamente.

Der Markt für die Abnehmmittel dürfte von derzeit 15 Milliarden Dollar auf 94 Milliarden Dollar im Jahr 2030 wachsen, erwarten Analysten von Bloomberg Intelligence. Damit wachsen auch die potenziellen Abhängigkeiten. «Wir haben viel darüber nachgedacht, wie wir ein mögliches Risiko minimieren können», teilt Ypsomed auf Anfrage mit, und verweist auf die Investitionszuschüsse der Pharmakunden, welche die eigenen Ausgaben senken. Zudem würden die GLP-1-Anwendungen bis Ende des Jahrzehnts weniger als einen Viertel des Umsatzes ausmachen.

Aber der Markt ist im Umbruch: Die Zahl von GLP-1-Herstellern dürfte in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Parallel läuft ein Rennen um die Entwicklung einer Pillenform. Novo Nordisk und Eli Lilly werden wohl beide im Jahr 2026 eine Tablette auf den Markt bringen. Die orale Einnahme ist nochmals angenehmer als ein Autoinjektor. Die UBS kommt in einer Erhebung zu dem Schluss, dass ein Viertel der Patienten diese Möglichkeit bei der Auswahl des Medikaments für wichtig hält.

Allerdings erwartet Ypsomed, dass die Schlankmacher auch künftig überwiegend gespritzt werden. Denn die Tabletten müssen häufiger geschluckt werden, und der Wirkstoff muss in ihnen höher konzentriert sein als in den Pens. Das könnte zu mehr Nebenwirkungen führen. Schon heute geben viele Nutzer die Behandlung nach ein paar Monaten wegen der Nebenwirkungen auf. Dazu können Übelkeit, Erbrechen und Muskelschwund gehören.

Marktführer SHL Medical setzt auf die Schweiz

Gelassen reagiert auch SHL Medical, ein Hersteller von Autoinjektoren mit Sitz in Zug. Möglicherweise werden es die Tabletten den Patienten ermöglichen, das Zielgewicht langfristig zu halten – aber nachdem eine Therapie mit Injektionen es reduziert hat, heisst es auf Anfrage. Das Unternehmen kalkuliert mit einem Wachstum des Autoinjektor-Marktes bis 2030 um jährlich 16 Prozent, grösstenteils getrieben von Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Medikamenten wie GLP-1.

SHL Medical ist verschwiegen und geizt mit Kennzahlen, sieht sich aber als Marktführer bei Autoinjektoren. Die Firma ist mehrheitlich im Besitz des schwedischen Gründers Roger Samuelsson und beschäftigt weltweit 5900 Mitarbeiter, mehr als doppelt so viele wie Ypsomed mit rund 2600 Angestellten. Die allermeisten sind in Taiwan angesiedelt, dem grössten Produktionsstandort.

Auch SHL Medical expandiert, kauft Firmen aus der Wertschöpfungskette, hat in diesem Jahr ein Werk in den USA eröffnet – und plant eine Produktion in Zug. Eigentlich hätte diese Fertigung bereits 2024 eröffnet werden sollen, doch dann schwenkte das Unternehmen wegen des erwarteten GLP-1-Booms auf die USA um. Jetzt ist der Produktionsstart in der Schweiz für 2026 vorgesehen. Ziel sei es, bis 2030 rund 700 Mitarbeiter in Zug zu beschäftigen. Derzeit arbeiten 400 Angestellte in der Verwaltung am Hauptsitz.

Von Zug aus soll der europäische Markt bedient werden. Die zentrale Lage senke Logistikkosten, und die Produktion werde hochautomatisiert und digitalisiert sein, teilt SHL Medical mit. Auch brauche man für die komplexen Produkte Zugang zu hochqualifizierten Köpfen. Das zeigt: Auch die Schweiz kann im Kampf gegen Übergewicht ein paar Vorteile auf die Waage bringen.

Exit mobile version